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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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Wer wird denn da stehen und gucken, wenn's alle Händ' voll zu
thun gibt! rief eine Magd, die in die Stube stürzte. Die Herren in
den andern Kutschen wollen auch Wein. Fort! im Hausgang drunten
stehen schon Butellen g'nug, 's fehlt nur an Händen, um sie 'naus¬
zutragen.

Er eilte hinunter, ergriff mechanisch ein paar Flaschen und trug
sie vor das Haus, wo sein Vater so eben, trunken vor Glück, von
dem Wagen des abfahrenden Herzogs zurücktrat und, beständig compli¬
mentirend, seinem Sohne rücklings in die beladenen Arme taumelte.
In diesem Augenblick erhob sich ein Angstgeschrei. Das vordere Pferd
am herzoglichen Wagen, durch die neugierig umherwogende Menge oder
vielleicht durch irgend eine muthwillige Unthat der lieben Jugend scheu
gemacht, bäumte sich so unversehens und heftig, daß der Jagdpostillon
die Meisterschaft zu verlieren in Gefahr war und die andern Pferde
gleichfalls unruhig wurden. Das Geschrei der Menschen, besonders
aus den hintern Kaleschen, steigerte die Verwirrung der Thiere, der
Postillon schwankte im Sattel, die umstehenden Männer, die zufällig
keine Helden waren, wichen zurück und versperrten kräftigeren Händen
den Platz, so daß nachgerade die Sicherheit des Herzogs an einem
Haare hing. Da ließ Friedrich seine Flaschen fallen, daß sie klirrend
am Boden zerbrachen, mit einem Sprung hatte er sich des ungebär¬
digen Rosses bemächtigt, das ihn auf und nieder schleuderte, endlich
aber seiner markigen Hand sich fügen mußte. Als der stärkste Wider¬
stand des Thieres gebrochen war, sprang noch ein Knecht herbei, der
es vollends bändigen half, und nun kam Alles was Hände hatte, um
die überwundene Gefahr noch einmal zu überwinden. Der Herzog,
ärgerlich, daß seine Allgewalt vor den Augen der Sterblichen einen
kleinen Eintrag erlitten hatte, rief: Hat nichts zu sagen! Vorwärts!
Keine Umstände weiter! nickte aber im Fortfahren dem jungen Men¬
schen, der ihm diesen Dienst erwiesen, gnädig zu, griff dabei in die
Westentasche und warf ihm ein Goldstück hin, während der vordere
Postillon, seine wiedergewonnene Haltung mit verbissenem Grimm be¬
hauptend, die Peitsche gegen die herzudrängende Menge aufhob und
der Jagdzug in donnerndem Laufe davonbrauste. Ein Gelächter folgte
den unglücklichen Hofherren, die über dem Abenteuer ihres Gebieters
nichts zu trinken bekommen hatten und sich ohne Zögern anschließen

Wer wird denn da ſtehen und gucken, wenn's alle Händ' voll zu
thun gibt! rief eine Magd, die in die Stube ſtürzte. Die Herren in
den andern Kutſchen wollen auch Wein. Fort! im Hausgang drunten
ſtehen ſchon Butellen g'nug, 's fehlt nur an Händen, um ſie 'naus¬
zutragen.

