wieder zu dir. Die Kathrine will ich von dir grüßen; sie spricht oft von dir, aber was hätt' sie davon, wenn du in ihrem Haus gefangen würdest?
Sie eilte mit dem Wasser fort. Er trank in gierigen Zügen am Brunnen, ging dann den Fußweg hin und wartete an dem bezeichneten Orte. Nach einer Viertelstunde kamen hastige Schritte. Sie war's; an ihrer Hand schwankte ein kleines Bündelein, das er ihr sogleich ab¬ nahm. Ich hab' nicht Abschied nehmen können, sagte sie: sie sind noch im Pfarrhaus, es ist Besuch ankommen, und da wird der Schul¬ meister immer eingeladen, denn er gilt beim Pfarrer viel. Weil du nun so pressirst, so hab' ich die Kinder einer Nachbarin übergeben und hab' meiner Frau sagen lassen, meine Mutter sei plötzlich krank wor¬ den, der Bot' hab' mich am Brunnen troffen und ich hab' ohne Ver¬ zug mit ihm fort müssen. Sie wird wohl von selber drauf kommen, wie sich's in Wahrheit verhält, und damit sie's um so eher errathen kann, so hab' ich mit dem Griffel auf die Schieferplatt' im Tisch ge¬ schrieben : "Will' und Lieb, die stiehlt kein Dieb."
Das ist die rechte Parole, sagte er. Das hat mich auch wieder in's Land geführt.
Jetzt aber erzähl' einmal, sagte sie. Wenn wir immer so durch einander schwätzen, so erfährt keins vom andern was Recht's.
Zuerst müssen wir den Marsch antreten, Frau Landfahrerin, ent¬ gegnete er. Geh' du voran und führ' mich den Weg auf die Straße hinaus. Dort können wir neben einander gehen und erzählen nach Herzenslust. Hier, so nah' am Dorf, ist's doch nicht recht geheuer. Ja, wo 'naus willst du, Herr Landfahrer? fragte sie. Das versteht sich doch: nach Ebersbach und die Kinder holen, denn ohne die ziehen wir nicht in die Welt hinaus.
Jetzt freut mich mein Leben erst! rief sie entzückt und schritt rüstig in der Dunkelheit voran. Er folgte. Mir ist's als wärst du kräftiger worden, sagte er hinter ihr her, du trittst ja auf wie eine Burge¬ meisterin, auch kommst du mir viel runder vor wie ehedem.
Ich hab' auch ein besseres Leben gehabt in der letzten Zeit, ant¬ wortete sie, immer vorwärts eilend: kann sein, daß ich mich wieder ein wenig 'rausgemacht hab'. Aber wenn du mich morgen bei Tag siehst, da wirst finden, daß ich nicht mehr das glatt' Gesicht von ehedessen hab'.
D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 19
wieder zu dir. Die Kathrine will ich von dir grüßen; ſie ſpricht oft von dir, aber was hätt' ſie davon, wenn du in ihrem Haus gefangen würdeſt?
Sie eilte mit dem Waſſer fort. Er trank in gierigen Zügen am Brunnen, ging dann den Fußweg hin und wartete an dem bezeichneten Orte. Nach einer Viertelſtunde kamen haſtige Schritte. Sie war's; an ihrer Hand ſchwankte ein kleines Bündelein, das er ihr ſogleich ab¬ nahm. Ich hab' nicht Abſchied nehmen können, ſagte ſie: ſie ſind noch im Pfarrhaus, es iſt Beſuch ankommen, und da wird der Schul¬ meiſter immer eingeladen, denn er gilt beim Pfarrer viel. Weil du nun ſo preſſirſt, ſo hab' ich die Kinder einer Nachbarin übergeben und hab' meiner Frau ſagen laſſen, meine Mutter ſei plötzlich krank wor¬ den, der Bot' hab' mich am Brunnen troffen und ich hab' ohne Ver¬ zug mit ihm fort müſſen. Sie wird wohl von ſelber drauf kommen, wie ſich's in Wahrheit verhält, und damit ſie's um ſo eher errathen kann, ſo hab' ich mit dem Griffel auf die Schieferplatt' im Tiſch ge¬ ſchrieben : „Will' und Lieb, die ſtiehlt kein Dieb.“
Das iſt die rechte Parole, ſagte er. Das hat mich auch wieder in's Land geführt.
Jetzt aber erzähl' einmal, ſagte ſie. Wenn wir immer ſo durch einander ſchwätzen, ſo erfährt keins vom andern was Recht's.
