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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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desto höher konnte er in der Gunst des Herrn steigen. Posthalter von
Ebersbach! Der Alte konnte diesen Gedanken nicht aus dem Kopfe
bringen. Da war aber freilich immer wieder diese fatale Liebschaft
im Wege.

Während der Sonnenwirth solchen Gedanken nachhing und dazwi¬
schen wieder dem Essen zusprach, dachte sein Sohn an nichts als daß
morgen der dritte Sonntag sei, an welchem er hätte proclamirt wer¬
den sollen, und daß heute die Antwort auf seinen Brief aus Göp¬
pingen eintreffen müsse. Um dieselbe geheim zu halten, hatte er nicht
die Post, sondern einen Bekannten benützt, der in Geschäften droben
war und zu dieser Stunde zurückkommen sollte. Er stand vom Essen
auf und ging die Straße hin, um den Brief in Empfang zu nehmen,
mit welchem er sodann unter die Erlen an dem Flüßchen eilte. Der
Advocat schrieb, er mische sich nur höchst ungern in Händel zwischen
Kindern und Eltern, zudem scheine ihm die Sache sehr verwickelt, der
Ausgang ungewiß, und ohne einen Vorschuß könnte er sich nicht in
diese Geschichte einlassen. Abermals eine vereitelte Hoffnung! Er
knirschte mit den Zähnen, schüttelte einen alten Weidenbaum, daß er
in den Wurzeln krachte, und ging kranken Herzens, denn jetzt wußte
er nicht mehr womit er Christinens tägliches Wimmern stillen sollte,
in das väterliche Haus zurück.

Er war dort heute nichts weniger als überflüssig. Dieselbe Straße,
auf welcher des Herzogs leichte Kaleschen den Staub aufgewirbelt
hatten, kamen jetzt schwere Frachtwagen langsam vor die Sonne daher¬
gefahren. Friedrich half die Pferde ausschirren und versorgen. Dann
ging es an die leibliche Pflege der Fuhrleute, die keine geringen An¬
sprüche machten und mehr Geld sitzen ließen als der Herzog sammt
seinem ganzen Hof. Hier war die Sonnenwirthin an ihrem Platze.
Sie wußte nicht bloß das Bedürfniß und den Geschmack der Gäste zu
befriedigen, sondern auch eine Unterhaltung mit ihnen zu pflegen, bei
welcher wenigstens der Verstand nicht zu kurz kam, so daß einst ein
Fuhrmann zu seinen Gefährten sagte: So lieb mir Herz und Nieren
sind, so möcht' ich doch der Sonnenwirthin ihr Herz nicht fressen, denn
warum? Sie hat eben kein Kalbsherz, aber ihr Hirn, das thät' mir,
glaub' ich, schmecken, und bin doch dem Kalbskopf feind.

Kaum waren die Fuhrleute bedient und zum Theil nach ihren

deſto höher konnte er in der Gunſt des Herrn ſteigen. Poſthalter von
Ebersbach! Der Alte konnte dieſen Gedanken nicht aus dem Kopfe
bringen. Da war aber freilich immer wieder dieſe fatale Liebſchaft
im Wege.

Während der Sonnenwirth ſolchen Gedanken nachhing und dazwi¬
ſchen wieder dem Eſſen zuſprach, dachte ſein Sohn an nichts als daß
morgen der dritte Sonntag ſei, an welchem er hätte proclamirt wer¬
den ſollen, und daß heute die Antwort auf ſeinen Brief aus Göp¬
pingen eintreffen müſſe. Um dieſelbe geheim zu halten, hatte er nicht
die Poſt, ſondern einen Bekannten benützt, der in Geſchäften droben
war und zu dieſer Stunde zurückkommen ſollte. Er ſtand vom Eſſen
auf und ging die Straße hin, um den Brief in Empfang zu nehmen,
mit welchem er ſodann unter die Erlen an dem Flüßchen eilte. Der
Advocat ſchrieb, er miſche ſich nur höchſt ungern in Händel zwiſchen
Kindern und Eltern, zudem ſcheine ihm die Sache ſehr verwickelt, der
Ausgang ungewiß, und ohne einen Vorſchuß könnte er ſich nicht in
dieſe Geſchichte einlaſſen. Abermals eine vereitelte Hoffnung! Er
knirſchte mit den Zähnen, ſchüttelte einen alten Weidenbaum, daß er
in den Wurzeln krachte, und ging kranken Herzens, denn jetzt wußte
er nicht mehr womit er Chriſtinens tägliches Wimmern ſtillen ſollte,
in das väterliche Haus zurück.

