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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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sie durch Arbeiten wenig und zuletzt nichts mehr zur Erhaltung
der Familie, der sie doch zehren half, beitragen konnte. Macht
man ja doch nicht bloß in jenen Kreisen des Lebens, welchen
man das Vorrecht der Rohheit zugesteht, die Erfahrung, daß die
Noth die Zartheit der Gesinnungen leicht verwischt und der gefähr¬
lichste Prüfstein für alle Liebe und Freundschaft ist. Christine hatte
ein Recht, ihr Elend am Halse des Einzigen auszuweinen, der ihr zu
Trost und Hilfe verpflichtet war, und sie machte von diesem Rechte
fleißigen Gebrauch; auch war es natürlich, daß die Beschwerden eines
Zustandes, der selbst eine im Schoße des ungetrübten Glückes lebende
Frau zur Schwermuth reizen kann, das oft von den nothwendig¬
sten Hilfsmitteln entblößte Mädchen maßlos unglücklich machten. All
dieser Jammer stürmte auf Friedrich herein, der dem Gefühle seiner
Hilflosigkeit bald in stumpfem Hinbrüten, bald in Ausbrüchen einer
wahnsinnigen Wuth gegen die herzlose Zähigkeit der Welt den Lauf
ließ. Auf den Schwager, dem er einst vertraut hatte, konnte er
schon längst nicht mehr rechnen; derselbe hatte sich von ihm losgeschält
und ihm erklärt, er wolle es nicht durch Parteimachen für eine Sache,
die er von Anfang an getadelt, mit seinem Schwiegervater verder¬
ben, auch hatte er seiner Frau untersagt, sich ihres Bruders ferner
anzunehmen.

Um diese Zeit lief die, Sonnenwirthin eines Tages in's Amthaus
um der Amtmännin zu erzählen, daß ihre älteste Tochter, die Krä¬
merin, wenn der Herr Amtmann sie nur vernehmen wollte, Greuel¬
dinge von dem ungerathenen Bösewicht aussagen könnte. Der Amt¬
mann versammelte, von seiner Frau angetrieben, seine beiden Urkunds¬
personen und ließ die Krämerin rufen, welche weinend vor ihm erschien.
Ihr Bruder, gab sie zu Protokoll, habe drei Gulden gefordert, damit
er sein Memorial und Bericht zu Göppingen bekomme. Darauf habe
sie ihm gesagt, sie wolle nicht zum Vater gehen, weil sie wisse, daß er
sich bloß darüber erzürne; er solle seinen Pfleger schicken. Nun habe
er aber angefangen zu toben: er sehe wohl, daß er's verloren habe,
morgen wolle er einen Rausch trinken und sein Messer schleifen, in
seines Vaters Haus hingehen und das Geld fordern, und wenn er's
nicht gebe, ihn niederstechen, und wenn seine Mutter etwas sage, ihr's
auch so machen. Dann habe er Geld genug, und nehme Alles was

ſie durch Arbeiten wenig und zuletzt nichts mehr zur Erhaltung
der Familie, der ſie doch zehren half, beitragen konnte. Macht
man ja doch nicht bloß in jenen Kreiſen des Lebens, welchen
man das Vorrecht der Rohheit zugeſteht, die Erfahrung, daß die
Noth die Zartheit der Geſinnungen leicht verwiſcht und der gefähr¬
lichſte Prüfſtein für alle Liebe und Freundſchaft iſt. Chriſtine hatte
ein Recht, ihr Elend am Halſe des Einzigen auszuweinen, der ihr zu
Troſt und Hilfe verpflichtet war, und ſie machte von dieſem Rechte
fleißigen Gebrauch; auch war es natürlich, daß die Beſchwerden eines
Zuſtandes, der ſelbſt eine im Schoße des ungetrübten Glückes lebende
Frau zur Schwermuth reizen kann, das oft von den nothwendig¬
ſten Hilfsmitteln entblößte Mädchen maßlos unglücklich machten. All
dieſer Jammer ſtürmte auf Friedrich herein, der dem Gefühle ſeiner
Hilfloſigkeit bald in ſtumpfem Hinbrüten, bald in Ausbrüchen einer
wahnſinnigen Wuth gegen die herzloſe Zähigkeit der Welt den Lauf
ließ. Auf den Schwager, dem er einſt vertraut hatte, konnte er
ſchon längſt nicht mehr rechnen; derſelbe hatte ſich von ihm losgeſchält
und ihm erklärt, er wolle es nicht durch Parteimachen für eine Sache,
die er von Anfang an getadelt, mit ſeinem Schwiegervater verder¬
ben, auch hatte er ſeiner Frau unterſagt, ſich ihres Bruders ferner
anzunehmen.