Zuerſt müſſen wir den Marſch antreten, Frau Landfahrerin, ent¬ gegnete er. Geh' du voran und führ' mich den Weg auf die Straße hinaus. Dort können wir neben einander gehen und erzählen nach Herzensluſt. Hier, ſo nah' am Dorf, iſt's doch nicht recht geheuer. Ja, wo 'naus willſt du, Herr Landfahrer? fragte ſie. Das verſteht ſich doch: nach Ebersbach und die Kinder holen, denn ohne die ziehen wir nicht in die Welt hinaus.
Jetzt freut mich mein Leben erſt! rief ſie entzückt und ſchritt rüſtig in der Dunkelheit voran. Er folgte. Mir iſt's als wärſt du kräftiger worden, ſagte er hinter ihr her, du trittſt ja auf wie eine Burge¬ meiſterin, auch kommſt du mir viel runder vor wie ehedem.
Ich hab' auch ein beſſeres Leben gehabt in der letzten Zeit, ant¬ wortete ſie, immer vorwärts eilend: kann ſein, daß ich mich wieder ein wenig 'rausgemacht hab'. Aber wenn du mich morgen bei Tag ſiehſt, da wirſt finden, daß ich nicht mehr das glatt' Geſicht von ehedeſſen hab'.
D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 19
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wieder zu dir. Die Kathrine will ich von dir grüßen; ſie ſpricht oft
von dir, aber was hätt' ſie davon, wenn du in ihrem Haus gefangen
würdeſt?
Sie eilte mit dem Waſſer fort. Er trank in gierigen Zügen am
Brunnen, ging dann den Fußweg hin und wartete an dem bezeichneten
Orte. Nach einer Viertelſtunde kamen haſtige Schritte. Sie war's;
an ihrer Hand ſchwankte ein kleines Bündelein, das er ihr ſogleich ab¬
nahm. Ich hab' nicht Abſchied nehmen können, ſagte ſie: ſie ſind
noch im Pfarrhaus, es iſt Beſuch ankommen, und da wird der Schul¬
meiſter immer eingeladen, denn er gilt beim Pfarrer viel. Weil du
nun ſo preſſirſt, ſo hab' ich die Kinder einer Nachbarin übergeben und
hab' meiner Frau ſagen laſſen, meine Mutter ſei plötzlich krank wor¬
den, der Bot' hab' mich am Brunnen troffen und ich hab' ohne Ver¬
zug mit ihm fort müſſen. Sie wird wohl von ſelber drauf kommen,
wie ſich's in Wahrheit verhält, und damit ſie's um ſo eher errathen
kann, ſo hab' ich mit dem Griffel auf die Schieferplatt' im Tiſch ge¬
ſchrieben : „Will' und Lieb, die ſtiehlt kein Dieb.“
Das iſt die rechte Parole, ſagte er. Das hat mich auch wieder
in's Land geführt.
Jetzt aber erzähl' einmal, ſagte ſie. Wenn wir immer ſo durch
einander ſchwätzen, ſo erfährt keins vom andern was Recht's.
Zuerſt müſſen wir den Marſch antreten, Frau Landfahrerin, ent¬
gegnete er. Geh' du voran und führ' mich den Weg auf die Straße
hinaus. Dort können wir neben einander gehen und erzählen nach
Herzensluſt. Hier, ſo nah' am Dorf, iſt's doch nicht recht geheuer.
Ja, wo 'naus willſt du, Herr Landfahrer? fragte ſie.
Das verſteht ſich doch: nach Ebersbach und die Kinder holen,
denn ohne die ziehen wir nicht in die Welt hinaus.
Jetzt freut mich mein Leben erſt! rief ſie entzückt und ſchritt rüſtig
in der Dunkelheit voran. Er folgte. Mir iſt's als wärſt du kräftiger
worden, ſagte er hinter ihr her, du trittſt ja auf wie eine Burge¬
meiſterin, auch kommſt du mir viel runder vor wie ehedem.
Ich hab' auch ein beſſeres Leben gehabt in der letzten Zeit, ant¬
wortete ſie, immer vorwärts eilend: kann ſein, daß ich mich wieder ein
wenig 'rausgemacht hab'. Aber wenn du mich morgen bei Tag ſiehſt,
da wirſt finden, daß ich nicht mehr das glatt' Geſicht von ehedeſſen hab'.
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/305>, abgerufen am 21.11.2024.
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