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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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-- aber nicht so wie dieser von dem noch nicht ganz zugefallenen öffent¬
lichen Auge überwacht -- auf dem verrotteten Wege der Selbstergänzung
fort, welche noch obendrein in den meisten Fällen ungescheut von dem
Beamten selbst in die Hand genommen wurde. Von diesem also, der
die fürstliche Herrschaft bei der Gemeinde und die Gemeinde bei der
Herrschaft zu vertreten hatte, hing es beinahe ausschließlich ab, welche
der beiden Vertretungen, die nur eine gesunde Zeit im Gleichgewichte
halten konnte, er bei sich überwiegen lassen wollte. Die eine versprach
ihm von einem Volke, dem sein eigenes Rechtsleben fremd geworden
war, beinahe mehr Verwirrung als Dank: die andre trug ihm von
einem Hofe, der seinen Dienern unbedingt befahl und bald so weit
kommen sollte, daß er sich ihre Stellen abkaufen ließ, ja sogar Ge¬
meindedienste, über die er gar nicht verfügen durfte, bis auf den nied¬
rigsten herunter um Geld vergab, -- lockenden Lohn oder wenigstens
Ruhe vor Verfolgung ein. Wenn es in solcher Zeit doch immer noch
einzelne Beamte gab, die ihre schwere Doppelstellung gegen Oben zu
kehren und dem ständischen Widerstande wider die fürstliche Willkür
Nachdruck zu geben vermochten, so mußte dies dem Lande, dessen Ge¬
schichte ihre Namen zum Theil aufgezeichnet hat, ein tröstliches Zeichen
sein, daß die alte gute Wurzel noch nicht völlig erstorben sei und in
besseren Tagen den kranken Baum vielleicht wieder zu erneuern ver¬
mögen werde. Für einen wilden Schößling aber findet sich in einem
selbst faulen Gemeindeleben nicht immer so leicht ein Gärtner, der
ihn durch Strenge und Milde zugleich in ein gesundes Reis zu ver¬
wandeln versteht. Statt die wilden Triebe, die sie mit schlimmen
Thiernamen brandmarken, einzudämmen, und die Kraft, die sie mit
dem Bilde des Löwen bezeichnen, für das kleinere oder größere Ge¬
meinwesen brauchbar zu machen, eilen sie, weil jeder mit sich selbst
genug zu thun hat, ihn als einen schädlichen Knorren auszureißen
und in's Feuer zu werfen. So war es und so oder ähnlich wird
es immer sein, wo -- nicht ohne Schuld der Glieder, doch mehr noch
durch die zum Tode oder zu einer reicheren Zukunft führende Ent¬
wicklungskrankheit -- in dem Baume selbst die schaffende und heilende
Lebenskraft für eine Zeit verkümmert ist.

Die Nämlichen, die in ihrem Feuereifer für das Gesetz ihren ver¬
haßten Gegner geschlagen, niedergeworfen und gebunden hatten, drängten

— aber nicht ſo wie dieſer von dem noch nicht ganz zugefallenen öffent¬
lichen Auge überwacht — auf dem verrotteten Wege der Selbſtergänzung
fort, welche noch obendrein in den meiſten Fällen ungeſcheut von dem
Beamten ſelbſt in die Hand genommen wurde. Von dieſem alſo, der
die fürſtliche Herrſchaft bei der Gemeinde und die Gemeinde bei der
Herrſchaft zu vertreten hatte, hing es beinahe ausſchließlich ab, welche
der beiden Vertretungen, die nur eine geſunde Zeit im Gleichgewichte
halten konnte, er bei ſich überwiegen laſſen wollte. Die eine verſprach
ihm von einem Volke, dem ſein eigenes Rechtsleben fremd geworden
war, beinahe mehr Verwirrung als Dank: die andre trug ihm von
einem Hofe, der ſeinen Dienern unbedingt befahl und bald ſo weit
kommen ſollte, daß er ſich ihre Stellen abkaufen ließ, ja ſogar Ge¬
meindedienſte, über die er gar nicht verfügen durfte, bis auf den nied¬
rigſten herunter um Geld vergab, — lockenden Lohn oder wenigſtens
Ruhe vor Verfolgung ein. Wenn es in ſolcher Zeit doch immer noch
einzelne Beamte gab, die ihre ſchwere Doppelſtellung gegen Oben zu
kehren und dem ſtändiſchen Widerſtande wider die fürſtliche Willkür
Nachdruck zu geben vermochten, ſo mußte dies dem Lande, deſſen Ge¬
ſchichte ihre Namen zum Theil aufgezeichnet hat, ein tröſtliches Zeichen
ſein, daß die alte gute Wurzel noch nicht völlig erſtorben ſei und in
beſſeren Tagen den kranken Baum vielleicht wieder zu erneuern ver¬
mögen werde. Für einen wilden Schößling aber findet ſich in einem
ſelbſt faulen Gemeindeleben nicht immer ſo leicht ein Gärtner, der
ihn durch Strenge und Milde zugleich in ein geſundes Reis zu ver¬
wandeln verſteht. Statt die wilden Triebe, die ſie mit ſchlimmen
Thiernamen brandmarken, einzudämmen, und die Kraft, die ſie mit
dem Bilde des Löwen bezeichnen, für das kleinere oder größere Ge¬
meinweſen brauchbar zu machen, eilen ſie, weil jeder mit ſich ſelbſt
genug zu thun hat, ihn als einen ſchädlichen Knorren auszureißen
und in's Feuer zu werfen. So war es und ſo oder ähnlich wird
es immer ſein, wo — nicht ohne Schuld der Glieder, doch mehr noch
durch die zum Tode oder zu einer reicheren Zukunft führende Ent¬
wicklungskrankheit — in dem Baume ſelbſt die ſchaffende und heilende
Lebenskraft für eine Zeit verkümmert iſt.

