Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Dornen, oder Feigen von den Disteln? Jetzt hat er's und muß zu¬
sehen, wie der Sohn seines Vaters ruhmwürdiges Wirthshaus blamirt.
Ist's nicht so, Adlerwirthin?

'S ist eben e' Welt, antwortete diese, welche sich nicht näher in
kitzliche Erörterungen einlassen wollte. Jetzt kann ich mich aber nicht
länger aufhalten, denn es will Abend werden, heißt's im Evangelium,
und der Tag hat sich geneigt. Meine Leut' werden ungeduldig, sie
wollen fort. Ja, ja, ich komm' ja! winkte sie gegen ein Häuflein der
Umstehenden hin, worunter sich die Ihrigen befanden. B'hüt' Gott,
Kreuzwirth, Ihr wisset ja, der Mensch will eben heim.

Unterdessen hatte man den gefangenen Wildling in das Rathhaus
geschleppt, wo man ihn gebunden, wie er war, in ein Gelaß warf
und liegen ließ. Der Bursche scheint mir ziemlich betrunken zu sein,
sagte der Amtmann: er mag seinen Rausch ausschlafen, dann will ich
ihn morgen Vormittag verhören. Der Herr Pfarrer wird nichts da¬
gegen haben, wenn man einmal am Sonntag Justiz ausübt und ein
nöthiges Exempel statuirt. Nun wollen wir aber gleich heute noch
mit dem Allernöthigsten beginnen. -- Er ließ zwei Urkundspersonen ru¬
fen und begann sofort eifrig zu amten; denn wie der Staat im Für¬
sten, so war in ihm die Gemeinde aufgegangen, ja noch weit mehr.
Gleichwie ein absterbender alter Baum, dessen Stamm nach unten schon
mürbe und hohl geworden ist, doch in manchem Frühling durch seinen
grünen Wipfel zeigt, daß die Wurzel noch frischen Saft nach der
Krone zu treiben vermag, so war von der alten wirtembergischen,
aus schwäbisch-deutschem Recht erwachsenen Verfassung an der Spitze
des Staatslebens ein Rest zurückgeblieben, der, neben argem Scheinholz
zwar, noch lebendige Bestandtheile enthielt und dem giftigen Pfropf¬
reise der fürstlichen Alleinherrschaft empfindliche Hindernisse zu bereiten
wußte, während das Gemeindeleben beinahe völlig vom Wurm zer¬
fressen und ertödtet war. Die Gemeindebehörde, bestehend in Gericht
und Rath, den morschen Ueberresten des altdeutschen Gleichgewichts
von Gewalt und Beschränkung, war, in den größeren Ortschaften we¬
nigstens, unter das Regiment eines fürstlichen Beamten gestellt; sie
hatte zwar nicht ganz nichts, aber doch herzlich wenig zu sagen, und
war von der Wurzel des Gemeindelebens losgerissen, denn sie pflanzte
sich, wie der dem Fürsten zur Aufsicht beigegebene ständische Ausschuß,

Dornen, oder Feigen von den Diſteln? Jetzt hat er's und muß zu¬
ſehen, wie der Sohn ſeines Vaters ruhmwürdiges Wirthshaus blamirt.
Iſt's nicht ſo, Adlerwirthin?

'S iſt eben e' Welt, antwortete dieſe, welche ſich nicht näher in
kitzliche Erörterungen einlaſſen wollte. Jetzt kann ich mich aber nicht
länger aufhalten, denn es will Abend werden, heißt's im Evangelium,
und der Tag hat ſich geneigt. Meine Leut' werden ungeduldig, ſie
wollen fort. Ja, ja, ich komm' ja! winkte ſie gegen ein Häuflein der
Umſtehenden hin, worunter ſich die Ihrigen befanden. B'hüt' Gott,
Kreuzwirth, Ihr wiſſet ja, der Menſch will eben heim.

