Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

sterb', so sitz'st in meinem ganzen Brod und kannst sie holen. Sag'
dir's selber, ob du hier auch nur so viel voraussehen kannst.

Friedrich hielt seine Flaschen krampfhaft fest. Es arbeitete mäch¬
tig in ihm. Der Vorschlag, das erkannte er wohl, war ein rettender
Ausweg, aber er wurde so plötzlich und unvorbereitet damit überrascht,
daß sein sonst schneller Geist wie gelähmt war. Wohl hatte er mit
leichter Zunge von Verzicht auf seines Vaters Haus und Erbe ge¬
sprochen, aber jetzt, wo die Wirklichkeit ihn auf die Probe stellte, schien
ihm der Schritt doch ziemlich schwer.

Der Alte, der seinen Kampf beobachtet hatte, fuhr fort: Wenn
du nicht willst, so hilf mir wenigstens meine Gäul' aus dem Stall
bringen.

Die sind aber noch lang nicht ausgeruht, sagte Friedrich, sie wer¬
den noch nicht einmal ganz gefressen haben.

Ich bleib' auch noch im Ort, murrte der Alte.

Was? rief Friedrich, der erst jetzt den Sinn der Rede begriff, Ihr
wollet die Sonne aufgeben, wo Ihr mehr als zwanzig Jahr' lang
Gast gewesen seid? Wer vertreibt Euch denn?

Die Sonne scheint mir zu heiß für meine alte Tag', ich will's
im Stern probiren. Mach' nur vorwärts, ich will mir nicht zum
zweitenmal ausbieten lassen in dem Haus da. Ich schwätz' viel zu
lang, hab' in acht Tag' nicht so viel Wort' gemacht.

Nein, Jakob, sagte Friedrich, so gern ich Euch in Allem zu Willen
wär', das thu' ich nicht. Hat mein Vater Euch beleidiget oder gar
Euch das Haus verboten, und vielleicht um meinetwillen, denn so was
schwebt mir vor, so will ich wenigstens keinen Finger dazu rühren,
daß mein Haus um einen Freund ärmer wird. Wenn Ihr durchaus
fort wollet oder müsset, was Ihr selber am besten verstehen werdet,
so müsset Ihr den Knecht zu Hilf' nehmen. Ich führ' Euch keinen
Gaul aus'm Stall -- und Ihr werdet mir glauben, daß mir's dabei
nicht um den Nutzen ist.

Der Alte fuhr sich mit dem rauhen Rücken der Hand über die
Augen. So eine abschlägige Antwort, sagte er, muß ich mir gefallen
lassen. Aber ich wiederhol's noch einmal: komm mit mir, und komm
gleich. Nicht daß mich's nachher reuen könnt', aber ich spür', 's ist
ein Unglück im Anzug. Du weißt, in mir ist ein Geist, der mir

ſterb', ſo ſitz'ſt in meinem ganzen Brod und kannſt ſie holen. Sag'
dir's ſelber, ob du hier auch nur ſo viel vorausſehen kannſt.

Friedrich hielt ſeine Flaſchen krampfhaft feſt. Es arbeitete mäch¬
tig in ihm. Der Vorſchlag, das erkannte er wohl, war ein rettender
Ausweg, aber er wurde ſo plötzlich und unvorbereitet damit überraſcht,
daß ſein ſonſt ſchneller Geiſt wie gelähmt war. Wohl hatte er mit
leichter Zunge von Verzicht auf ſeines Vaters Haus und Erbe ge¬
ſprochen, aber jetzt, wo die Wirklichkeit ihn auf die Probe ſtellte, ſchien
ihm der Schritt doch ziemlich ſchwer.

Der Alte, der ſeinen Kampf beobachtet hatte, fuhr fort: Wenn
du nicht willſt, ſo hilf mir wenigſtens meine Gäul' aus dem Stall
bringen.

Die ſind aber noch lang nicht ausgeruht, ſagte Friedrich, ſie wer¬
den noch nicht einmal ganz gefreſſen haben.

Ich bleib' auch noch im Ort, murrte der Alte.

Was? rief Friedrich, der erſt jetzt den Sinn der Rede begriff, Ihr
wollet die Sonne aufgeben, wo Ihr mehr als zwanzig Jahr' lang
Gaſt geweſen ſeid? Wer vertreibt Euch denn?

