Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite
26.

Rasselnd und donnernd fuhren eines Vormittags mehrere Jagd¬
equipagen die Straße herauf. Mitten im vollen Jagen hielt die vor¬
derste vor der Sonne und nöthigte dadurch die andern zu einem eben
so plötzlichen Halt. In der Sonne gab es ein Rennen und Jagen
Trepp' auf und ab. Der Herzog Karl selbst war es, der in der ersten
Kalesche saß und im raschen Vorbeijagen nach dem Schurwald einen
Trunk vom Besten begehrte. Die Ehre war groß, noch größer aber
die Eile, mit welcher der Befehl ausgeführt werden mußte, denn es
war bekannt, daß der Herr nicht gern wartete und weder im Großen
noch im Kleinen ein Hinderniß seines Willens gelten ließ. Der
Sonnenwirth flog daher wie ein Jüngling von achtzehn Jahren, und
wenig fehlte, so wäre er die Treppe hinabgefallen; doch brachte er den
alten Familienpokal glücklich an den Wagen. Sein Sohn sah vom
Fenster aus zu, wie ihn der Herzog in Empfang nahm und nach ei¬
nem guten Zuge wieder zurückgab; er sah, wie der junge Fürst gnä¬
dig, aber immer hastig mit seinem Vater sprach, wie dieser unter tau¬
send freudigen Bücklingen sich weigerte die Zeche zu machen, aber von
dem bei dem Herzog im Wagen sitzenden Hofherrn einen mit einem
gebieterischen Wink begleiteten Silberthaler annehmen mußte. Neu¬
gierig betrachtete er den von Jugend und Jagdlust strahlenden Landes¬
herrn, dessen Allmacht ihm die Zahl seiner Jahre voll machen und
doch den Wunsch seines Herzens nicht erfüllen konnte: das vornehme,
freie Gesicht mit den herrisch umherschweifenden hellblauen Augen
drückte eine machtbewußte Sorglosigkeit aus, welche die Freuden des
Lebens in vollen Zügen schlürfte und sich dabei um keinerlei Bedenken
zu kümmern hatte. So mußte es wenigstens einem jungen Menschen
erscheinen, dem die Kehrseite solcher Herrlichkeit verborgen blieb. Nur
ein Scherflein von dieser Freiheit und Ungebundenheit! seufzte er: ich
wollt' es ja nur dazu benutzen, um an meinem Weib und Kind ein
rechtschaffen Werk zu thun!

D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 16
26.

Raſſelnd und donnernd fuhren eines Vormittags mehrere Jagd¬
equipagen die Straße herauf. Mitten im vollen Jagen hielt die vor¬
derſte vor der Sonne und nöthigte dadurch die andern zu einem eben
ſo plötzlichen Halt. In der Sonne gab es ein Rennen und Jagen
Trepp' auf und ab. Der Herzog Karl ſelbſt war es, der in der erſten
Kaleſche ſaß und im raſchen Vorbeijagen nach dem Schurwald einen
Trunk vom Beſten begehrte. Die Ehre war groß, noch größer aber
die Eile, mit welcher der Befehl ausgeführt werden mußte, denn es
war bekannt, daß der Herr nicht gern wartete und weder im Großen
noch im Kleinen ein Hinderniß ſeines Willens gelten ließ. Der
Sonnenwirth flog daher wie ein Jüngling von achtzehn Jahren, und
wenig fehlte, ſo wäre er die Treppe hinabgefallen; doch brachte er den
alten Familienpokal glücklich an den Wagen. Sein Sohn ſah vom
Fenſter aus zu, wie ihn der Herzog in Empfang nahm und nach ei¬
nem guten Zuge wieder zurückgab; er ſah, wie der junge Fürſt gnä¬
dig, aber immer haſtig mit ſeinem Vater ſprach, wie dieſer unter tau¬
ſend freudigen Bücklingen ſich weigerte die Zeche zu machen, aber von
dem bei dem Herzog im Wagen ſitzenden Hofherrn einen mit einem
gebieteriſchen Wink begleiteten Silberthaler annehmen mußte. Neu¬
gierig betrachtete er den von Jugend und Jagdluſt ſtrahlenden Landes¬
herrn, deſſen Allmacht ihm die Zahl ſeiner Jahre voll machen und
doch den Wunſch ſeines Herzens nicht erfüllen konnte: das vornehme,
freie Geſicht mit den herriſch umherſchweifenden hellblauen Augen
drückte eine machtbewußte Sorgloſigkeit aus, welche die Freuden des
Lebens in vollen Zügen ſchlürfte und ſich dabei um keinerlei Bedenken
zu kümmern hatte. So mußte es wenigſtens einem jungen Menſchen
erſcheinen, dem die Kehrſeite ſolcher Herrlichkeit verborgen blieb. Nur
ein Scherflein von dieſer Freiheit und Ungebundenheit! ſeufzte er: ich
wollt' es ja nur dazu benutzen, um an meinem Weib und Kind ein
rechtſchaffen Werk zu thun!