Unterdeſſen hatte man den gefangenen Wildling in das Rathhaus
geſchleppt, wo man ihn gebunden, wie er war, in ein Gelaß warf
und liegen ließ. Der Burſche ſcheint mir ziemlich betrunken zu ſein,
ſagte der Amtmann: er mag ſeinen Rauſch ausſchlafen, dann will ich
ihn morgen Vormittag verhören. Der Herr Pfarrer wird nichts da¬
gegen haben, wenn man einmal am Sonntag Juſtiz ausübt und ein
nöthiges Exempel ſtatuirt. Nun wollen wir aber gleich heute noch
mit dem Allernöthigſten beginnen. — Er ließ zwei Urkundsperſonen ru¬
fen und begann ſofort eifrig zu amten; denn wie der Staat im Für¬
ſten, ſo war in ihm die Gemeinde aufgegangen, ja noch weit mehr.
Gleichwie ein abſterbender alter Baum, deſſen Stamm nach unten ſchon
mürbe und hohl geworden iſt, doch in manchem Frühling durch ſeinen
grünen Wipfel zeigt, daß die Wurzel noch friſchen Saft nach der
Krone zu treiben vermag, ſo war von der alten wirtembergiſchen,
aus ſchwäbiſch-deutſchem Recht erwachſenen Verfaſſung an der Spitze
des Staatslebens ein Reſt zurückgeblieben, der, neben argem Scheinholz
zwar, noch lebendige Beſtandtheile enthielt und dem giftigen Pfropf¬
reiſe der fürſtlichen Alleinherrſchaft empfindliche Hinderniſſe zu bereiten
wußte, während das Gemeindeleben beinahe völlig vom Wurm zer¬
freſſen und ertödtet war. Die Gemeindebehörde, beſtehend in Gericht
und Rath, den morſchen Ueberreſten des altdeutſchen Gleichgewichts
von Gewalt und Beſchränkung, war, in den größeren Ortſchaften we¬
nigſtens, unter das Regiment eines fürſtlichen Beamten geſtellt; ſie
hatte zwar nicht ganz nichts, aber doch herzlich wenig zu ſagen, und
war von der Wurzel des Gemeindelebens losgeriſſen, denn ſie pflanzte
ſich, wie der dem Fürſten zur Aufſicht beigegebene ſtändiſche Ausſchuß,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0281" n="265"/>
Dornen, oder Feigen von den Di&#x017F;teln? Jetzt hat er's und muß zu¬<lb/>
&#x017F;ehen, wie der Sohn &#x017F;eines Vaters ruhmwürdiges Wirthshaus blamirt.<lb/>
I&#x017F;t's nicht &#x017F;o, Adlerwirthin?</p><lb/>
        <p>'S i&#x017F;t eben e' Welt, antwortete die&#x017F;e, welche &#x017F;ich nicht näher in<lb/>
kitzliche Erörterungen einla&#x017F;&#x017F;en wollte. Jetzt kann ich mich aber nicht<lb/>
länger aufhalten, denn es will Abend werden, heißt's im Evangelium,<lb/>
und der Tag hat &#x017F;ich geneigt. Meine Leut' werden ungeduldig, &#x017F;ie<lb/>
wollen fort. Ja, ja, ich komm' ja! winkte &#x017F;ie gegen ein Häuflein der<lb/>
Um&#x017F;tehenden hin, worunter &#x017F;ich die Ihrigen befanden. B'hüt' Gott,<lb/>
Kreuzwirth, Ihr wi&#x017F;&#x017F;et ja, der Men&#x017F;ch will eben heim.</p><lb/>
        <p>Unterde&#x017F;&#x017F;en hatte man den gefangenen Wildling in das Rathhaus<lb/>
ge&#x017F;chleppt, wo man ihn gebunden, wie er war, in ein Gelaß warf<lb/>
und liegen ließ. Der Bur&#x017F;che &#x017F;cheint mir ziemlich betrunken zu &#x017F;ein,<lb/>
&#x017F;agte der Amtmann: er mag &#x017F;einen Rau&#x017F;ch aus&#x017F;chlafen, dann will ich<lb/>
ihn morgen Vormittag verhören. Der Herr Pfarrer wird nichts da¬<lb/>
gegen haben, wenn man einmal am Sonntag Ju&#x017F;tiz ausübt und ein<lb/>
nöthiges Exempel &#x017F;tatuirt. Nun wollen wir aber gleich heute noch<lb/>
mit dem Allernöthig&#x017F;ten beginnen. &#x2014; Er ließ zwei Urkundsper&#x017F;onen ru¬<lb/>
fen und begann &#x017F;ofort eifrig zu amten; denn wie der Staat im Für¬<lb/>
&#x017F;ten, &#x017F;o war in ihm die Gemeinde aufgegangen, ja noch weit mehr.<lb/>
Gleichwie ein ab&#x017F;terbender alter Baum, de&#x017F;&#x017F;en Stamm nach unten &#x017F;chon<lb/>
mürbe und hohl geworden i&#x017F;t, doch in manchem Frühling durch &#x017F;einen<lb/>
grünen Wipfel zeigt, daß die Wurzel noch fri&#x017F;chen Saft nach der<lb/>
