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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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gescharrt und das kleinste Flöcklein Hanf war uns nicht zu schlecht ge¬
wesen. Keine Seele kann sich eine Vorstellung machen, was das ein
Stück Arbeit gewesen ist und welche Attention, Diebsgeschicklichkeit und
Spitzbüberei es erfordert hat, nach und nach die nöthigen Stricke zu¬
sammen zu bringen. Das war fast noch mehr als die Arbeit an
der Mauer. Viele Stunden lang müßt' ich erzählen, wenn ich dir
Alles ausführlich sagen wollte; aber wer diese Werke und diese Felsen
und diesen spitzen Wolkenkegel nicht gesehen hat, dem kann man doch
keinen Begriff von den Schwierigkeiten einer solchen Flucht beibringen.
Ich würd's auch Keinem übel nehmen, wenn er's nicht glaubte; aber
die Thatsache steht nichtsdestoweniger fest, denn ich war lebenslänglicher
Gefangener und bin nicht freigegeben worden, und geh' jetzt dennoch
hier an deiner Seite durch den freien grünen Wald, und hab' ihnen
den Stolz auf die Unüberwindlichkeit ihrer starken Feste Hohentwiel
zu Schanden gemacht. Und nun frag' dich, wenn ich das zu Stand
gebracht hab', ob ich nicht auch im Stand sein müsse, dich und deine
Kinder durch Fleiß und Geschick irgendwie durchzuschlagen.

O, du kannst Alles was du willst, sagte sie mit schmeichelndem
und zugleich neckendem Tone: bist ein halber Hexenmeister worden,
und ich weiß gar nicht, du red'st auch nimmer wie sonst in Ebersbach,
dein Reden hat so eine fürnehme Art, und brauchst Ausdrück', wie
ich's nie früher an dir gehört hab'.

Natürlich! lachte er, drum bin ich in der Welt drein geweßt, und
das doppelt. Einmal am Main und Rhein drunten lernt man einen
ganz andern Schick, und bei meinem Vatersbruder, obgleich in seinem
Haus nichts Neumodisches zu finden ist, kehren gar stattliche Kunden
ein, weil er den Wein noch nach der alten Mode schenkt, ungestritzt
und wohlbehandelt und dabei billig, so daß Wirth und Gäste bestehen
können. Da kommen dir Leute von Welt hin, feine Köpfe, und wenn
man auf ihre Reden aufpaßt, so bleibt was an Einem hängen. Sie
haben mich freilich auch manchmal ein wenig in's Gebet genommen
und mir zu verstehen gegeben, man merke mir den Schwaben an, eh'
ich nur den Mund aufthue; aber aus welchem Käfig der Vogel aus¬
geflogen war, das haben sie mit all ihrem Witz doch nicht ergründet.
Dann aber ist auch das Zuchthaus und die Festung eine Welt, die
ihre Leute bildet, nicht bloß, wie du meinst, zum Stehlen und Rau¬

geſcharrt und das kleinſte Flöcklein Hanf war uns nicht zu ſchlecht ge¬
weſen. Keine Seele kann ſich eine Vorſtellung machen, was das ein
Stück Arbeit geweſen iſt und welche Attention, Diebsgeſchicklichkeit und
Spitzbüberei es erfordert hat, nach und nach die nöthigen Stricke zu¬
ſammen zu bringen. Das war faſt noch mehr als die Arbeit an
der Mauer. Viele Stunden lang müßt' ich erzählen, wenn ich dir
Alles ausführlich ſagen wollte; aber wer dieſe Werke und dieſe Felſen
und dieſen ſpitzen Wolkenkegel nicht geſehen hat, dem kann man doch
keinen Begriff von den Schwierigkeiten einer ſolchen Flucht beibringen.
Ich würd's auch Keinem übel nehmen, wenn er's nicht glaubte; aber
die Thatſache ſteht nichtsdeſtoweniger feſt, denn ich war lebenslänglicher
Gefangener und bin nicht freigegeben worden, und geh' jetzt dennoch
hier an deiner Seite durch den freien grünen Wald, und hab' ihnen
den Stolz auf die Unüberwindlichkeit ihrer ſtarken Feſte Hohentwiel
zu Schanden gemacht. Und nun frag' dich, wenn ich das zu Stand
gebracht hab', ob ich nicht auch im Stand ſein müſſe, dich und deine
Kinder durch Fleiß und Geſchick irgendwie durchzuſchlagen.

