ein zwischen Verlobten vorgefallenes, sondern als ein gemeines delictum carnis anzusehen und demgemäß mit höherer Strafe zu belegen, und zwar selbst dann, wenn nachträgliche legitime Verlobung und Heirath erfolgt, was hier Alles noch im weiten Felde stehen dörfte.
Friedrich, der den Sinn dieser Rede ungeachtet der eingestreuten lateinischen Brocken gar wohl verstanden hatte, nahm das Wort und sprach: Ihr Herren, man kann mich strafen so viel und hoch man will, darum lass' ich doch nicht von meinem Schatz, und wenn man uns auch ansieht, als ob wir wie unehrbare und verrufene Personen wider das sechste Gebot gesündigt hätten, so weiß ich doch, daß nichts desto weniger mein Schatz ein ehrlich's Mädle ist und so sittsam wie nur einem von den Herren seine Frau sein kann.
Die Conventsrichter hatten eine Weile ihren Ohren nicht getraut und ihn deßhalb ruhig sprechen lassen, dann aber entstand ein Aufruhr am Rathstische. Will Er schweigen? rief der Pfarrer. Man hat Ihn vorgeladen, damit Er sich verantworte, herrschte ihm der Amt¬ mann zu, und nicht, damit Er Sein böses Maul brauche. Ich möcht' dich zerbrechen, schrie sein Vormund: bist noch nicht hinter den Ohren trocken und schwätzst so frech's und ungesalzen's Zeug. So Einer ist mir noch gar nie vorkommen, so lang ich im Kirchenconvent sitz', sagte der Heiligenpfleger: die Andern wagen die Augen kaum aufzuschlagen und schämen sich der Sünd', der aber pocht und will noch gut haben. Und lästert göttliche Gebote, hob der Pfarrer wieder an. Und fürst¬ liche Verordnungen, fügte der Amtmann hinzu. Der Anwalt sagte gar nichts, der unerhörte Auftritt hatte lähmend auf seinen Geist gewirkt.
Friedrich wollte abermals sprechen. Still! riefen der Pfarrer und der Amtmann. Still! schrieen die andern Mitglieder hinterdrein.
Friedrich biß die Zähne über einander und schwieg.
Wie kannst du's vor deinem rechtschaffenen Vater verantworten, fuhr ihn sein Vormund an, daß du dich hinter seinem Rücken in eine solche Lumpenliebschaft eingelassen hast, und was glaubst du, daß er dazu sagen wird, daß du ohne sein Wissen dich mit einem Ehverspre¬ chen gebunden hast, und willst jetzt behaupten, du lassest nicht davon? Das will ich von dir hören.
Es ist mir ja verboten zu reden, erwiderte Friedrich störrisch.
ein zwiſchen Verlobten vorgefallenes, ſondern als ein gemeines delictum carnis anzuſehen und demgemäß mit höherer Strafe zu belegen, und zwar ſelbſt dann, wenn nachträgliche legitime Verlobung und Heirath erfolgt, was hier Alles noch im weiten Felde ſtehen dörfte.
Friedrich, der den Sinn dieſer Rede ungeachtet der eingeſtreuten lateiniſchen Brocken gar wohl verſtanden hatte, nahm das Wort und ſprach: Ihr Herren, man kann mich ſtrafen ſo viel und hoch man will, darum laſſ' ich doch nicht von meinem Schatz, und wenn man uns auch anſieht, als ob wir wie unehrbare und verrufene Perſonen wider das ſechſte Gebot geſündigt hätten, ſo weiß ich doch, daß nichts deſto weniger mein Schatz ein ehrlich's Mädle iſt und ſo ſittſam wie nur einem von den Herren ſeine Frau ſein kann.
Die Conventsrichter hatten eine Weile ihren Ohren nicht getraut und ihn deßhalb ruhig ſprechen laſſen, dann aber entſtand ein Aufruhr am Rathstiſche. Will Er ſchweigen? rief der Pfarrer. Man hat Ihn vorgeladen, damit Er ſich verantworte, herrſchte ihm der Amt¬ mann zu, und nicht, damit Er Sein böſes Maul brauche. Ich möcht' dich zerbrechen, ſchrie ſein Vormund: biſt noch nicht hinter den Ohren trocken und ſchwätzſt ſo frech's und ungeſalzen's Zeug. So Einer iſt mir noch gar nie vorkommen, ſo lang ich im Kirchenconvent ſitz', ſagte der Heiligenpfleger: die Andern wagen die Augen kaum aufzuſchlagen und ſchämen ſich der Sünd', der aber pocht und will noch gut haben. Und läſtert göttliche Gebote, hob der Pfarrer wieder an. Und fürſt¬ liche Verordnungen, fügte der Amtmann hinzu. Der Anwalt ſagte gar nichts, der unerhörte Auftritt hatte lähmend auf ſeinen Geiſt gewirkt.
