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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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säuselt kommen, studirt er sich Alles 'raus, was er nöthig hat. Frei¬
lich braucht's auch manchmal längere Verständigungen. Da kommt
man dann am besten mit Singen fort. Ein Gesetzlein aus einem
Gassenhauer, wenn die Schildwacht gutmüthig und selber lustig ist,
oder wenn man nicht trauen darf oder gar einander ein Langes und
Breites zu sagen hat, ein Kirchenlied, das hilft Einem weit. Wie
hab ich's nicht meinem alten Schulmeister gedankt, daß er mir die
Choräle so ferm eingetrichtert hat! Die Soldaten haben oft ganz an¬
dächtig zugehört, wenn ich ein langes Bußlied nur so halblaut vor
mich hingesumset und dabei den Text zwischen den Zähnen zerdrückt,
nur hie und da ein deutsches Wort deutlich herausgehoben hab'. Das
Undeutliche aber war Alles jenisch und für meine beiden Leidensge¬
nossen deutlich genug. Das hat dann dazu dienen müssen, noch eine
zweite Sprache mit einander zu verabreden, die unsre Hauptsprache
werden mußte. Die Quader nämlich waren viel zu dick, als daß wir
uns bei Nacht hätten unterreden können, und daran war uns natürlich
am meisten gelegen. Nachdem wir aber ein bequemes Alphabet fertig
gebracht hatten, so klopften wir einander ganze Nächte fort, und was
wir klopften, das waren lauter Worte und Sätze. Gelt, du mußt
lachen? Aber die Klopfsprache war mir damals die liebste in der
Welt und hat sich auch viel besser bewährt, als die Blutsprache, die du
mir einmal im Arm auf die Wanderschaft hast mitgeben wollen. Zu
allem andern Glück kam dann noch ein kostbarer Fund, ein Nagel
nämlich, der mir eines Tags in die Hände gerieth, und dieses kleine
Werkzeug hat den Grund zu unsrer Freiheit legen müssen.

Was bist du für ein Mensch! rief sie. Man sollt' oft meinen,
du seiest mehr als ein Mensch.

Du kannst dir denken, wie oft mir da die Finger geblutet haben
und dann hab' ich's sehr gefühlt, daß ich ein Mensch bin, und wenn
ich an's Freiwerden und an dich und unsre Kinder gedacht hab' da
hab' ich auch wieder gewußt, daß ich einer bin. Um es kurz zu machen,
nach einer vierteljährigen schweren Nachtarbeit, neben den schweren Tages¬
arbeiten, war ein Loch durch die Mauer glücklich gebrochen, das Nie¬
mand entdeckte, aber dann dauerte es noch lang bis alle günstige Um¬
stände zusammentrafen. Was irgend zum Knüpfen und Binden tauglich
war, das hatten wir in den zwei Jahren wie die Hamster zusammen¬

ſäuſelt kommen, ſtudirt er ſich Alles 'raus, was er nöthig hat. Frei¬
lich braucht's auch manchmal längere Verſtändigungen. Da kommt
man dann am beſten mit Singen fort. Ein Geſetzlein aus einem
Gaſſenhauer, wenn die Schildwacht gutmüthig und ſelber luſtig iſt,
oder wenn man nicht trauen darf oder gar einander ein Langes und
Breites zu ſagen hat, ein Kirchenlied, das hilft Einem weit. Wie
hab ich's nicht meinem alten Schulmeiſter gedankt, daß er mir die
Choräle ſo ferm eingetrichtert hat! Die Soldaten haben oft ganz an¬
dächtig zugehört, wenn ich ein langes Bußlied nur ſo halblaut vor
mich hingeſumſet und dabei den Text zwiſchen den Zähnen zerdrückt,
nur hie und da ein deutſches Wort deutlich herausgehoben hab'. Das
Undeutliche aber war Alles jeniſch und für meine beiden Leidensge¬
noſſen deutlich genug. Das hat dann dazu dienen müſſen, noch eine
zweite Sprache mit einander zu verabreden, die unſre Hauptſprache
werden mußte. Die Quader nämlich waren viel zu dick, als daß wir
uns bei Nacht hätten unterreden können, und daran war uns natürlich
am meiſten gelegen. Nachdem wir aber ein bequemes Alphabet fertig
gebracht hatten, ſo klopften wir einander ganze Nächte fort, und was
wir klopften, das waren lauter Worte und Sätze. Gelt, du mußt
lachen? Aber die Klopfſprache war mir damals die liebſte in der
Welt und hat ſich auch viel beſſer bewährt, als die Blutſprache, die du
mir einmal im Arm auf die Wanderſchaft haſt mitgeben wollen. Zu
allem andern Glück kam dann noch ein koſtbarer Fund, ein Nagel
nämlich, der mir eines Tags in die Hände gerieth, und dieſes kleine
Werkzeug hat den Grund zu unſrer Freiheit legen müſſen.

