Wenn Er mit Gewalt 'nausgeschmissen sein will, so probir' Er Sein Glück. Darauf klopfte es an der Thüre erst leise und demüthig, dann etwas lauter. Der Amtmann ließ einen grimmigen Blick nach der Thüre hinlaufen, rechnete aber stillschweigend fort. Es klopfte wieder. Daß dich das Wetter! rief der Amtmann und warf den Bleistift hin: was ist das für ein unverschämter Lumpenkerl? Einer der Gerichts¬ beisitzer ging auf den Zehen nach der Thüre und öffnete. Ein halb städtisch, halb ländlich gekleideter Mann stand davor, der, da er sich auf einmal dem Amtmann gegenüber sah, ein paar tiefe Kratzfüße machte. Mit Ihrem Wohlnehmen, Herr Amtmann! wollte er be¬ ginnen. Zugleich rief der Gefangene, der sich neugierig umgesehen hatte: Das ist ja der Vetter aus Hattenhofen! Grüß' Gott, Vetter!
Still! gebot der Amtmann. Hab' jetzt keine Zeit! rief er dem Ankömmling zu. Sieht Er denn nicht, daß hier etwas Dringendes verhandelt wird? Und wie kann Er sich unterstehen, am Sonntag zu kommen?
Excüse, Herr Amtmann, sagte jener, schon halb auf dem Rückzuge begriffen, 's ist ja eben wegen der Sach'.
Halt! rief der Amtmann. Herein da! Hat Er etwas wider den Angeklagten vorzubringen?
Ach nein, Herr Amtmann, wenn Sie's erlauben, antwortete der Mann etwas weinerlich, ich verklag' ihn nicht, gewiß nicht, und was er von mir hat, das hat er aus gutem freien Willen, und ich will aber auch hoffen, daß ich wieder zu meinem Sach' komm'.
Also eine Schuldklage! rief der Amtmann enttäuscht. Dazu ist jetzt keine Zeit, das ist nachher vorzubringen. Fort!
Der ist pfiffig! sagte der Gefangene lachend: der weiß den Pelz zu waschen ohne ihn naß zu machen. Ich möcht' aber nicht haben, daß er in der Sorg' wär', er könnt' durch mich um etwas kommen, und weil wir ohnehin just an der Abrechnung von meinem Mütter¬ lichen sind, so ist mir's lieber, wenn das auch gleich dazu geschrie¬ ben wird.
Ich hab's ihm aus gutem freien Willen gelassen, Herr Amtmann, wiederholte der Vetter, erfreut über die Willfährigkeit des Gefan¬ genen, indem er sich zugleich, dem Befehl des Beamten gehorchend,
Wenn Er mit Gewalt 'nausgeſchmiſſen ſein will, ſo probir' Er Sein Glück. Darauf klopfte es an der Thüre erſt leiſe und demüthig, dann etwas lauter. Der Amtmann ließ einen grimmigen Blick nach der Thüre hinlaufen, rechnete aber ſtillſchweigend fort. Es klopfte wieder. Daß dich das Wetter! rief der Amtmann und warf den Bleiſtift hin: was iſt das für ein unverſchämter Lumpenkerl? Einer der Gerichts¬ beiſitzer ging auf den Zehen nach der Thüre und öffnete. Ein halb ſtädtiſch, halb ländlich gekleideter Mann ſtand davor, der, da er ſich auf einmal dem Amtmann gegenüber ſah, ein paar tiefe Kratzfüße machte. Mit Ihrem Wohlnehmen, Herr Amtmann! wollte er be¬ ginnen. Zugleich rief der Gefangene, der ſich neugierig umgeſehen hatte: Das iſt ja der Vetter aus Hattenhofen! Grüß' Gott, Vetter!
Still! gebot der Amtmann. Hab' jetzt keine Zeit! rief er dem Ankömmling zu. Sieht Er denn nicht, daß hier etwas Dringendes verhandelt wird? Und wie kann Er ſich unterſtehen, am Sonntag zu kommen?
Excüſe, Herr Amtmann, ſagte jener, ſchon halb auf dem Rückzuge begriffen, 's iſt ja eben wegen der Sach'.
