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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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Solchen auf Hohentwiel gehabt, der in Krankheiten sehr erfahren war,
und nicht nur mir und manchem Andern geholfen, sondern auch den
Festungsdoctor selbst mehr als einmal ausgestochen hat. Der hat ihm
freilich die Ehre nicht gönnen wollen, als wenn es recht kritisch her¬
gangen ist, aber just dann ist auch der Ruhm desto größer gewesen.

Wenn aber so Leut' so geschickt sind, wendete sie ein, dann sollt's
ihnen ein Leicht's sein, sich ehrlich und redlich zu nähren.

Ist bald gesagt, erwiderte er. Diese Leute sind meistentheils von
Kindesbeinen auf heimathlos, gehören zu einem verachteten, verwor¬
fenen Menschenschlag, und würden zu ehrlichen Hanthierungen im bür¬
gerlichen Leben gar nicht angenommen, sind auch, was ich zugeben
will, theils schon durch ihre Eltern dazu verdorben, oder sie sind mit
und ohne ihre Schuld aus dem bürgerlichen Leben hinausgestoßen
worden -- denk' nur dran, wie's uns gangen ist -- und müssen
froh sein, daß sie da draußen doch noch eine Welt finden, in der sie
leben können. Das sind Leute, wie zu David's Zeit, da er vor dem
König Saul in die Höhle Adullam fliehen mußte und sich allerlei
Männer zu ihm versammelten, von denen die Schrift sagt: Männer,
die in Noth und Schuld und betrübtes Herzens waren. Jetzt ist's
freilich nicht mehr Mode, daß Einer aus einem Obersten über solche
Männer ein König werden kann, und es däucht mir selber unbe¬
greiflich, wenn ich dem Ding nachdenke, zumal daß von allen Kanzeln
sein Lob gepredigt wird, da er doch Stücke gethan hat, die heutzutag
mit Galgen und Rad bestraft würden. So schickt er zu dem Nabal
hin und läßt ihm sagen: gib mir und meinen Leuten, was deine Hand
findet; wie aber der Nabal Faust in Sack macht, so heißt er einen
Jeglichen sein Schwert um sich gürten, und zieht, vierhundert Mann
stark, gegen ihn, just so wie sie jetziger Zeit manchmal aus den böh¬
mischen Wäldern hervorbrechen. Und wiewohl die Abigail sich in's
Mittel gelegt hat, daß es nicht zum Aeußersten kommen ist, so hat er
Speis' und Trank genug ohne Zeche und Kreide gefaßt, und hat ei¬
gentlich doch den Nabal umgebracht, denn der hat aus Schrecken über
den Anmarsch der vierhundert betrübten Herzen den Geist ausgeblasen,
und hat ihm erst noch seine Wittwe zum Weib lassen müssen. Die
Schrift sagt wohl von ihm, der Mann sei hart und boshaftig in sei¬
nem Thun gewesen; aber gibt's darum keine Seinesgleichen mehr,

Solchen auf Hohentwiel gehabt, der in Krankheiten ſehr erfahren war,
und nicht nur mir und manchem Andern geholfen, ſondern auch den
Feſtungsdoctor ſelbſt mehr als einmal ausgeſtochen hat. Der hat ihm
freilich die Ehre nicht gönnen wollen, als wenn es recht kritiſch her¬
gangen iſt, aber juſt dann iſt auch der Ruhm deſto größer geweſen.

Wenn aber ſo Leut' ſo geſchickt ſind, wendete ſie ein, dann ſollt's
ihnen ein Leicht's ſein, ſich ehrlich und redlich zu nähren.

