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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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geeilt kam; denn der Vorrath von vorhin war bereits ausgetrunken.
Doch fand er die Gesellschaft in munterer Unterhaltung begriffen.
Sein Vater hatte den Familienpokal geholt, aus welchem der Herzog
heute getrunken; derselbe ging von Hand zu Hand und mußte dann
noch einmal gefüllt die Runde machen, da Jedes einen gewissen Reiz
dabei empfand, das Gefäß, das die landesherrlichen Lippen berührt
hatten, an den Mund zu setzen. Von dem Herrn selbst sprach man
in verdeckten Wendungen und halben Andeutungen, wie jung er noch
sei und wie lebenslustig, und wie viel man noch von ihm hoffen könne,
wenn er einmal älter sein werde; denn die Menschen bauen ja stets
auf die Zukunft: bei der Jugend bauen sie auf das Alter und beim
Alter auf die Jugend Derer, die dem folgenden Geschlecht angehören
werden. Aber auch von der Gegenwart wurde gesprochen, von den
Frucht- und Brodpreisen und ähnlichen Gegenständen, die Keinem ge¬
ring scheinen dürfen, weil bei der allgemeinen Ernährung Alle be¬
theiligt sind. Gleichwohl zeigte der Sonnenwirth, der sich um diese
Dinge sonst oft mehr bekümmerte, als um manche andre noch wich¬
tigere, heute auffallend wenig Sinn dafür. Die Brautschaft des jungen
Müllers und die Vergleichung derselben mit der Liebschaft seines Soh¬
nes war es, was ihm beständig im Kopfe herumging. Die Braut
gefiel ihm über die Maßen wohl. Der herrschenden Sitte gemäß
sprach sie äußerst selten, beinahe nur wenn sie gefragt wurde; und es
däuchte dem Sonnenwirth früh genug, wenn Eine erst als verheirathete
Frau "das Maul brauchen lerne". Was sie sprach, das schien ihm
"eine Heimath zu haben"; und es klang auch mitunter so rund wie
ein harter Thaler. Bei lustigen Anlässen brach sie in ein schallendes
Gelächter aus, das ihm zu ihren weißen Zähnen und derbrothen
Wangen ganz prächtig zu stehen schien. Von der Braut mußte er
wieder auf den Bräutigam blicken, der in der Fülle seines Glückes
neben ihr saß und das einemal leise Liebesworte mit ihr wechselte,
das andremal wieder lebhaft zu der Unterhaltung der Gesellschaft bei¬
trug, deren Bewirthung er übernommen hatte. Der Sonnenwirth er¬
innerte sich, daß er diesem jungen Manne einst seine Tochter vorent¬
halten, und konnte gar wohl ermessen, daß in der Ehre, die er ihm
mit seinem Besuch anthat, auch eine kleine Bosheit verborgen sein
mochte, daß er da, wo man ihn einst, wenn auch in noch so leiser und

geeilt kam; denn der Vorrath von vorhin war bereits ausgetrunken.
Doch fand er die Geſellſchaft in munterer Unterhaltung begriffen.
Sein Vater hatte den Familienpokal geholt, aus welchem der Herzog
heute getrunken; derſelbe ging von Hand zu Hand und mußte dann
noch einmal gefüllt die Runde machen, da Jedes einen gewiſſen Reiz
dabei empfand, das Gefäß, das die landesherrlichen Lippen berührt
hatten, an den Mund zu ſetzen. Von dem Herrn ſelbſt ſprach man
in verdeckten Wendungen und halben Andeutungen, wie jung er noch
ſei und wie lebensluſtig, und wie viel man noch von ihm hoffen könne,
wenn er einmal älter ſein werde; denn die Menſchen bauen ja ſtets
auf die Zukunft: bei der Jugend bauen ſie auf das Alter und beim
Alter auf die Jugend Derer, die dem folgenden Geſchlecht angehören
werden. Aber auch von der Gegenwart wurde geſprochen, von den
Frucht- und Brodpreiſen und ähnlichen Gegenſtänden, die Keinem ge¬
ring ſcheinen dürfen, weil bei der allgemeinen Ernährung Alle be¬
theiligt ſind. Gleichwohl zeigte der Sonnenwirth, der ſich um dieſe
Dinge ſonſt oft mehr bekümmerte, als um manche andre noch wich¬