Halt! rief der Amtmann. Herein da! Hat Er etwas wider den Angeklagten vorzubringen?
Ach nein, Herr Amtmann, wenn Sie's erlauben, antwortete der Mann etwas weinerlich, ich verklag' ihn nicht, gewiß nicht, und was er von mir hat, das hat er aus gutem freien Willen, und ich will aber auch hoffen, daß ich wieder zu meinem Sach' komm'.
Alſo eine Schuldklage! rief der Amtmann enttäuſcht. Dazu iſt jetzt keine Zeit, das iſt nachher vorzubringen. Fort!
Der iſt pfiffig! ſagte der Gefangene lachend: der weiß den Pelz zu waſchen ohne ihn naß zu machen. Ich möcht' aber nicht haben, daß er in der Sorg' wär', er könnt' durch mich um etwas kommen, und weil wir ohnehin juſt an der Abrechnung von meinem Mütter¬ lichen ſind, ſo iſt mir's lieber, wenn das auch gleich dazu geſchrie¬ ben wird.
Ich hab's ihm aus gutem freien Willen gelaſſen, Herr Amtmann, wiederholte der Vetter, erfreut über die Willfährigkeit des Gefan¬ genen, indem er ſich zugleich, dem Befehl des Beamten gehorchend,
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Wenn Er mit Gewalt 'nausgeſchmiſſen ſein will, ſo probir' Er Sein
Glück. Darauf klopfte es an der Thüre erſt leiſe und demüthig, dann
etwas lauter. Der Amtmann ließ einen grimmigen Blick nach der
Thüre hinlaufen, rechnete aber ſtillſchweigend fort. Es klopfte wieder.
Daß dich das Wetter! rief der Amtmann und warf den Bleiſtift hin:
was iſt das für ein unverſchämter Lumpenkerl? Einer der Gerichts¬
beiſitzer ging auf den Zehen nach der Thüre und öffnete. Ein halb
ſtädtiſch, halb ländlich gekleideter Mann ſtand davor, der, da er ſich
auf einmal dem Amtmann gegenüber ſah, ein paar tiefe Kratzfüße
machte. Mit Ihrem Wohlnehmen, Herr Amtmann! wollte er be¬
ginnen. Zugleich rief der Gefangene, der ſich neugierig umgeſehen
hatte: Das iſt ja der Vetter aus Hattenhofen! Grüß' Gott, Vetter!
Still! gebot der Amtmann. Hab' jetzt keine Zeit! rief er dem
Ankömmling zu. Sieht Er denn nicht, daß hier etwas Dringendes
verhandelt wird? Und wie kann Er ſich unterſtehen, am Sonntag zu
kommen?
Excüſe, Herr Amtmann, ſagte jener, ſchon halb auf dem Rückzuge
begriffen, 's iſt ja eben wegen der Sach'.
Halt! rief der Amtmann. Herein da! Hat Er etwas wider den
Angeklagten vorzubringen?
Ach nein, Herr Amtmann, wenn Sie's erlauben, antwortete der
Mann etwas weinerlich, ich verklag' ihn nicht, gewiß nicht, und was
er von mir hat, das hat er aus gutem freien Willen, und ich will
aber auch hoffen, daß ich wieder zu meinem Sach' komm'.
Alſo eine Schuldklage! rief der Amtmann enttäuſcht. Dazu iſt
jetzt keine Zeit, das iſt nachher vorzubringen. Fort!
Der iſt pfiffig! ſagte der Gefangene lachend: der weiß den Pelz
zu waſchen ohne ihn naß zu machen. Ich möcht' aber nicht haben,
daß er in der Sorg' wär', er könnt' durch mich um etwas kommen,
und weil wir ohnehin juſt an der Abrechnung von meinem Mütter¬
lichen ſind, ſo iſt mir's lieber, wenn das auch gleich dazu geſchrie¬
ben wird.
Ich hab's ihm aus gutem freien Willen gelaſſen, Herr Amtmann,
wiederholte der Vetter, erfreut über die Willfährigkeit des Gefan¬
genen, indem er ſich zugleich, dem Befehl des Beamten gehorchend,
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/292>, abgerufen am 22.11.2024.
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