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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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lichs schreibt; das thut auch kein recht's Mensch; aber die Welt wird
alle Tag' ärger und die Jugend immer verdorbener. -- Nun kam
auch der "Augenschein" vom Hirschbauer zurück, in dessen Hause man
jedoch gar nichts gefunden hatte, als Noth und Jammer ohne Ende.
Der Lärm des öffentlichen Schauspiels mochte den flinken Jerg bei
Zeiten auf etwaige Gefahren aufmerksam gemacht haben. Das ist ein
Heulen und Schreien, daß Einem Hören und Sehen vergeht! sagte
der Heiligenpfleger, der zu dieser Verrichtung beordert worden war:
wenn so ein leichtfertiger Bub' nur auch bedenken thät', was er für
Unglück stiften kann, so ging' er vielleicht vorher in sich und auf bessere
Weg'. Da ist ein Büschel Brief' von ihm, die Alt' hat's gleich 'raus¬
geben; die Jung' liegt auf'm Bett und ist ganz weg; und der Vater
wird's auch nimmer lang treiben.

Der Amtmann nahm die Briefe und legte sie zu den Acten, um
hiemit sein heutiges Tagwerk zu beendigen, welches mit einem Verhör
der Sonnenwirthin schloß oder vielmehr zu einer vertraulichen Unter¬
redung mit derselben in Gegenwart der Amtmännin überging. Die
Sonnenwirthin hatte es jetzt ganz in der Hand, die Wetterwolke, die
ihr Stiefsohn über sein Haupt heraufbeschworen, in der gewünschten
Richtung zu entladen, und sie benutzte die Gelegenheit so eifrig, daß
sie darauf bestehen wollte, auch gewisse verfängliche Reden, die ihr
Sohn gegen den jungen Herzog geführt haben sollte, in's Protokoll
zu bringen.

Hier machte jedoch der Amtmann ein sehr ernsthaftes Gesicht. Na,
na, Frau Sonnenwirthin, sagte er, man muß doch nicht ganz alle
Bonhommie hinter sich werfen. Zum cumulus brauchen wir das
nicht, es ist cumulus genug da, ein Berg, an dem er mindestens ein
paar Jahre abzutragen haben wird. Die Sache hat aber noch eine
andere Seite. Wenn ich in meinem Bericht an die Herrschaft, denn
vom Oberamt geht er nach Stuttgart ab, dieses delicate Sujet be¬
rühre, und wenn der Herr selbst etwas davon erfährt, so macht er sich
Gedanken. Bei einem jungen Menschen gilt der Grundsatz: leben
und leben lassen! Wenn daher ein junger Mensch auf anzügliche Weise
moralisirt, so sagt man sich gleich: das hat er nicht aus sich, das hat
er von Andern aufgegabelt. Da entsteht nun die Frage: woher hat
er's? von Vater oder Mutter? oder sollte gar der Amtmann oder der

lichs ſchreibt; das thut auch kein recht's Menſch; aber die Welt wird
alle Tag' ärger und die Jugend immer verdorbener. — Nun kam
auch der „Augenſchein“ vom Hirſchbauer zurück, in deſſen Hauſe man
jedoch gar nichts gefunden hatte, als Noth und Jammer ohne Ende.
Der Lärm des öffentlichen Schauſpiels mochte den flinken Jerg bei
Zeiten auf etwaige Gefahren aufmerkſam gemacht haben. Das iſt ein
Heulen und Schreien, daß Einem Hören und Sehen vergeht! ſagte
der Heiligenpfleger, der zu dieſer Verrichtung beordert worden war:
wenn ſo ein leichtfertiger Bub' nur auch bedenken thät', was er für
Unglück ſtiften kann, ſo ging' er vielleicht vorher in ſich und auf beſſere
Weg'. Da iſt ein Büſchel Brief' von ihm, die Alt' hat's gleich 'raus¬
geben; die Jung' liegt auf'm Bett und iſt ganz weg; und der Vater
wird's auch nimmer lang treiben.