Krone zu treiben vermag, &#x017F;o war von der alten wirtembergi&#x017F;chen,<lb/>
aus &#x017F;chwäbi&#x017F;ch-deut&#x017F;chem Recht erwach&#x017F;enen Verfa&#x017F;&#x017F;ung an der Spitze<lb/>
des Staatslebens ein Re&#x017F;t zurückgeblieben, der, neben argem Scheinholz<lb/>
zwar, noch lebendige Be&#x017F;tandtheile enthielt und dem giftigen Pfropf¬<lb/>
rei&#x017F;e der für&#x017F;tlichen Alleinherr&#x017F;chaft empfindliche Hinderni&#x017F;&#x017F;e zu bereiten<lb/>
wußte, während das Gemeindeleben beinahe völlig vom Wurm zer¬<lb/>
fre&#x017F;&#x017F;en und ertödtet war. Die Gemeindebehörde, be&#x017F;tehend in Gericht<lb/>
und Rath, den mor&#x017F;chen Ueberre&#x017F;ten des altdeut&#x017F;chen Gleichgewichts<lb/>
von Gewalt und Be&#x017F;chränkung, war, in den größeren Ort&#x017F;chaften we¬<lb/>
nig&#x017F;tens, unter das Regiment eines für&#x017F;tlichen Beamten ge&#x017F;tellt; &#x017F;ie<lb/>
hatte zwar nicht ganz nichts, aber doch herzlich wenig zu &#x017F;agen, und<lb/>
war von der Wurzel des Gemeindelebens losgeri&#x017F;&#x017F;en, denn &#x017F;ie pflanzte<lb/>
&#x017F;ich, wie der dem Für&#x017F;ten zur Auf&#x017F;icht beigegebene &#x017F;tändi&#x017F;che Aus&#x017F;chuß,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[265/0281] Dornen, oder Feigen von den Diſteln? Jetzt hat er's und muß zu¬ ſehen, wie der Sohn ſeines Vaters ruhmwürdiges Wirthshaus blamirt. Iſt's nicht ſo, Adlerwirthin? 'S iſt eben e' Welt, antwortete dieſe, welche ſich nicht näher in kitzliche Erörterungen einlaſſen wollte. Jetzt kann ich mich aber nicht länger aufhalten, denn es will Abend werden, heißt's im Evangelium, und der Tag hat ſich geneigt. Meine Leut' werden ungeduldig, ſie wollen fort. Ja, ja, ich komm' ja! winkte ſie gegen ein Häuflein der Umſtehenden hin, worunter ſich die Ihrigen befanden. B'hüt' Gott, Kreuzwirth, Ihr wiſſet ja, der Menſch will eben heim. Unterdeſſen hatte man den gefangenen Wildling in das Rathhaus geſchleppt, wo man ihn gebunden, wie er war, in ein Gelaß warf und liegen ließ. Der Burſche ſcheint mir ziemlich betrunken zu ſein, ſagte der Amtmann: er mag ſeinen Rauſch ausſchlafen, dann will ich ihn morgen Vormittag verhören. Der Herr Pfarrer wird nichts da¬ gegen haben, wenn man einmal am Sonntag Juſtiz ausübt und ein nöthiges Exempel ſtatuirt. Nun wollen wir aber gleich heute noch mit dem Allernöthigſten beginnen. — Er ließ zwei Urkundsperſonen ru¬ fen und begann ſofort eifrig zu amten; denn wie der Staat im Für¬ ſten, ſo war in ihm die Gemeinde aufgegangen, ja noch weit mehr. Gleichwie ein abſterbender alter Baum, deſſen Stamm nach unten ſchon mürbe und hohl geworden iſt, doch in manchem Frühling durch ſeinen grünen Wipfel zeigt, daß die Wurzel noch friſchen Saft nach der Krone zu treiben vermag, ſo war von der alten wirtembergiſchen, aus ſchwäbiſch-deutſchem Recht erwachſenen Verfaſſung an der Spitze des Staatslebens ein Reſt zurückgeblieben, der, neben argem Scheinholz zwar, noch lebendige Beſtandtheile enthielt und dem giftigen Pfropf¬ reiſe der fürſtlichen Alleinherrſchaft empfindliche Hinderniſſe zu bereiten wußte, während das Gemeindeleben beinahe völlig vom Wurm zer¬ freſſen und ertödtet war. Die Gemeindebehörde, beſtehend in Gericht und Rath, den morſchen Ueberreſten des altdeutſchen Gleichgewichts von Gewalt und Beſchränkung, war, in den größeren Ortſchaften we¬ nigſtens, unter das Regiment eines fürſtlichen Beamten geſtellt; ſie hatte zwar nicht ganz nichts, aber doch herzlich wenig zu ſagen, und war von der Wurzel des Gemeindelebens losgeriſſen, denn ſie pflanzte ſich, wie der dem Fürſten zur Aufſicht beigegebene ſtändiſche Ausſchuß,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/281
Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/281>, abgerufen am 22.11.2024.