Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

sich jetzt bereitwillig in das Verhör, um anzugeben, was sie Böses
von ihm zu sagen wußten oder was ihnen an ihm zuwider war. Jedes
ungeschickte Wort, das er im Zorne ausgestoßen, wurde zum Ankläger
gegen ihn, und die gefährliche Gesinnung, die in diesen unbedachten
Worten zu liegen schien, erhielt ihre ergänzende Bestätigung durch die
Gewaltthat, welcher er sich heute schuldig gemacht hatte. Der ge¬
stochene Knecht, obgleich seine Wunde sich als unbedeutend erwies,
schnaubte unversöhnliche Rache und war über die Absicht, die er der
That unterlegte, noch weit mehr aufgebracht, als über diese selbst.
Schon auf der Straße hatte sein Geschrei zu vernehmen gegeben, daß
gegen den Gefangenen noch eine weitere Unthat vorliege, und auf Be¬
fragen des Amtmanns erzählte er nun, die eigenen Eltern desselben
haben ihn mehr oder weniger unverblümt eines Diebstahls bezichtigt.
Hierauf verhörte der Amtmann den Sonnenwirth. Dieser entschuldigte sich,
daß er die Thatsache theils um der Schande seines Hauses willen, theils
wegen der Geringfügigkeit des Betrages habe vertuschen wollen, gab aber,
durch das heutige Betragen seines Sohnes und durch das Zureden seiner
Frau vollends aufgestachelt, zu verstehen, daß nach den neueren Aussagen
des Knechtes der Diebstahl wohl beträchtlicher gewesen sein möge. Der
Amtmann ließ sogleich den Knecht aus der Sonne rufen, welcher, dem
Strome des allgemeinen Unwillens folgend, angab, der Besuch auf
dem Kornspeicher sei in jener Nacht mehrmals wiederholt worden und
ein größerer Abmangel zu verspüren, sodann auch noch, nach der Auf¬
führung des Angeklagten überhaupt gefragt, zur Vermehrung seiner
Schuldhaftigkeit erzählte, er sei einmal in die Worte ausgebrochen,
wenn man ihm kein Geld gebe, so wolle er solches nehmen und seine
Stiefmutter während der Kirche an das Ofengeräms hinhenken. Auf
diese Anzeige schickte der Amtmann Gerichtsmitglieder ab, um in der
Sonne und zugleich bei dem Hirschbauer Haussuchung zu halten.
Friedrichs Vormund, der die erstere vorzunehmen hatte, kam bald wie¬
der ; er brachte ein Brieflein und ein bemaltes Blatt, von der Art der
Heiligenbilder, ein mit einem Schwert durchstochenes Herz darstellend.
Außer dem Helgle, sagte er, ist nichts aufzutreiben gewesen, was eine
Auskunft gäb', als vielleicht der Brief da. Dem Inhalt nach ist er
von einem Weibsbild, schätz' wohl, von der Jungfer Ohnekranz. Ist
mir eine neue Mode, daß ein Mädle einem Mannskerl etwas Schrift¬

ſich jetzt bereitwillig in das Verhör, um anzugeben, was ſie Böſes
von ihm zu ſagen wußten oder was ihnen an ihm zuwider war. Jedes
ungeſchickte Wort, das er im Zorne ausgeſtoßen, wurde zum Ankläger
gegen ihn, und die gefährliche Geſinnung, die in dieſen unbedachten
Worten zu liegen ſchien, erhielt ihre ergänzende Beſtätigung durch die
Gewaltthat, welcher er ſich heute ſchuldig gemacht hatte. Der ge¬
ſtochene Knecht, obgleich ſeine Wunde ſich als unbedeutend erwies,
ſchnaubte unverſöhnliche Rache und war über die Abſicht, die er der
That unterlegte, noch weit mehr aufgebracht, als über dieſe ſelbſt.
Schon auf der Straße hatte ſein Geſchrei zu vernehmen gegeben, daß
gegen den Gefangenen noch eine weitere Unthat vorliege, und auf Be¬
fragen des Amtmanns erzählte er nun, die eigenen Eltern deſſelben
haben ihn mehr oder weniger unverblümt eines Diebſtahls bezichtigt.