Um dieſe Zeit lief die, Sonnenwirthin eines Tages in's Amthaus
um der Amtmännin zu erzählen, daß ihre älteſte Tochter, die Krä¬
merin, wenn der Herr Amtmann ſie nur vernehmen wollte, Greuel¬
dinge von dem ungerathenen Böſewicht ausſagen könnte. Der Amt¬
mann verſammelte, von ſeiner Frau angetrieben, ſeine beiden Urkunds¬
perſonen und ließ die Krämerin rufen, welche weinend vor ihm erſchien.
Ihr Bruder, gab ſie zu Protokoll, habe drei Gulden gefordert, damit
er ſein Memorial und Bericht zu Göppingen bekomme. Darauf habe
ſie ihm geſagt, ſie wolle nicht zum Vater gehen, weil ſie wiſſe, daß er
ſich bloß darüber erzürne; er ſolle ſeinen Pfleger ſchicken. Nun habe
er aber angefangen zu toben: er ſehe wohl, daß er's verloren habe,
morgen wolle er einen Rauſch trinken und ſein Meſſer ſchleifen, in
ſeines Vaters Haus hingehen und das Geld fordern, und wenn er's
nicht gebe, ihn niederſtechen, und wenn ſeine Mutter etwas ſage, ihr's
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[213/0229] ſie durch Arbeiten wenig und zuletzt nichts mehr zur Erhaltung der Familie, der ſie doch zehren half, beitragen konnte. Macht man ja doch nicht bloß in jenen Kreiſen des Lebens, welchen man das Vorrecht der Rohheit zugeſteht, die Erfahrung, daß die Noth die Zartheit der Geſinnungen leicht verwiſcht und der gefähr¬ lichſte Prüfſtein für alle Liebe und Freundſchaft iſt. Chriſtine hatte ein Recht, ihr Elend am Halſe des Einzigen auszuweinen, der ihr zu Troſt und Hilfe verpflichtet war, und ſie machte von dieſem Rechte fleißigen Gebrauch; auch war es natürlich, daß die Beſchwerden eines Zuſtandes, der ſelbſt eine im Schoße des ungetrübten Glückes lebende Frau zur Schwermuth reizen kann, das oft von den nothwendig¬ ſten Hilfsmitteln entblößte Mädchen maßlos unglücklich machten. All dieſer Jammer ſtürmte auf Friedrich herein, der dem Gefühle ſeiner Hilfloſigkeit bald in ſtumpfem Hinbrüten, bald in Ausbrüchen einer wahnſinnigen Wuth gegen die herzloſe Zähigkeit der Welt den Lauf ließ. Auf den Schwager, dem er einſt vertraut hatte, konnte er ſchon längſt nicht mehr rechnen; derſelbe hatte ſich von ihm losgeſchält und ihm erklärt, er wolle es nicht durch Parteimachen für eine Sache, die er von Anfang an getadelt, mit ſeinem Schwiegervater verder¬ ben, auch hatte er ſeiner Frau unterſagt, ſich ihres Bruders ferner anzunehmen. Um dieſe Zeit lief die, Sonnenwirthin eines Tages in's Amthaus um der Amtmännin zu erzählen, daß ihre älteſte Tochter, die Krä¬ merin, wenn der Herr Amtmann ſie nur vernehmen wollte, Greuel¬ dinge von dem ungerathenen Böſewicht ausſagen könnte. Der Amt¬ mann verſammelte, von ſeiner Frau angetrieben, ſeine beiden Urkunds¬ perſonen und ließ die Krämerin rufen, welche weinend vor ihm erſchien. Ihr Bruder, gab ſie zu Protokoll, habe drei Gulden gefordert, damit er ſein Memorial und Bericht zu Göppingen bekomme. Darauf habe ſie ihm geſagt, ſie wolle nicht zum Vater gehen, weil ſie wiſſe, daß er ſich bloß darüber erzürne; er ſolle ſeinen Pfleger ſchicken. Nun habe er aber angefangen zu toben: er ſehe wohl, daß er's verloren habe, morgen wolle er einen Rauſch trinken und ſein Meſſer ſchleifen, in ſeines Vaters Haus hingehen und das Geld fordern, und wenn er's nicht gebe, ihn niederſtechen, und wenn ſeine Mutter etwas ſage, ihr's auch ſo machen. Dann habe er Geld genug, und nehme Alles was

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/229>, abgerufen am 21.11.2024.