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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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Diese Verhältnisse ließen sich ja mit Geld abkaufen, bemerkte der
Amtmann, denn dazu ist gnädigste Herrschaft stets geneigt. Ohnehin
bestund es, in neuerer Zeit wenigstens, aber schon seit lange, in einer
jährlichen Geldabgabe. Früher mögen schwerere körperliche Leistungen
erfordert worden sein; da es mich nicht interessirt hat, so habe ich
auch nicht nachgeschlagen. Die prästirende Abgabe wurde dem Hans
Jerg Müller schon vor geraumer Zeit ob summam paupertatem,
wie er ja auch schon von der Gemeinde ex pio corpore Unterstützung
genossen hat, auf sein unterthänigstes Ansuchen nachgesehen, daher es
leicht möglich, daß er sich der Verhältnisse selbst nicht klar erinnert.
Das einfältige Volk weiß ja niemals wie es dran ist, noch auf welchen
Füßen es steht: die Beamten müssen es ihm sagen, was es zu leisten
schuldig ist, und müssen ihm zur Noth noch Bittschriften machen, wenn
es einige Linderung seiner Lage erzielen möchte. So habe ich auch Diesem
die betreffende Supplik aufgesetzt, um ihm das Geld zu ersparen, das er
einem Advocaten für die Schrift hätte geben müssen, und ihn vor den En¬
tenmaiern zu bewahren, den Winkeladvocaten, die der Leute Verderben sind.
Es ist recht undankbar von dem alten Habenichts, daß er, indirect wenig¬
stens, Ihren Stiefsohn in dessen Unfug und übler Aufführung steift;
aber auf Dank darf man ja bei diesem Volke nicht rechnen. Ich selbst
muß freilich von mir auch gestehen, daß ich die Sache bei mir mit den
Jahren habe in Vergessenheit kommen lassen; derlei verwickelte Ma¬
terien tauchen Einem allemal erst wieder auf, wenn man die Acten
nachschlägt. Summa Summarum ist jedoch so viel gewiß: der soge¬
nannte Hirschbauer ist nebst seinen Descendenten leibeigen, und zwar
haftet die Leibeigenschaft auf dem Haus. Ob nun, wie es bei diesem
Volke nicht ungewöhnlich, die Vererbung des Besitzes sammt der darauf
haftenden Last seit Generationen direct vom Vater auf den Sohn
stattgefunden hat, ob dabei Töchter hinausgegeben worden sind und ob
selbige durch die bloße Emancipation vom väterlichen Heerde in Folge
des eingegangenen matrimonii -- wobei sie ja bloß den Herren wech¬
seln, wie der Frau Sonnenwirthin selbst wissend sein wird, ha, ha! -- ob
sie schon hiedurch auch von der Leibeigenschaft emancipiret sind, oder
ob sie erst noch specialiter mit Gelde abgelöset werden müssen, ja,
darüber könnte man einen langen Prozeß führen, und wehe dem, der
die Kosten davon zu bezahlen hätte. Für mich ist jedenfalls so viel

Dieſe Verhältniſſe ließen ſich ja mit Geld abkaufen, bemerkte der
Amtmann, denn dazu iſt gnädigſte Herrſchaft ſtets geneigt. Ohnehin
beſtund es, in neuerer Zeit wenigſtens, aber ſchon ſeit lange, in einer
jährlichen Geldabgabe. Früher mögen ſchwerere körperliche Leiſtungen
erfordert worden ſein; da es mich nicht intereſſirt hat, ſo habe ich
auch nicht nachgeſchlagen. Die präſtirende Abgabe wurde dem Hans
Jerg Müller ſchon vor geraumer Zeit ob summam paupertatem,
wie er ja auch ſchon von der Gemeinde ex pio corpore Unterſtützung
genoſſen hat, auf ſein unterthänigſtes Anſuchen nachgeſehen, daher es
leicht möglich, daß er ſich der Verhältniſſe ſelbſt nicht klar erinnert.
Das einfältige Volk weiß ja niemals wie es dran iſt, noch auf welchen
Füßen es ſteht: die Beamten müſſen es ihm ſagen, was es zu leiſten
ſchuldig iſt, und müſſen ihm zur Noth noch Bittſchriften machen, wenn
es einige Linderung ſeiner Lage erzielen möchte. So habe ich auch Dieſem
die betreffende Supplik aufgeſetzt, um ihm das Geld zu erſparen, das er
einem Advocaten für die Schrift hätte geben müſſen, und ihn vor den En¬
tenmaiern zu bewahren, den Winkeladvocaten, die der Leute Verderben ſind.