Hierauf verhörte der Amtmann den Sonnenwirth. Dieſer entſchuldigte ſich,
daß er die Thatſache theils um der Schande ſeines Hauſes willen, theils
wegen der Geringfügigkeit des Betrages habe vertuſchen wollen, gab aber,
durch das heutige Betragen ſeines Sohnes und durch das Zureden ſeiner
Frau vollends aufgeſtachelt, zu verſtehen, daß nach den neueren Ausſagen
des Knechtes der Diebſtahl wohl beträchtlicher geweſen ſein möge. Der
Amtmann ließ ſogleich den Knecht aus der Sonne rufen, welcher, dem
Strome des allgemeinen Unwillens folgend, angab, der Beſuch auf
dem Kornſpeicher ſei in jener Nacht mehrmals wiederholt worden und
ein größerer Abmangel zu verſpüren, ſodann auch noch, nach der Auf¬
führung des Angeklagten überhaupt gefragt, zur Vermehrung ſeiner
Schuldhaftigkeit erzählte, er ſei einmal in die Worte ausgebrochen,
wenn man ihm kein Geld gebe, ſo wolle er ſolches nehmen und ſeine
Stiefmutter während der Kirche an das Ofengeräms hinhenken. Auf
dieſe Anzeige ſchickte der Amtmann Gerichtsmitglieder ab, um in der
Sonne und zugleich bei dem Hirſchbauer Hausſuchung zu halten.
Friedrichs Vormund, der die erſtere vorzunehmen hatte, kam bald wie¬
der ; er brachte ein Brieflein und ein bemaltes Blatt, von der Art der
Heiligenbilder, ein mit einem Schwert durchſtochenes Herz darſtellend.
Außer dem Helgle, ſagte er, iſt nichts aufzutreiben geweſen, was eine
Auskunft gäb', als vielleicht der Brief da. Dem Inhalt nach iſt er
von einem Weibsbild, ſchätz' wohl, von der Jungfer Ohnekranz. Iſt
mir eine neue Mode, daß ein Mädle einem Mannskerl etwas Schrift¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0283" n="267"/>
&#x017F;ich jetzt bereitwillig in das Verhör, um anzugeben, was &#x017F;ie Bö&#x017F;es<lb/>
von ihm zu &#x017F;agen wußten oder was ihnen an ihm zuwider war. Jedes<lb/>
unge&#x017F;chickte Wort, das er im Zorne ausge&#x017F;toßen, wurde zum Ankläger<lb/>
gegen ihn, und die gefährliche Ge&#x017F;innung, die in die&#x017F;en unbedachten<lb/>
Worten zu liegen &#x017F;chien, erhielt ihre ergänzende Be&#x017F;tätigung durch die<lb/>
Gewaltthat, welcher er &#x017F;ich heute &#x017F;chuldig gemacht hatte. Der ge¬<lb/>
&#x017F;tochene Knecht, obgleich &#x017F;eine Wunde &#x017F;ich als unbedeutend erwies,<lb/>
&#x017F;chnaubte unver&#x017F;öhnliche Rache und war über die Ab&#x017F;icht, die er der<lb/>
That unterlegte, noch weit mehr aufgebracht, als über die&#x017F;e &#x017F;elb&#x017F;t.<lb/>
Schon auf der Straße hatte &#x017F;ein Ge&#x017F;chrei zu vernehmen gegeben, daß<lb/>
gegen den Gefangenen noch eine weitere Unthat vorliege, und auf Be¬<lb/>
fragen des Amtmanns erzählte er nun, die eigenen Eltern de&#x017F;&#x017F;elben<lb/>
haben ihn mehr oder weniger unverblümt eines Dieb&#x017F;tahls bezichtigt.<lb/>
Hierauf verhörte der Amtmann den Sonnenwirth. Die&#x017F;er ent&#x017F;chuldigte &#x017F;ich,<lb/>
daß er die That&#x017F;ache theils um der Schande &#x017F;eines Hau&#x017F;es willen, theils<lb/>
wegen der Geringfügigkeit des Betrages habe vertu&#x017F;chen wollen, gab aber,<lb/>
durch das heutige Betragen &#x017F;eines Sohnes und durch das Zureden &#x017F;einer<lb/>
Frau vollends aufge&#x017F;tachelt, zu ver&#x017F;tehen, daß nach den neueren Aus&#x017F;agen<lb/>
des Knechtes der Dieb&#x017F;tahl wohl beträchtlicher gewe&#x017F;en &#x017F;ein möge. Der<lb/>
Amtmann ließ &#x017F;ogleich den Knecht aus der Sonne rufen, welcher, dem<lb/>
Strome des allgemeinen Unwillens folgend, angab, der Be&#x017F;uch auf<lb/>
dem Korn&#x017F;peicher &#x017F;ei in jener Nacht mehrmals wiederholt worden und<lb/>
ein größerer Abmangel zu ver&#x017F;püren, &#x017F;odann auch noch, nach der Auf¬<lb/>