D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 16
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0257" n="241"/>
      </div>
      <div n="1">
        <head>26.<lb/></head>
        <p>Ra&#x017F;&#x017F;elnd und donnernd fuhren eines Vormittags mehrere Jagd¬<lb/>
equipagen die Straße herauf. Mitten im vollen Jagen hielt die vor¬<lb/>
der&#x017F;te vor der Sonne und nöthigte dadurch die andern zu einem eben<lb/>
&#x017F;o plötzlichen Halt. In der Sonne gab es ein Rennen und Jagen<lb/>
Trepp' auf und ab. Der Herzog Karl &#x017F;elb&#x017F;t war es, der in der er&#x017F;ten<lb/>
Kale&#x017F;che &#x017F;aß und im ra&#x017F;chen Vorbeijagen nach dem Schurwald einen<lb/>
Trunk vom Be&#x017F;ten begehrte. Die Ehre war groß, noch größer aber<lb/>
die Eile, mit welcher der Befehl ausgeführt werden mußte, denn es<lb/>
war bekannt, daß der Herr nicht gern wartete und weder im Großen<lb/>
noch im Kleinen ein Hinderniß &#x017F;eines Willens gelten ließ. Der<lb/>
Sonnenwirth flog daher wie ein Jüngling von achtzehn Jahren, und<lb/>
wenig fehlte, &#x017F;o wäre er die Treppe hinabgefallen; doch brachte er den<lb/>
alten Familienpokal glücklich an den Wagen. Sein Sohn &#x017F;ah vom<lb/>
Fen&#x017F;ter aus zu, wie ihn der Herzog in Empfang nahm und nach ei¬<lb/>
nem guten Zuge wieder zurückgab; er &#x017F;ah, wie der junge Für&#x017F;t gnä¬<lb/>
dig, aber immer ha&#x017F;tig mit &#x017F;einem Vater &#x017F;prach, wie die&#x017F;er unter tau¬<lb/>
&#x017F;end freudigen Bücklingen &#x017F;ich weigerte die Zeche zu machen, aber von<lb/>
dem bei dem Herzog im Wagen &#x017F;itzenden Hofherrn einen mit einem<lb/>
gebieteri&#x017F;chen Wink begleiteten Silberthaler annehmen mußte. Neu¬<lb/>
gierig betrachtete er den von Jugend und Jagdlu&#x017F;t &#x017F;trahlenden Landes¬<lb/>
herrn, de&#x017F;&#x017F;en Allmacht ihm die Zahl &#x017F;einer Jahre voll machen und<lb/>
doch den Wun&#x017F;ch &#x017F;eines Herzens nicht erfüllen konnte: das vornehme,<lb/>
freie Ge&#x017F;icht mit den herri&#x017F;ch umher&#x017F;chweifenden hellblauen Augen<lb/>
drückte eine machtbewußte Sorglo&#x017F;igkeit aus, welche die Freuden des<lb/>
Lebens in vollen Zügen &#x017F;chlürfte und &#x017F;ich dabei um keinerlei Bedenken<lb/>
zu kümmern hatte. So mußte es wenig&#x017F;tens einem jungen Men&#x017F;chen<lb/>
er&#x017F;cheinen, dem die Kehr&#x017F;eite &#x017F;olcher Herrlichkeit verborgen blieb. Nur<lb/>
ein Scherflein von die&#x017F;er Freiheit und Ungebundenheit! &#x017F;eufzte er: ich<lb/>
wollt' es ja nur dazu benutzen, um an meinem Weib und Kind ein<lb/>
recht&#x017F;chaffen Werk zu thun!</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">D. B. <hi rendition="#aq">IV</hi>. Kurz, Sonnenwirth. 16<lb/></fw>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[241/0257] 26. Raſſelnd und donnernd fuhren eines Vormittags mehrere Jagd¬ equipagen die Straße herauf. Mitten im vollen Jagen hielt die vor¬ derſte vor der Sonne und nöthigte dadurch die andern zu einem eben ſo plötzlichen Halt. In der Sonne gab es ein Rennen und Jagen Trepp' auf und ab. Der Herzog Karl ſelbſt war es, der in der erſten Kaleſche ſaß und im raſchen Vorbeijagen nach dem Schurwald einen Trunk vom Beſten begehrte. Die Ehre war groß, noch größer aber die Eile, mit welcher der Befehl ausgeführt werden mußte, denn es war bekannt, daß der Herr nicht gern wartete und weder im Großen noch im Kleinen ein Hinderniß ſeines Willens gelten ließ. Der Sonnenwirth flog daher wie ein Jüngling von achtzehn Jahren, und wenig fehlte, ſo wäre er die Treppe hinabgefallen; doch brachte er den alten Familienpokal glücklich an den Wagen. Sein Sohn ſah vom Fenſter aus zu, wie ihn der Herzog in Empfang nahm und nach ei¬ nem guten Zuge wieder zurückgab; er ſah, wie der junge Fürſt gnä¬ dig, aber immer haſtig mit ſeinem Vater ſprach, wie dieſer unter tau¬ ſend freudigen Bücklingen ſich weigerte die Zeche zu machen, aber von dem bei dem Herzog im Wagen ſitzenden Hofherrn einen mit einem gebieteriſchen Wink begleiteten Silberthaler annehmen mußte. Neu¬ gierig betrachtete er den von Jugend und Jagdluſt ſtrahlenden Landes¬ herrn, deſſen Allmacht ihm die Zahl ſeiner Jahre voll machen und doch den Wunſch ſeines Herzens nicht erfüllen konnte: das vornehme, freie Geſicht mit den herriſch umherſchweifenden hellblauen Augen drückte eine machtbewußte Sorgloſigkeit aus, welche die Freuden des Lebens in vollen Zügen ſchlürfte und ſich dabei um keinerlei Bedenken zu kümmern hatte. So mußte es wenigſtens einem jungen Menſchen erſcheinen, dem die Kehrſeite ſolcher Herrlichkeit verborgen blieb. Nur ein Scherflein von dieſer Freiheit und Ungebundenheit! ſeufzte er: ich wollt' es ja nur dazu benutzen, um an meinem Weib und Kind ein rechtſchaffen Werk zu thun! D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 16

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/257
Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/257>, abgerufen am 22.11.2024.