O, du kannſt Alles was du willſt, ſagte ſie mit ſchmeichelndem
und zugleich neckendem Tone: biſt ein halber Hexenmeiſter worden,
und ich weiß gar nicht, du red'ſt auch nimmer wie ſonſt in Ebersbach,
dein Reden hat ſo eine fürnehme Art, und brauchſt Ausdrück', wie
ich's nie früher an dir gehört hab'.

Natürlich! lachte er, drum bin ich in der Welt drein geweßt, und
das doppelt. Einmal am Main und Rhein drunten lernt man einen
ganz andern Schick, und bei meinem Vatersbruder, obgleich in ſeinem
Haus nichts Neumodiſches zu finden iſt, kehren gar ſtattliche Kunden
ein, weil er den Wein noch nach der alten Mode ſchenkt, ungeſtritzt
und wohlbehandelt und dabei billig, ſo daß Wirth und Gäſte beſtehen
können. Da kommen dir Leute von Welt hin, feine Köpfe, und wenn
man auf ihre Reden aufpaßt, ſo bleibt was an Einem hängen. Sie
haben mich freilich auch manchmal ein wenig in's Gebet genommen
und mir zu verſtehen gegeben, man merke mir den Schwaben an, eh'
ich nur den Mund aufthue; aber aus welchem Käfig der Vogel aus¬
geflogen war, das haben ſie mit all ihrem Witz doch nicht ergründet.
Dann aber iſt auch das Zuchthaus und die Feſtung eine Welt, die
ihre Leute bildet, nicht bloß, wie du meinſt, zum Stehlen und Rau¬

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[300/0316] geſcharrt und das kleinſte Flöcklein Hanf war uns nicht zu ſchlecht ge¬ weſen. Keine Seele kann ſich eine Vorſtellung machen, was das ein Stück Arbeit geweſen iſt und welche Attention, Diebsgeſchicklichkeit und Spitzbüberei es erfordert hat, nach und nach die nöthigen Stricke zu¬ ſammen zu bringen. Das war faſt noch mehr als die Arbeit an der Mauer. Viele Stunden lang müßt' ich erzählen, wenn ich dir Alles ausführlich ſagen wollte; aber wer dieſe Werke und dieſe Felſen und dieſen ſpitzen Wolkenkegel nicht geſehen hat, dem kann man doch keinen Begriff von den Schwierigkeiten einer ſolchen Flucht beibringen. Ich würd's auch Keinem übel nehmen, wenn er's nicht glaubte; aber die Thatſache ſteht nichtsdeſtoweniger feſt, denn ich war lebenslänglicher Gefangener und bin nicht freigegeben worden, und geh' jetzt dennoch hier an deiner Seite durch den freien grünen Wald, und hab' ihnen den Stolz auf die Unüberwindlichkeit ihrer ſtarken Feſte Hohentwiel zu Schanden gemacht. Und nun frag' dich, wenn ich das zu Stand gebracht hab', ob ich nicht auch im Stand ſein müſſe, dich und deine Kinder durch Fleiß und Geſchick irgendwie durchzuſchlagen. O, du kannſt Alles was du willſt, ſagte ſie mit ſchmeichelndem und zugleich neckendem Tone: biſt ein halber Hexenmeiſter worden, und ich weiß gar nicht, du red'ſt auch nimmer wie ſonſt in Ebersbach, dein Reden hat ſo eine fürnehme Art, und brauchſt Ausdrück', wie ich's nie früher an dir gehört hab'. Natürlich! lachte er, drum bin ich in der Welt drein geweßt, und das doppelt. Einmal am Main und Rhein drunten lernt man einen ganz andern Schick, und bei meinem Vatersbruder, obgleich in ſeinem Haus nichts Neumodiſches zu finden iſt, kehren gar ſtattliche Kunden ein, weil er den Wein noch nach der alten Mode ſchenkt, ungeſtritzt und wohlbehandelt und dabei billig, ſo daß Wirth und Gäſte beſtehen können. Da kommen dir Leute von Welt hin, feine Köpfe, und wenn man auf ihre Reden aufpaßt, ſo bleibt was an Einem hängen. Sie haben mich freilich auch manchmal ein wenig in's Gebet genommen und mir zu verſtehen gegeben, man merke mir den Schwaben an, eh' ich nur den Mund aufthue; aber aus welchem Käfig der Vogel aus¬ geflogen war, das haben ſie mit all ihrem Witz doch nicht ergründet. Dann aber iſt auch das Zuchthaus und die Feſtung eine Welt, die ihre Leute bildet, nicht bloß, wie du meinſt, zum Stehlen und Rau¬

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/316>, abgerufen am 21.11.2024.