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[266/0282] — aber nicht ſo wie dieſer von dem noch nicht ganz zugefallenen öffent¬ lichen Auge überwacht — auf dem verrotteten Wege der Selbſtergänzung fort, welche noch obendrein in den meiſten Fällen ungeſcheut von dem Beamten ſelbſt in die Hand genommen wurde. Von dieſem alſo, der die fürſtliche Herrſchaft bei der Gemeinde und die Gemeinde bei der Herrſchaft zu vertreten hatte, hing es beinahe ausſchließlich ab, welche der beiden Vertretungen, die nur eine geſunde Zeit im Gleichgewichte halten konnte, er bei ſich überwiegen laſſen wollte. Die eine verſprach ihm von einem Volke, dem ſein eigenes Rechtsleben fremd geworden war, beinahe mehr Verwirrung als Dank: die andre trug ihm von einem Hofe, der ſeinen Dienern unbedingt befahl und bald ſo weit kommen ſollte, daß er ſich ihre Stellen abkaufen ließ, ja ſogar Ge¬ meindedienſte, über die er gar nicht verfügen durfte, bis auf den nied¬ rigſten herunter um Geld vergab, — lockenden Lohn oder wenigſtens Ruhe vor Verfolgung ein. Wenn es in ſolcher Zeit doch immer noch einzelne Beamte gab, die ihre ſchwere Doppelſtellung gegen Oben zu kehren und dem ſtändiſchen Widerſtande wider die fürſtliche Willkür Nachdruck zu geben vermochten, ſo mußte dies dem Lande, deſſen Ge¬ ſchichte ihre Namen zum Theil aufgezeichnet hat, ein tröſtliches Zeichen ſein, daß die alte gute Wurzel noch nicht völlig erſtorben ſei und in beſſeren Tagen den kranken Baum vielleicht wieder zu erneuern ver¬ mögen werde. Für einen wilden Schößling aber findet ſich in einem ſelbſt faulen Gemeindeleben nicht immer ſo leicht ein Gärtner, der ihn durch Strenge und Milde zugleich in ein geſundes Reis zu ver¬ wandeln verſteht. Statt die wilden Triebe, die ſie mit ſchlimmen Thiernamen brandmarken, einzudämmen, und die Kraft, die ſie mit dem Bilde des Löwen bezeichnen, für das kleinere oder größere Ge¬ meinweſen brauchbar zu machen, eilen ſie, weil jeder mit ſich ſelbſt genug zu thun hat, ihn als einen ſchädlichen Knorren auszureißen und in's Feuer zu werfen. So war es und ſo oder ähnlich wird es immer ſein, wo — nicht ohne Schuld der Glieder, doch mehr noch durch die zum Tode oder zu einer reicheren Zukunft führende Ent¬ wicklungskrankheit — in dem Baume ſelbſt die ſchaffende und heilende Lebenskraft für eine Zeit verkümmert iſt. Die Nämlichen, die in ihrem Feuereifer für das Geſetz ihren ver¬ haßten Gegner geſchlagen, niedergeworfen und gebunden hatten, drängten

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/282>, abgerufen am 21.11.2024.