Es iſt recht undankbar von dem alten Habenichts, daß er, indirect wenig¬
ſtens, Ihren Stiefſohn in deſſen Unfug und übler Aufführung ſteift;
aber auf Dank darf man ja bei dieſem Volke nicht rechnen. Ich ſelbſt
muß freilich von mir auch geſtehen, daß ich die Sache bei mir mit den
Jahren habe in Vergeſſenheit kommen laſſen; derlei verwickelte Ma¬
terien tauchen Einem allemal erſt wieder auf, wenn man die Acten
nachſchlägt. Summa Summarum iſt jedoch ſo viel gewiß: der ſoge¬
nannte Hirſchbauer iſt nebſt ſeinen Deſcendenten leibeigen, und zwar
haftet die Leibeigenſchaft auf dem Haus. Ob nun, wie es bei dieſem
Volke nicht ungewöhnlich, die Vererbung des Beſitzes ſammt der darauf
haftenden Laſt ſeit Generationen direct vom Vater auf den Sohn
ſtattgefunden hat, ob dabei Töchter hinausgegeben worden ſind und ob
ſelbige durch die bloße Emancipation vom väterlichen Heerde in Folge
des eingegangenen matrimonii — wobei ſie ja bloß den Herren wech¬
ſeln, wie der Frau Sonnenwirthin ſelbſt wiſſend ſein wird, ha, ha! — ob
ſie ſchon hiedurch auch von der Leibeigenſchaft emancipiret ſind, oder
ob ſie erſt noch specialiter mit Gelde abgelöſet werden müſſen, ja,
darüber könnte man einen langen Prozeß führen, und wehe dem, der
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[237/0253] Dieſe Verhältniſſe ließen ſich ja mit Geld abkaufen, bemerkte der Amtmann, denn dazu iſt gnädigſte Herrſchaft ſtets geneigt. Ohnehin beſtund es, in neuerer Zeit wenigſtens, aber ſchon ſeit lange, in einer jährlichen Geldabgabe. Früher mögen ſchwerere körperliche Leiſtungen erfordert worden ſein; da es mich nicht intereſſirt hat, ſo habe ich auch nicht nachgeſchlagen. Die präſtirende Abgabe wurde dem Hans Jerg Müller ſchon vor geraumer Zeit ob summam paupertatem, wie er ja auch ſchon von der Gemeinde ex pio corpore Unterſtützung genoſſen hat, auf ſein unterthänigſtes Anſuchen nachgeſehen, daher es leicht möglich, daß er ſich der Verhältniſſe ſelbſt nicht klar erinnert. Das einfältige Volk weiß ja niemals wie es dran iſt, noch auf welchen Füßen es ſteht: die Beamten müſſen es ihm ſagen, was es zu leiſten ſchuldig iſt, und müſſen ihm zur Noth noch Bittſchriften machen, wenn es einige Linderung ſeiner Lage erzielen möchte. So habe ich auch Dieſem die betreffende Supplik aufgeſetzt, um ihm das Geld zu erſparen, das er einem Advocaten für die Schrift hätte geben müſſen, und ihn vor den En¬ tenmaiern zu bewahren, den Winkeladvocaten, die der Leute Verderben ſind. Es iſt recht undankbar von dem alten Habenichts, daß er, indirect wenig¬ ſtens, Ihren Stiefſohn in deſſen Unfug und übler Aufführung ſteift; aber auf Dank darf man ja bei dieſem Volke nicht rechnen. Ich ſelbſt muß freilich von mir auch geſtehen, daß ich die Sache bei mir mit den Jahren habe in Vergeſſenheit kommen laſſen; derlei verwickelte Ma¬ terien tauchen Einem allemal erſt wieder auf, wenn man die Acten nachſchlägt. Summa Summarum iſt jedoch ſo viel gewiß: der ſoge¬ nannte Hirſchbauer iſt nebſt ſeinen Deſcendenten leibeigen, und zwar haftet die Leibeigenſchaft auf dem Haus. Ob nun, wie es bei dieſem Volke nicht ungewöhnlich, die Vererbung des Beſitzes ſammt der darauf haftenden Laſt ſeit Generationen direct vom Vater auf den Sohn ſtattgefunden hat, ob dabei Töchter hinausgegeben worden ſind und ob ſelbige durch die bloße Emancipation vom väterlichen Heerde in Folge des eingegangenen matrimonii — wobei ſie ja bloß den Herren wech¬ ſeln, wie der Frau Sonnenwirthin ſelbſt wiſſend ſein wird, ha, ha! — ob ſie ſchon hiedurch auch von der Leibeigenſchaft emancipiret ſind, oder ob ſie erſt noch specialiter mit Gelde abgelöſet werden müſſen, ja, darüber könnte man einen langen Prozeß führen, und wehe dem, der die Koſten davon zu bezahlen hätte. Für mich iſt jedenfalls ſo viel

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/253>, abgerufen am 22.11.2024.