führung des Angeklagten überhaupt gefragt, zur Vermehrung &#x017F;einer<lb/>
Schuldhaftigkeit erzählte, er &#x017F;ei einmal in die Worte ausgebrochen,<lb/>
wenn man ihm kein Geld gebe, &#x017F;o wolle er &#x017F;olches nehmen und &#x017F;eine<lb/>
Stiefmutter während der Kirche an das Ofengeräms hinhenken. Auf<lb/>
die&#x017F;e Anzeige &#x017F;chickte der Amtmann Gerichtsmitglieder ab, um in der<lb/>
Sonne und zugleich bei dem Hir&#x017F;chbauer Haus&#x017F;uchung zu halten.<lb/>
Friedrichs Vormund, der die er&#x017F;tere vorzunehmen hatte, kam bald wie¬<lb/>
der ; er brachte ein Brieflein und ein bemaltes Blatt, von der Art der<lb/>
Heiligenbilder, ein mit einem Schwert durch&#x017F;tochenes Herz dar&#x017F;tellend.<lb/>
Außer dem Helgle, &#x017F;agte er, i&#x017F;t nichts aufzutreiben gewe&#x017F;en, was eine<lb/>
Auskunft gäb', als vielleicht der Brief da. Dem Inhalt nach i&#x017F;t er<lb/>
von einem Weibsbild, &#x017F;chätz' wohl, von der Jungfer Ohnekranz. I&#x017F;t<lb/>
mir eine neue Mode, daß ein Mädle einem Mannskerl etwas Schrift¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[267/0283] ſich jetzt bereitwillig in das Verhör, um anzugeben, was ſie Böſes von ihm zu ſagen wußten oder was ihnen an ihm zuwider war. Jedes ungeſchickte Wort, das er im Zorne ausgeſtoßen, wurde zum Ankläger gegen ihn, und die gefährliche Geſinnung, die in dieſen unbedachten Worten zu liegen ſchien, erhielt ihre ergänzende Beſtätigung durch die Gewaltthat, welcher er ſich heute ſchuldig gemacht hatte. Der ge¬ ſtochene Knecht, obgleich ſeine Wunde ſich als unbedeutend erwies, ſchnaubte unverſöhnliche Rache und war über die Abſicht, die er der That unterlegte, noch weit mehr aufgebracht, als über dieſe ſelbſt. Schon auf der Straße hatte ſein Geſchrei zu vernehmen gegeben, daß gegen den Gefangenen noch eine weitere Unthat vorliege, und auf Be¬ fragen des Amtmanns erzählte er nun, die eigenen Eltern deſſelben haben ihn mehr oder weniger unverblümt eines Diebſtahls bezichtigt. Hierauf verhörte der Amtmann den Sonnenwirth. Dieſer entſchuldigte ſich, daß er die Thatſache theils um der Schande ſeines Hauſes willen, theils wegen der Geringfügigkeit des Betrages habe vertuſchen wollen, gab aber, durch das heutige Betragen ſeines Sohnes und durch das Zureden ſeiner Frau vollends aufgeſtachelt, zu verſtehen, daß nach den neueren Ausſagen des Knechtes der Diebſtahl wohl beträchtlicher geweſen ſein möge. Der Amtmann ließ ſogleich den Knecht aus der Sonne rufen, welcher, dem Strome des allgemeinen Unwillens folgend, angab, der Beſuch auf dem Kornſpeicher ſei in jener Nacht mehrmals wiederholt worden und ein größerer Abmangel zu verſpüren, ſodann auch noch, nach der Auf¬ führung des Angeklagten überhaupt gefragt, zur Vermehrung ſeiner Schuldhaftigkeit erzählte, er ſei einmal in die Worte ausgebrochen, wenn man ihm kein Geld gebe, ſo wolle er ſolches nehmen und ſeine Stiefmutter während der Kirche an das Ofengeräms hinhenken. Auf dieſe Anzeige ſchickte der Amtmann Gerichtsmitglieder ab, um in der Sonne und zugleich bei dem Hirſchbauer Hausſuchung zu halten. Friedrichs Vormund, der die erſtere vorzunehmen hatte, kam bald wie¬ der ; er brachte ein Brieflein und ein bemaltes Blatt, von der Art der Heiligenbilder, ein mit einem Schwert durchſtochenes Herz darſtellend. Außer dem Helgle, ſagte er, iſt nichts aufzutreiben geweſen, was eine Auskunft gäb', als vielleicht der Brief da. Dem Inhalt nach iſt er von einem Weibsbild, ſchätz' wohl, von der Jungfer Ohnekranz. Iſt mir eine neue Mode, daß ein Mädle einem Mannskerl etwas Schrift¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/283
Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/283>, abgerufen am 22.11.2024.