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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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dem wir jene Sprüche überkommen haben, der nicht schalt, da er ge¬
schlagen ward, und nicht dräuete, da er litt. Ich will Ihm aber
nicht mit Einem Mal ein Werk auflegen, das für manche zartere
Seelen noch zu schwer ist. Fange Er im Kleinen an, mein lieber
Sohn. Strebe Er sanftmüthig zu werden. Denke Er immer zur
rechten Zeit daran, den aufquellenden Zorn zu bezähmen; denn der
Zorn hat einen bösen Urahn, den Mörder von Anbeginn, und wenn
man ihn herausläßt, so gleicht er der Kugel, von der das Sprichwort
sagt: "wenn sie aus dem Rohr ist, so ist sie des Teufels." Vor
Allem aber will ich Ihm Eines an's Herz legen. Er ist vermöglicher
Leute Kind, und in einem Wirthshause fallen manche Brocken ab.
Benütze Er diese Gelegenheit, um Gutes zu thun und nach Seinen
Kräften den traurigen Unterschied, der in der Welt ist, ein wenig
auszugleichen. Er kann, ohne Seinen Vater zu übervortheilen, -- und
das darf er ja nicht thun! -- manchem armen Schlucker etwas zu¬
fließen lassen. Ich sage das nicht, daß Er meinen soll, Er könne sich
ein Verdienst vor Gott damit erwerben. Aber der rechte Glaube wird
auch immer die rechten Werke gebären, und hinwiederum, wer die
rechten Werke thut, der setzt zugleich sein Inneres in die rechte Ver¬
fassung, wie sie vor Gott sein soll; denn Gutes thun macht ein ge¬
lindes Herz. Deßhalb, mein Sohn, beschloß er mit einem unbeschreib¬
lich heitern und scherzhaften Lächeln, will ich Ihm, da Er noch so
jung ist, nicht zumuthen, daß Er gleich als Flügelmann unter jene
Kerntruppen tritt, von denen ich gesprochen habe. Suche Er nur
zuerst als Marketender bei ihnen anzukommen, dann kann Er sich
allmählich weiter aufdienen, bis --

Ein Geräusch unterbrach ihn, das ihm den frommen Scherz auf's
Kläglichste verbitterte. Unzweideutige Schläge hallten von dem untern
Stockwerk her, dem der Geistliche und sein aufmerksames Beichtkind
nahe standen. Sie folgten mit unerbittlicher Regelmäßigkeit auf ein¬
ander, so daß der Greis die schwache Hand ausstreckte, als ob diese
abwehrende Geberde der Grausamkeit ein Ende machen könnte. Man
hörte kein Geschrei, sondern nur ein dumpfes Knurren, in welchem
jedoch der menschliche Ton zu unterscheiden war. Dieses Knurren, das
sich in Zwischenräumen wiederholte, machte den Vorgang weit unheim¬
licher als wenn die lautesten Wehklagen ihn begleitet hätten.

dem wir jene Sprüche überkommen haben, der nicht ſchalt, da er ge¬
ſchlagen ward, und nicht dräuete, da er litt. Ich will Ihm aber
nicht mit Einem Mal ein Werk auflegen, das für manche zartere
Seelen noch zu ſchwer iſt. Fange Er im Kleinen an, mein lieber
Sohn. Strebe Er ſanftmüthig zu werden. Denke Er immer zur
rechten Zeit daran, den aufquellenden Zorn zu bezähmen; denn der
Zorn hat einen böſen Urahn, den Mörder von Anbeginn, und wenn
man ihn herausläßt, ſo gleicht er der Kugel, von der das Sprichwort
ſagt: „wenn ſie aus dem Rohr iſt, ſo iſt ſie des Teufels.“ Vor
Allem aber will ich Ihm Eines an's Herz legen. Er iſt vermöglicher
Leute Kind, und in einem Wirthshauſe fallen manche Brocken ab.
Benütze Er dieſe Gelegenheit, um Gutes zu thun und nach Seinen
Kräften den traurigen Unterſchied, der in der Welt iſt, ein wenig
auszugleichen. Er kann, ohne Seinen Vater zu übervortheilen, — und
das darf er ja nicht thun! — manchem armen Schlucker etwas zu¬
fließen laſſen. Ich ſage das nicht, daß Er meinen ſoll, Er könne ſich
ein Verdienſt vor Gott damit erwerben. Aber der rechte Glaube wird
auch immer die rechten Werke gebären, und hinwiederum, wer die
rechten Werke thut, der ſetzt zugleich ſein Inneres in die rechte Ver¬
faſſung, wie ſie vor Gott ſein ſoll; denn Gutes thun macht ein ge¬
lindes Herz. Deßhalb, mein Sohn, beſchloß er mit einem unbeſchreib¬
lich heitern und ſcherzhaften Lächeln, will ich Ihm, da Er noch ſo
jung iſt, nicht zumuthen, daß Er gleich als Flügelmann unter jene
Kerntruppen tritt, von denen ich geſprochen habe. Suche Er nur
zuerſt als Marketender bei ihnen anzukommen, dann kann Er ſich
allmählich weiter aufdienen, bis —

Ein Geräuſch unterbrach ihn, das ihm den frommen Scherz auf's
Kläglichſte verbitterte. Unzweideutige Schläge hallten von dem untern
Stockwerk her, dem der Geiſtliche und ſein aufmerkſames Beichtkind
nahe ſtanden. Sie folgten mit unerbittlicher Regelmäßigkeit auf ein¬
ander, ſo daß der Greis die ſchwache Hand ausſtreckte, als ob dieſe
abwehrende Geberde der Grauſamkeit ein Ende machen könnte. Man
hörte kein Geſchrei, ſondern nur ein dumpfes Knurren, in welchem
jedoch der menſchliche Ton zu unterſcheiden war. Dieſes Knurren, das
ſich in Zwiſchenräumen wiederholte, machte den Vorgang weit unheim¬
licher als wenn die lauteſten Wehklagen ihn begleitet hätten.

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/22>, abgerufen am 21.11.2024.