Er eilte hinunter, ergriff mechaniſch ein paar Flaſchen und trug
ſie vor das Haus, wo ſein Vater ſo eben, trunken vor Glück, von
dem Wagen des abfahrenden Herzogs zurücktrat und, beſtändig compli¬
mentirend, ſeinem Sohne rücklings in die beladenen Arme taumelte.
In dieſem Augenblick erhob ſich ein Angſtgeſchrei. Das vordere Pferd
am herzoglichen Wagen, durch die neugierig umherwogende Menge oder
vielleicht durch irgend eine muthwillige Unthat der lieben Jugend ſcheu
gemacht, bäumte ſich ſo unverſehens und heftig, daß der Jagdpoſtillon
die Meiſterſchaft zu verlieren in Gefahr war und die andern Pferde
gleichfalls unruhig wurden. Das Geſchrei der Menſchen, beſonders
aus den hintern Kaleſchen, ſteigerte die Verwirrung der Thiere, der
Poſtillon ſchwankte im Sattel, die umſtehenden Männer, die zufällig
keine Helden waren, wichen zurück und verſperrten kräftigeren Händen
den Platz, ſo daß nachgerade die Sicherheit des Herzogs an einem
Haare hing. Da ließ Friedrich ſeine Flaſchen fallen, daß ſie klirrend
am Boden zerbrachen, mit einem Sprung hatte er ſich des ungebär¬
digen Roſſes bemächtigt, das ihn auf und nieder ſchleuderte, endlich
aber ſeiner markigen Hand ſich fügen mußte. Als der ſtärkſte Wider¬
ſtand des Thieres gebrochen war, ſprang noch ein Knecht herbei, der
es vollends bändigen half, und nun kam Alles was Hände hatte, um
die überwundene Gefahr noch einmal zu überwinden. Der Herzog,
ärgerlich, daß ſeine Allgewalt vor den Augen der Sterblichen einen
kleinen Eintrag erlitten hatte, rief: Hat nichts zu ſagen! Vorwärts!
Keine Umſtände weiter! nickte aber im Fortfahren dem jungen Men¬
ſchen, der ihm dieſen Dienſt erwieſen, gnädig zu, griff dabei in die
Weſtentaſche und warf ihm ein Goldſtück hin, während der vordere
Poſtillon, ſeine wiedergewonnene Haltung mit verbiſſenem Grimm be¬
hauptend, die Peitſche gegen die herzudrängende Menge aufhob und
der Jagdzug in donnerndem Laufe davonbrauste. Ein Gelächter folgte
den unglücklichen Hofherren, die über dem Abenteuer ihres Gebieters
nichts zu trinken bekommen hatten und ſich ohne Zögern anſchließen

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[242/0258] Wer wird denn da ſtehen und gucken, wenn's alle Händ' voll zu thun gibt! rief eine Magd, die in die Stube ſtürzte. Die Herren in den andern Kutſchen wollen auch Wein. Fort! im Hausgang drunten ſtehen ſchon Butellen g'nug, 's fehlt nur an Händen, um ſie 'naus¬ zutragen. Er eilte hinunter, ergriff mechaniſch ein paar Flaſchen und trug ſie vor das Haus, wo ſein Vater ſo eben, trunken vor Glück, von dem Wagen des abfahrenden Herzogs zurücktrat und, beſtändig compli¬ mentirend, ſeinem Sohne rücklings in die beladenen Arme taumelte. In dieſem Augenblick erhob ſich ein Angſtgeſchrei. Das vordere Pferd am herzoglichen Wagen, durch die neugierig umherwogende Menge oder vielleicht durch irgend eine muthwillige Unthat der lieben Jugend ſcheu gemacht, bäumte ſich ſo unverſehens und heftig, daß der Jagdpoſtillon die Meiſterſchaft zu verlieren in Gefahr war und die andern Pferde gleichfalls unruhig wurden. Das Geſchrei der Menſchen, beſonders aus den hintern Kaleſchen, ſteigerte die Verwirrung der Thiere, der Poſtillon ſchwankte im Sattel, die umſtehenden Männer, die zufällig keine Helden waren, wichen zurück und verſperrten kräftigeren Händen den Platz, ſo daß nachgerade die Sicherheit des Herzogs an einem Haare hing. Da ließ Friedrich ſeine Flaſchen fallen, daß ſie klirrend am Boden zerbrachen, mit einem Sprung hatte er ſich des ungebär¬ digen Roſſes bemächtigt, das ihn auf und nieder ſchleuderte, endlich aber ſeiner markigen Hand ſich fügen mußte. Als der ſtärkſte Wider¬ ſtand des Thieres gebrochen war, ſprang noch ein Knecht herbei, der es vollends bändigen half, und nun kam Alles was Hände hatte, um die überwundene Gefahr noch einmal zu überwinden. Der Herzog, ärgerlich, daß ſeine Allgewalt vor den Augen der Sterblichen einen kleinen Eintrag erlitten hatte, rief: Hat nichts zu ſagen! Vorwärts! Keine Umſtände weiter! nickte aber im Fortfahren dem jungen Men¬ ſchen, der ihm dieſen Dienſt erwieſen, gnädig zu, griff dabei in die Weſtentaſche und warf ihm ein Goldſtück hin, während der vordere Poſtillon, ſeine wiedergewonnene Haltung mit verbiſſenem Grimm be¬ hauptend, die Peitſche gegen die herzudrängende Menge aufhob und der Jagdzug in donnerndem Laufe davonbrauste. Ein Gelächter folgte den unglücklichen Hofherren, die über dem Abenteuer ihres Gebieters nichts zu trinken bekommen hatten und ſich ohne Zögern anſchließen

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/258>, abgerufen am 22.11.2024.