Iſt bald geſagt, erwiderte er. Dieſe Leute ſind meiſtentheils von
Kindesbeinen auf heimathlos, gehören zu einem verachteten, verwor¬
fenen Menſchenſchlag, und würden zu ehrlichen Hanthierungen im bür¬
gerlichen Leben gar nicht angenommen, ſind auch, was ich zugeben
will, theils ſchon durch ihre Eltern dazu verdorben, oder ſie ſind mit
und ohne ihre Schuld aus dem bürgerlichen Leben hinausgeſtoßen
worden — denk' nur dran, wie's uns gangen iſt — und müſſen
froh ſein, daß ſie da draußen doch noch eine Welt finden, in der ſie
leben können. Das ſind Leute, wie zu David's Zeit, da er vor dem
König Saul in die Höhle Adullam fliehen mußte und ſich allerlei
Männer zu ihm verſammelten, von denen die Schrift ſagt: Männer,
die in Noth und Schuld und betrübtes Herzens waren. Jetzt iſt's
freilich nicht mehr Mode, daß Einer aus einem Oberſten über ſolche
Männer ein König werden kann, und es däucht mir ſelber unbe¬
greiflich, wenn ich dem Ding nachdenke, zumal daß von allen Kanzeln
ſein Lob gepredigt wird, da er doch Stücke gethan hat, die heutzutag
mit Galgen und Rad beſtraft würden. So ſchickt er zu dem Nabal
hin und läßt ihm ſagen: gib mir und meinen Leuten, was deine Hand
findet; wie aber der Nabal Fauſt in Sack macht, ſo heißt er einen
Jeglichen ſein Schwert um ſich gürten, und zieht, vierhundert Mann
ſtark, gegen ihn, juſt ſo wie ſie jetziger Zeit manchmal aus den böh¬
miſchen Wäldern hervorbrechen. Und wiewohl die Abigail ſich in's
Mittel gelegt hat, daß es nicht zum Aeußerſten kommen iſt, ſo hat er
Speiſ' und Trank genug ohne Zeche und Kreide gefaßt, und hat ei¬
gentlich doch den Nabal umgebracht, denn der hat aus Schrecken über
den Anmarſch der vierhundert betrübten Herzen den Geiſt ausgeblaſen,
und hat ihm erſt noch ſeine Wittwe zum Weib laſſen müſſen. Die
Schrift ſagt wohl von ihm, der Mann ſei hart und boshaftig in ſei¬
nem Thun geweſen; aber gibt's darum keine Seinesgleichen mehr,

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[302/0318] Solchen auf Hohentwiel gehabt, der in Krankheiten ſehr erfahren war, und nicht nur mir und manchem Andern geholfen, ſondern auch den Feſtungsdoctor ſelbſt mehr als einmal ausgeſtochen hat. Der hat ihm freilich die Ehre nicht gönnen wollen, als wenn es recht kritiſch her¬ gangen iſt, aber juſt dann iſt auch der Ruhm deſto größer geweſen. Wenn aber ſo Leut' ſo geſchickt ſind, wendete ſie ein, dann ſollt's ihnen ein Leicht's ſein, ſich ehrlich und redlich zu nähren. Iſt bald geſagt, erwiderte er. Dieſe Leute ſind meiſtentheils von Kindesbeinen auf heimathlos, gehören zu einem verachteten, verwor¬ fenen Menſchenſchlag, und würden zu ehrlichen Hanthierungen im bür¬ gerlichen Leben gar nicht angenommen, ſind auch, was ich zugeben will, theils ſchon durch ihre Eltern dazu verdorben, oder ſie ſind mit und ohne ihre Schuld aus dem bürgerlichen Leben hinausgeſtoßen worden — denk' nur dran, wie's uns gangen iſt — und müſſen froh ſein, daß ſie da draußen doch noch eine Welt finden, in der ſie leben können. Das ſind Leute, wie zu David's Zeit, da er vor dem König Saul in die Höhle Adullam fliehen mußte und ſich allerlei Männer zu ihm verſammelten, von denen die Schrift ſagt: Männer, die in Noth und Schuld und betrübtes Herzens waren. Jetzt iſt's freilich nicht mehr Mode, daß Einer aus einem Oberſten über ſolche Männer ein König werden kann, und es däucht mir ſelber unbe¬ greiflich, wenn ich dem Ding nachdenke, zumal daß von allen Kanzeln ſein Lob gepredigt wird, da er doch Stücke gethan hat, die heutzutag mit Galgen und Rad beſtraft würden. So ſchickt er zu dem Nabal hin und läßt ihm ſagen: gib mir und meinen Leuten, was deine Hand findet; wie aber der Nabal Fauſt in Sack macht, ſo heißt er einen Jeglichen ſein Schwert um ſich gürten, und zieht, vierhundert Mann ſtark, gegen ihn, juſt ſo wie ſie jetziger Zeit manchmal aus den böh¬ miſchen Wäldern hervorbrechen. Und wiewohl die Abigail ſich in's Mittel gelegt hat, daß es nicht zum Aeußerſten kommen iſt, ſo hat er Speiſ' und Trank genug ohne Zeche und Kreide gefaßt, und hat ei¬ gentlich doch den Nabal umgebracht, denn der hat aus Schrecken über den Anmarſch der vierhundert betrübten Herzen den Geiſt ausgeblaſen, und hat ihm erſt noch ſeine Wittwe zum Weib laſſen müſſen. Die Schrift ſagt wohl von ihm, der Mann ſei hart und boshaftig in ſei¬ nem Thun geweſen; aber gibt's darum keine Seinesgleichen mehr,

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/318>, abgerufen am 22.11.2024.