Was biſt du für ein Menſch! rief ſie. Man ſollt' oft meinen,
du ſeieſt mehr als ein Menſch.

Du kannſt dir denken, wie oft mir da die Finger geblutet haben
und dann hab' ich's ſehr gefühlt, daß ich ein Menſch bin, und wenn
ich an's Freiwerden und an dich und unſre Kinder gedacht hab' da
hab' ich auch wieder gewußt, daß ich einer bin. Um es kurz zu machen,
nach einer vierteljährigen ſchweren Nachtarbeit, neben den ſchweren Tages¬
arbeiten, war ein Loch durch die Mauer glücklich gebrochen, das Nie¬
mand entdeckte, aber dann dauerte es noch lang bis alle günſtige Um¬
ſtände zuſammentrafen. Was irgend zum Knüpfen und Binden tauglich
war, das hatten wir in den zwei Jahren wie die Hamſter zuſammen¬

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[299/0315] ſäuſelt kommen, ſtudirt er ſich Alles 'raus, was er nöthig hat. Frei¬ lich braucht's auch manchmal längere Verſtändigungen. Da kommt man dann am beſten mit Singen fort. Ein Geſetzlein aus einem Gaſſenhauer, wenn die Schildwacht gutmüthig und ſelber luſtig iſt, oder wenn man nicht trauen darf oder gar einander ein Langes und Breites zu ſagen hat, ein Kirchenlied, das hilft Einem weit. Wie hab ich's nicht meinem alten Schulmeiſter gedankt, daß er mir die Choräle ſo ferm eingetrichtert hat! Die Soldaten haben oft ganz an¬ dächtig zugehört, wenn ich ein langes Bußlied nur ſo halblaut vor mich hingeſumſet und dabei den Text zwiſchen den Zähnen zerdrückt, nur hie und da ein deutſches Wort deutlich herausgehoben hab'. Das Undeutliche aber war Alles jeniſch und für meine beiden Leidensge¬ noſſen deutlich genug. Das hat dann dazu dienen müſſen, noch eine zweite Sprache mit einander zu verabreden, die unſre Hauptſprache werden mußte. Die Quader nämlich waren viel zu dick, als daß wir uns bei Nacht hätten unterreden können, und daran war uns natürlich am meiſten gelegen. Nachdem wir aber ein bequemes Alphabet fertig gebracht hatten, ſo klopften wir einander ganze Nächte fort, und was wir klopften, das waren lauter Worte und Sätze. Gelt, du mußt lachen? Aber die Klopfſprache war mir damals die liebſte in der Welt und hat ſich auch viel beſſer bewährt, als die Blutſprache, die du mir einmal im Arm auf die Wanderſchaft haſt mitgeben wollen. Zu allem andern Glück kam dann noch ein koſtbarer Fund, ein Nagel nämlich, der mir eines Tags in die Hände gerieth, und dieſes kleine Werkzeug hat den Grund zu unſrer Freiheit legen müſſen. Was biſt du für ein Menſch! rief ſie. Man ſollt' oft meinen, du ſeieſt mehr als ein Menſch. Du kannſt dir denken, wie oft mir da die Finger geblutet haben und dann hab' ich's ſehr gefühlt, daß ich ein Menſch bin, und wenn ich an's Freiwerden und an dich und unſre Kinder gedacht hab' da hab' ich auch wieder gewußt, daß ich einer bin. Um es kurz zu machen, nach einer vierteljährigen ſchweren Nachtarbeit, neben den ſchweren Tages¬ arbeiten, war ein Loch durch die Mauer glücklich gebrochen, das Nie¬ mand entdeckte, aber dann dauerte es noch lang bis alle günſtige Um¬ ſtände zuſammentrafen. Was irgend zum Knüpfen und Binden tauglich war, das hatten wir in den zwei Jahren wie die Hamſter zuſammen¬

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/315>, abgerufen am 22.11.2024.