Die Sonne ſcheint mir zu heiß für meine alte Tag', ich will's
im Stern probiren. Mach' nur vorwärts, ich will mir nicht zum
zweitenmal ausbieten laſſen in dem Haus da. Ich ſchwätz' viel zu
lang, hab' in acht Tag' nicht ſo viel Wort' gemacht.

Nein, Jakob, ſagte Friedrich, ſo gern ich Euch in Allem zu Willen
wär', das thu' ich nicht. Hat mein Vater Euch beleidiget oder gar
Euch das Haus verboten, und vielleicht um meinetwillen, denn ſo was
ſchwebt mir vor, ſo will ich wenigſtens keinen Finger dazu rühren,
daß mein Haus um einen Freund ärmer wird. Wenn Ihr durchaus
fort wollet oder müſſet, was Ihr ſelber am beſten verſtehen werdet,
ſo müſſet Ihr den Knecht zu Hilf' nehmen. Ich führ' Euch keinen
Gaul aus'm Stall — und Ihr werdet mir glauben, daß mir's dabei
nicht um den Nutzen iſt.

Der Alte fuhr ſich mit dem rauhen Rücken der Hand über die
Augen. So eine abſchlägige Antwort, ſagte er, muß ich mir gefallen
laſſen. Aber ich wiederhol's noch einmal: komm mit mir, und komm
gleich. Nicht daß mich's nachher reuen könnt', aber ich ſpür', 's iſt
ein Unglück im Anzug. Du weißt, in mir iſt ein Geiſt, der mir