Er war dort heute nichts weniger als überflüſſig. Dieſelbe Straße,
auf welcher des Herzogs leichte Kaleſchen den Staub aufgewirbelt
hatten, kamen jetzt ſchwere Frachtwagen langſam vor die Sonne daher¬
gefahren. Friedrich half die Pferde ausſchirren und verſorgen. Dann
ging es an die leibliche Pflege der Fuhrleute, die keine geringen An¬
ſprüche machten und mehr Geld ſitzen ließen als der Herzog ſammt
ſeinem ganzen Hof. Hier war die Sonnenwirthin an ihrem Platze.
Sie wußte nicht bloß das Bedürfniß und den Geſchmack der Gäſte zu
befriedigen, ſondern auch eine Unterhaltung mit ihnen zu pflegen, bei
welcher wenigſtens der Verſtand nicht zu kurz kam, ſo daß einſt ein
Fuhrmann zu ſeinen Gefährten ſagte: So lieb mir Herz und Nieren
ſind, ſo möcht' ich doch der Sonnenwirthin ihr Herz nicht freſſen, denn
warum? Sie hat eben kein Kalbsherz, aber ihr Hirn, das thät' mir,
glaub' ich, ſchmecken, und bin doch dem Kalbskopf feind.

Kaum waren die Fuhrleute bedient und zum Theil nach ihren

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[245/0261] deſto höher konnte er in der Gunſt des Herrn ſteigen. Poſthalter von Ebersbach! Der Alte konnte dieſen Gedanken nicht aus dem Kopfe bringen. Da war aber freilich immer wieder dieſe fatale Liebſchaft im Wege. Während der Sonnenwirth ſolchen Gedanken nachhing und dazwi¬ ſchen wieder dem Eſſen zuſprach, dachte ſein Sohn an nichts als daß morgen der dritte Sonntag ſei, an welchem er hätte proclamirt wer¬ den ſollen, und daß heute die Antwort auf ſeinen Brief aus Göp¬ pingen eintreffen müſſe. Um dieſelbe geheim zu halten, hatte er nicht die Poſt, ſondern einen Bekannten benützt, der in Geſchäften droben war und zu dieſer Stunde zurückkommen ſollte. Er ſtand vom Eſſen auf und ging die Straße hin, um den Brief in Empfang zu nehmen, mit welchem er ſodann unter die Erlen an dem Flüßchen eilte. Der Advocat ſchrieb, er miſche ſich nur höchſt ungern in Händel zwiſchen Kindern und Eltern, zudem ſcheine ihm die Sache ſehr verwickelt, der Ausgang ungewiß, und ohne einen Vorſchuß könnte er ſich nicht in dieſe Geſchichte einlaſſen. Abermals eine vereitelte Hoffnung! Er knirſchte mit den Zähnen, ſchüttelte einen alten Weidenbaum, daß er in den Wurzeln krachte, und ging kranken Herzens, denn jetzt wußte er nicht mehr womit er Chriſtinens tägliches Wimmern ſtillen ſollte, in das väterliche Haus zurück. Er war dort heute nichts weniger als überflüſſig. Dieſelbe Straße, auf welcher des Herzogs leichte Kaleſchen den Staub aufgewirbelt hatten, kamen jetzt ſchwere Frachtwagen langſam vor die Sonne daher¬ gefahren. Friedrich half die Pferde ausſchirren und verſorgen. Dann ging es an die leibliche Pflege der Fuhrleute, die keine geringen An¬ ſprüche machten und mehr Geld ſitzen ließen als der Herzog ſammt ſeinem ganzen Hof. Hier war die Sonnenwirthin an ihrem Platze. Sie wußte nicht bloß das Bedürfniß und den Geſchmack der Gäſte zu befriedigen, ſondern auch eine Unterhaltung mit ihnen zu pflegen, bei welcher wenigſtens der Verſtand nicht zu kurz kam, ſo daß einſt ein Fuhrmann zu ſeinen Gefährten ſagte: So lieb mir Herz und Nieren ſind, ſo möcht' ich doch der Sonnenwirthin ihr Herz nicht freſſen, denn warum? Sie hat eben kein Kalbsherz, aber ihr Hirn, das thät' mir, glaub' ich, ſchmecken, und bin doch dem Kalbskopf feind. Kaum waren die Fuhrleute bedient und zum Theil nach ihren

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/261>, abgerufen am 22.11.2024.