tigere, heute auffallend wenig Sinn dafür. Die Brautſchaft des jungen
Müllers und die Vergleichung derſelben mit der Liebſchaft ſeines Soh¬
nes war es, was ihm beſtändig im Kopfe herumging. Die Braut
gefiel ihm über die Maßen wohl. Der herrſchenden Sitte gemäß
ſprach ſie äußerſt ſelten, beinahe nur wenn ſie gefragt wurde; und es
däuchte dem Sonnenwirth früh genug, wenn Eine erſt als verheirathete
Frau „das Maul brauchen lerne“. Was ſie ſprach, das ſchien ihm
„eine Heimath zu haben“; und es klang auch mitunter ſo rund wie
ein harter Thaler. Bei luſtigen Anläſſen brach ſie in ein ſchallendes
Gelächter aus, das ihm zu ihren weißen Zähnen und derbrothen
Wangen ganz prächtig zu ſtehen ſchien. Von der Braut mußte er
wieder auf den Bräutigam blicken, der in der Fülle ſeines Glückes
neben ihr ſaß und das einemal leiſe Liebesworte mit ihr wechſelte,
das andremal wieder lebhaft zu der Unterhaltung der Geſellſchaft bei¬
trug, deren Bewirthung er übernommen hatte. Der Sonnenwirth er¬
innerte ſich, daß er dieſem jungen Manne einſt ſeine Tochter vorent¬
halten, und konnte gar wohl ermeſſen, daß in der Ehre, die er ihm
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[253/0269] geeilt kam; denn der Vorrath von vorhin war bereits ausgetrunken. Doch fand er die Geſellſchaft in munterer Unterhaltung begriffen. Sein Vater hatte den Familienpokal geholt, aus welchem der Herzog heute getrunken; derſelbe ging von Hand zu Hand und mußte dann noch einmal gefüllt die Runde machen, da Jedes einen gewiſſen Reiz dabei empfand, das Gefäß, das die landesherrlichen Lippen berührt hatten, an den Mund zu ſetzen. Von dem Herrn ſelbſt ſprach man in verdeckten Wendungen und halben Andeutungen, wie jung er noch ſei und wie lebensluſtig, und wie viel man noch von ihm hoffen könne, wenn er einmal älter ſein werde; denn die Menſchen bauen ja ſtets auf die Zukunft: bei der Jugend bauen ſie auf das Alter und beim Alter auf die Jugend Derer, die dem folgenden Geſchlecht angehören werden. Aber auch von der Gegenwart wurde geſprochen, von den Frucht- und Brodpreiſen und ähnlichen Gegenſtänden, die Keinem ge¬ ring ſcheinen dürfen, weil bei der allgemeinen Ernährung Alle be¬ theiligt ſind. Gleichwohl zeigte der Sonnenwirth, der ſich um dieſe Dinge ſonſt oft mehr bekümmerte, als um manche andre noch wich¬ tigere, heute auffallend wenig Sinn dafür. Die Brautſchaft des jungen Müllers und die Vergleichung derſelben mit der Liebſchaft ſeines Soh¬ nes war es, was ihm beſtändig im Kopfe herumging. Die Braut gefiel ihm über die Maßen wohl. Der herrſchenden Sitte gemäß ſprach ſie äußerſt ſelten, beinahe nur wenn ſie gefragt wurde; und es däuchte dem Sonnenwirth früh genug, wenn Eine erſt als verheirathete Frau „das Maul brauchen lerne“. Was ſie ſprach, das ſchien ihm „eine Heimath zu haben“; und es klang auch mitunter ſo rund wie ein harter Thaler. Bei luſtigen Anläſſen brach ſie in ein ſchallendes Gelächter aus, das ihm zu ihren weißen Zähnen und derbrothen Wangen ganz prächtig zu ſtehen ſchien. Von der Braut mußte er wieder auf den Bräutigam blicken, der in der Fülle ſeines Glückes neben ihr ſaß und das einemal leiſe Liebesworte mit ihr wechſelte, das andremal wieder lebhaft zu der Unterhaltung der Geſellſchaft bei¬ trug, deren Bewirthung er übernommen hatte. Der Sonnenwirth er¬ innerte ſich, daß er dieſem jungen Manne einſt ſeine Tochter vorent¬ halten, und konnte gar wohl ermeſſen, daß in der Ehre, die er ihm mit ſeinem Beſuch anthat, auch eine kleine Bosheit verborgen ſein mochte, daß er da, wo man ihn einſt, wenn auch in noch ſo leiſer und

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/269>, abgerufen am 22.11.2024.