Der Amtmann nahm die Briefe und legte ſie zu den Acten, um
hiemit ſein heutiges Tagwerk zu beendigen, welches mit einem Verhör
der Sonnenwirthin ſchloß oder vielmehr zu einer vertraulichen Unter¬
redung mit derſelben in Gegenwart der Amtmännin überging. Die
Sonnenwirthin hatte es jetzt ganz in der Hand, die Wetterwolke, die
ihr Stiefſohn über ſein Haupt heraufbeſchworen, in der gewünſchten
Richtung zu entladen, und ſie benutzte die Gelegenheit ſo eifrig, daß
ſie darauf beſtehen wollte, auch gewiſſe verfängliche Reden, die ihr
Sohn gegen den jungen Herzog geführt haben ſollte, in's Protokoll
zu bringen.

Hier machte jedoch der Amtmann ein ſehr ernſthaftes Geſicht. Na,
na, Frau Sonnenwirthin, ſagte er, man muß doch nicht ganz alle
Bonhommie hinter ſich werfen. Zum cumulus brauchen wir das
nicht, es iſt cumulus genug da, ein Berg, an dem er mindeſtens ein
paar Jahre abzutragen haben wird. Die Sache hat aber noch eine
andere Seite. Wenn ich in meinem Bericht an die Herrſchaft, denn
vom Oberamt geht er nach Stuttgart ab, dieſes delicate Sujet be¬
rühre, und wenn der Herr ſelbſt etwas davon erfährt, ſo macht er ſich
Gedanken. Bei einem jungen Menſchen gilt der Grundſatz: leben
und leben laſſen! Wenn daher ein junger Menſch auf anzügliche Weiſe
moraliſirt, ſo ſagt man ſich gleich: das hat er nicht aus ſich, das hat
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[268/0284] lichs ſchreibt; das thut auch kein recht's Menſch; aber die Welt wird alle Tag' ärger und die Jugend immer verdorbener. — Nun kam auch der „Augenſchein“ vom Hirſchbauer zurück, in deſſen Hauſe man jedoch gar nichts gefunden hatte, als Noth und Jammer ohne Ende. Der Lärm des öffentlichen Schauſpiels mochte den flinken Jerg bei Zeiten auf etwaige Gefahren aufmerkſam gemacht haben. Das iſt ein Heulen und Schreien, daß Einem Hören und Sehen vergeht! ſagte der Heiligenpfleger, der zu dieſer Verrichtung beordert worden war: wenn ſo ein leichtfertiger Bub' nur auch bedenken thät', was er für Unglück ſtiften kann, ſo ging' er vielleicht vorher in ſich und auf beſſere Weg'. Da iſt ein Büſchel Brief' von ihm, die Alt' hat's gleich 'raus¬ geben; die Jung' liegt auf'm Bett und iſt ganz weg; und der Vater wird's auch nimmer lang treiben. Der Amtmann nahm die Briefe und legte ſie zu den Acten, um hiemit ſein heutiges Tagwerk zu beendigen, welches mit einem Verhör der Sonnenwirthin ſchloß oder vielmehr zu einer vertraulichen Unter¬ redung mit derſelben in Gegenwart der Amtmännin überging. Die Sonnenwirthin hatte es jetzt ganz in der Hand, die Wetterwolke, die ihr Stiefſohn über ſein Haupt heraufbeſchworen, in der gewünſchten Richtung zu entladen, und ſie benutzte die Gelegenheit ſo eifrig, daß ſie darauf beſtehen wollte, auch gewiſſe verfängliche Reden, die ihr Sohn gegen den jungen Herzog geführt haben ſollte, in's Protokoll zu bringen. Hier machte jedoch der Amtmann ein ſehr ernſthaftes Geſicht. Na, na, Frau Sonnenwirthin, ſagte er, man muß doch nicht ganz alle Bonhommie hinter ſich werfen. Zum cumulus brauchen wir das nicht, es iſt cumulus genug da, ein Berg, an dem er mindeſtens ein paar Jahre abzutragen haben wird. Die Sache hat aber noch eine andere Seite. Wenn ich in meinem Bericht an die Herrſchaft, denn vom Oberamt geht er nach Stuttgart ab, dieſes delicate Sujet be¬ rühre, und wenn der Herr ſelbſt etwas davon erfährt, ſo macht er ſich Gedanken. Bei einem jungen Menſchen gilt der Grundſatz: leben und leben laſſen! Wenn daher ein junger Menſch auf anzügliche Weiſe moraliſirt, ſo ſagt man ſich gleich: das hat er nicht aus ſich, das hat er von Andern aufgegabelt. Da entſteht nun die Frage: woher hat er's? von Vater oder Mutter? oder ſollte gar der Amtmann oder der

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/284>, abgerufen am 22.11.2024.