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0267" n="251"/>
&#x017F;terb', &#x017F;o &#x017F;itz'&#x017F;t in meinem ganzen Brod und kann&#x017F;t &#x017F;ie holen. Sag'<lb/>
dir's &#x017F;elber, ob du hier auch nur <hi rendition="#g">&#x017F;o</hi> viel voraus&#x017F;ehen kann&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Friedrich hielt &#x017F;eine Fla&#x017F;chen krampfhaft fe&#x017F;t. Es arbeitete mäch¬<lb/>
tig in ihm. Der Vor&#x017F;chlag, das erkannte er wohl, war ein rettender<lb/>
Ausweg, aber er wurde &#x017F;o plötzlich und unvorbereitet damit überra&#x017F;cht,<lb/>
daß &#x017F;ein &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;chneller Gei&#x017F;t wie gelähmt war. Wohl hatte er mit<lb/>
leichter Zunge von Verzicht auf &#x017F;eines Vaters Haus und Erbe ge¬<lb/>
&#x017F;prochen, aber jetzt, wo die Wirklichkeit ihn auf die Probe &#x017F;tellte, &#x017F;chien<lb/>
ihm der Schritt doch ziemlich &#x017F;chwer.</p><lb/>
        <p>Der Alte, der &#x017F;einen Kampf beobachtet hatte, fuhr fort: Wenn<lb/>
du nicht will&#x017F;t, &#x017F;o hilf mir wenig&#x017F;tens meine Gäul' aus dem Stall<lb/>
bringen.</p><lb/>
        <p>Die &#x017F;ind aber noch lang nicht ausgeruht, &#x017F;agte Friedrich, &#x017F;ie wer¬<lb/>
den noch nicht einmal ganz gefre&#x017F;&#x017F;en haben.</p><lb/>
        <p>Ich bleib' auch noch im Ort, murrte der Alte.</p><lb/>
        <p>Was? rief Friedrich, der er&#x017F;t jetzt den Sinn der Rede begriff, Ihr<lb/>
wollet die Sonne aufgeben, wo Ihr mehr als zwanzig Jahr' lang<lb/>
Ga&#x017F;t gewe&#x017F;en &#x017F;eid? Wer vertreibt Euch denn?</p><lb/>
        <p>Die Sonne &#x017F;cheint mir zu heiß für meine alte Tag', ich will's<lb/>
im Stern probiren. Mach' nur vorwärts, ich will mir nicht zum<lb/>
zweitenmal ausbieten la&#x017F;&#x017F;en in dem Haus da. Ich &#x017F;chwätz' viel zu<lb/>
lang, hab' in acht Tag' nicht &#x017F;o viel Wort' gemacht.</p><lb/>
        <p>Nein, Jakob, &#x017F;agte Friedrich, &#x017F;o gern ich Euch in Allem zu Willen<lb/>
wär', <hi rendition="#g">das</hi> thu' ich nicht. Hat mein Vater Euch beleidiget oder gar<lb/>
Euch das Haus verboten, und vielleicht um meinetwillen, denn &#x017F;o was<lb/>
&#x017F;chwebt mir vor, &#x017F;o will ich wenig&#x017F;tens keinen Finger dazu rühren,<lb/>
daß mein Haus um einen Freund ärmer wird. Wenn Ihr durchaus<lb/>
fort wollet oder mü&#x017F;&#x017F;et, was Ihr &#x017F;elber am be&#x017F;ten ver&#x017F;tehen werdet,<lb/>
&#x017F;o mü&#x017F;&#x017F;et Ihr den Knecht zu Hilf' nehmen. Ich führ' Euch keinen<lb/>
Gaul aus'm Stall &#x2014; und Ihr werdet mir glauben, daß mir's dabei<lb/>
nicht um den Nutzen i&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Der Alte fuhr &#x017F;ich mit dem rauhen Rücken der Hand über die<lb/>
Augen. <hi rendition="#g">So</hi> eine ab&#x017F;chlägige Antwort, &#x017F;agte er, muß ich mir gefallen<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en. Aber ich wiederhol's noch einmal: komm mit mir, und komm<lb/>
gleich. Nicht daß mich's nachher reuen könnt', aber ich &#x017F;pür', 's i&#x017F;t<lb/>
ein Unglück im Anzug. Du weißt, in mir i&#x017F;t ein Gei&#x017F;t, der mir<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[251/0267] ſterb', ſo ſitz'ſt in meinem ganzen Brod und kannſt ſie holen. Sag' dir's ſelber, ob du hier auch nur ſo viel vorausſehen kannſt. Friedrich hielt ſeine Flaſchen krampfhaft feſt. Es arbeitete mäch¬ tig in ihm. Der Vorſchlag, das erkannte er wohl, war ein rettender Ausweg, aber er wurde ſo plötzlich und unvorbereitet damit überraſcht, daß ſein ſonſt ſchneller Geiſt wie gelähmt war. Wohl hatte er mit leichter Zunge von Verzicht auf ſeines Vaters Haus und Erbe ge¬ ſprochen, aber jetzt, wo die Wirklichkeit ihn auf die Probe ſtellte, ſchien ihm der Schritt doch ziemlich ſchwer. Der Alte, der ſeinen Kampf beobachtet hatte, fuhr fort: Wenn du nicht willſt, ſo hilf mir wenigſtens meine Gäul' aus dem Stall bringen. Die ſind aber noch lang nicht ausgeruht, ſagte Friedrich, ſie wer¬ den noch nicht einmal ganz gefreſſen haben. Ich bleib' auch noch im Ort, murrte der Alte. Was? rief Friedrich, der erſt jetzt den Sinn der Rede begriff, Ihr wollet die Sonne aufgeben, wo Ihr mehr als zwanzig Jahr' lang Gaſt geweſen ſeid? Wer vertreibt Euch denn? Die Sonne ſcheint mir zu heiß für meine alte Tag', ich will's im Stern probiren. Mach' nur vorwärts, ich will mir nicht zum zweitenmal ausbieten laſſen in dem Haus da. Ich ſchwätz' viel zu lang, hab' in acht Tag' nicht ſo viel Wort' gemacht. Nein, Jakob, ſagte Friedrich, ſo gern ich Euch in Allem zu Willen wär', das thu' ich nicht. Hat mein Vater Euch beleidiget oder gar Euch das Haus verboten, und vielleicht um meinetwillen, denn ſo was ſchwebt mir vor, ſo will ich wenigſtens keinen Finger dazu rühren, daß mein Haus um einen Freund ärmer wird. Wenn Ihr durchaus fort wollet oder müſſet, was Ihr ſelber am beſten verſtehen werdet, ſo müſſet Ihr den Knecht zu Hilf' nehmen. Ich führ' Euch keinen Gaul aus'm Stall — und Ihr werdet mir glauben, daß mir's dabei nicht um den Nutzen iſt. Der Alte fuhr ſich mit dem rauhen Rücken der Hand über die Augen. So eine abſchlägige Antwort, ſagte er, muß ich mir gefallen laſſen. Aber ich wiederhol's noch einmal: komm mit mir, und komm gleich. Nicht daß mich's nachher reuen könnt', aber ich ſpür', 's iſt ein Unglück im Anzug. Du weißt, in mir iſt ein Geiſt, der mir

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/267
Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/267>, abgerufen am 24.11.2024.