Friedrich wollte abermals ſprechen. Still! riefen der Pfarrer und der Amtmann. Still! ſchrieen die andern Mitglieder hinterdrein.
Friedrich biß die Zähne über einander und ſchwieg.
Wie kannſt du's vor deinem rechtſchaffenen Vater verantworten, fuhr ihn ſein Vormund an, daß du dich hinter ſeinem Rücken in eine ſolche Lumpenliebſchaft eingelaſſen haſt, und was glaubſt du, daß er dazu ſagen wird, daß du ohne ſein Wiſſen dich mit einem Ehverſpre¬ chen gebunden haſt, und willſt jetzt behaupten, du laſſeſt nicht davon? Das will ich von dir hören.
Es iſt mir ja verboten zu reden, erwiderte Friedrich ſtörriſch.
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[187/0203]
ein zwiſchen Verlobten vorgefallenes, ſondern als ein gemeines delictum
carnis anzuſehen und demgemäß mit höherer Strafe zu belegen, und
zwar ſelbſt dann, wenn nachträgliche legitime Verlobung und Heirath
erfolgt, was hier Alles noch im weiten Felde ſtehen dörfte.
Friedrich, der den Sinn dieſer Rede ungeachtet der eingeſtreuten
lateiniſchen Brocken gar wohl verſtanden hatte, nahm das Wort und
ſprach: Ihr Herren, man kann mich ſtrafen ſo viel und hoch man
will, darum laſſ' ich doch nicht von meinem Schatz, und wenn man
uns auch anſieht, als ob wir wie unehrbare und verrufene Perſonen
wider das ſechſte Gebot geſündigt hätten, ſo weiß ich doch, daß nichts
deſto weniger mein Schatz ein ehrlich's Mädle iſt und ſo ſittſam wie
nur einem von den Herren ſeine Frau ſein kann.
Die Conventsrichter hatten eine Weile ihren Ohren nicht getraut
und ihn deßhalb ruhig ſprechen laſſen, dann aber entſtand ein Aufruhr
am Rathstiſche. Will Er ſchweigen? rief der Pfarrer. Man hat
Ihn vorgeladen, damit Er ſich verantworte, herrſchte ihm der Amt¬
mann zu, und nicht, damit Er Sein böſes Maul brauche. Ich möcht'
dich zerbrechen, ſchrie ſein Vormund: biſt noch nicht hinter den Ohren
trocken und ſchwätzſt ſo frech's und ungeſalzen's Zeug. So Einer iſt
mir noch gar nie vorkommen, ſo lang ich im Kirchenconvent ſitz', ſagte
der Heiligenpfleger: die Andern wagen die Augen kaum aufzuſchlagen
und ſchämen ſich der Sünd', der aber pocht und will noch gut haben.
Und läſtert göttliche Gebote, hob der Pfarrer wieder an. Und fürſt¬
liche Verordnungen, fügte der Amtmann hinzu. Der Anwalt ſagte
gar nichts, der unerhörte Auftritt hatte lähmend auf ſeinen Geiſt
gewirkt.
Friedrich wollte abermals ſprechen. Still! riefen der Pfarrer und
der Amtmann. Still! ſchrieen die andern Mitglieder hinterdrein.
Friedrich biß die Zähne über einander und ſchwieg.
Wie kannſt du's vor deinem rechtſchaffenen Vater verantworten,
fuhr ihn ſein Vormund an, daß du dich hinter ſeinem Rücken in eine
ſolche Lumpenliebſchaft eingelaſſen haſt, und was glaubſt du, daß er
dazu ſagen wird, daß du ohne ſein Wiſſen dich mit einem Ehverſpre¬
chen gebunden haſt, und willſt jetzt behaupten, du laſſeſt nicht davon?
Das will ich von dir hören.
Es iſt mir ja verboten zu reden, erwiderte Friedrich ſtörriſch.
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/203>, abgerufen am 21.11.2024.
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