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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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die, wie er, fast großen Vermögens sind und viele Schafe und Ziegen
haben? Ich möcht' sehen, wenn ihnen Einer heutigs Tags so was
thät', was weltliche und geistliche Obrigkeit dazu bemerken würden.
Von den Zigeunern sagen sie, sie betteln zuerst, und wenn man's
ihnen nicht gutwillig gebe, so nehmen sie's mit Gewalt. Aber das
hat noch kein Pfarrer als Muster aufgestellt. Vielmehr hat mir schon
in Ludwigsburg Einer, der bei einem Generalstreif aufgefangen wurde
und in Gesetzen sehr bewandert und ein halber Gelehrter war, der
hat mir gesagt, es sei erst vor wenigen Jahren ein Kreispatent aus¬
gegangen, daß man das gottlose und verruchte Jauner- und Zigeuner¬
volk, auch wenn man es nicht auf einer Missethat ergreife, -- ich
weiß den gelehrten Ausdruck nicht mehr, aber der Sinn ist: ohne ei¬
gentliches Verhör und Urtel, also daß man eben so gut einen Un¬
schuldigen treffen kann -- sage, ohne alle Umstände solle man sie auf's
Rad legen, und solle dabei nur das unbenommen sein, daß man sie
zum Schwert oder Strang begnadigen könne.

Das ist freilich schrecklich, seufzte sie. Es ist eben eine arge Welt
und eine böse Zeit. Aber so froh ich bin, daß du mit ihnen von
der Festung entkommen bist, so ist mir's doch noch viel lieber, daß
du dich wieder von ihnen losgeschält hast. Ist's auch gewiß wahr?

Freilich ist's wahr, so gewiß, als es von Hohentwiel einen Weg
nach Sachsenhausen gibt. Ich hab' freilich nicht immer den gradsten
genommen; 's ist mir gangen wie bei der Erzählung da, wo du mich
fort und fort auf Um- und Nebenwege drängst.

Ich will dich nicht weiter unterbrechen. Erzähl' gradaus.

Wie wir mit unsern Vorbereitungen endlich fertig gewesen sind,
haben wir uns an den steilen, rothen Felsen hinabgelassen. War
aber wenig davon zu sehen, denn wie du dir denken kannst, haben
wir eine stürmische Regennacht gewählt. Einer voran, ich in der
Mitte und einer zuletzt, wie wir eben drangekommen sind, so sind wir
an unsrem armseligen Seil hinuntergerutscht. Wir zwei Vordern ha¬
ben uns nicht lang besonnen, haben's auch nicht geachtet, daß unsre
Hände halb durchgeschnitten wurden, sondern sind hinabgesaust wie der
Teufel, wenn er mit einer armen Seel' zur Hölle fährt. Dem Letzten
aber ging's nicht so gut. Hat er sich zu schwer gemacht, die Hände
zu sehr geschont, oder ist das Seil durch uns schon abgenutzt gewesen,

die, wie er, faſt großen Vermögens ſind und viele Schafe und Ziegen
haben? Ich möcht' ſehen, wenn ihnen Einer heutigs Tags ſo was
thät', was weltliche und geiſtliche Obrigkeit dazu bemerken würden.
Von den Zigeunern ſagen ſie, ſie betteln zuerſt, und wenn man's
ihnen nicht gutwillig gebe, ſo nehmen ſie's mit Gewalt. Aber das
hat noch kein Pfarrer als Muſter aufgeſtellt. Vielmehr hat mir ſchon
in Ludwigsburg Einer, der bei einem Generalſtreif aufgefangen wurde
und in Geſetzen ſehr bewandert und ein halber Gelehrter war, der
hat mir geſagt, es ſei erſt vor wenigen Jahren ein Kreispatent aus¬
gegangen, daß man das gottloſe und verruchte Jauner- und Zigeuner¬
volk, auch wenn man es nicht auf einer Miſſethat ergreife, — ich
weiß den gelehrten Ausdruck nicht mehr, aber der Sinn iſt: ohne ei¬
gentliches Verhör und Urtel, alſo daß man eben ſo gut einen Un¬
ſchuldigen treffen kann — ſage, ohne alle Umſtände ſolle man ſie auf's
Rad legen, und ſolle dabei nur das unbenommen ſein, daß man ſie
zum Schwert oder Strang begnadigen könne.

Das iſt freilich ſchrecklich, ſeufzte ſie. Es iſt eben eine arge Welt
und eine böſe Zeit. Aber ſo froh ich bin, daß du mit ihnen von
der Feſtung entkommen biſt, ſo iſt mir's doch noch viel lieber, daß
du dich wieder von ihnen losgeſchält haſt. Iſt's auch gewiß wahr?

Freilich iſt's wahr, ſo gewiß, als es von Hohentwiel einen Weg
nach Sachſenhauſen gibt. Ich hab' freilich nicht immer den gradſten
genommen; 's iſt mir gangen wie bei der Erzählung da, wo du mich
fort und fort auf Um- und Nebenwege drängſt.

Ich will dich nicht weiter unterbrechen. Erzähl' gradaus.

Wie wir mit unſern Vorbereitungen endlich fertig geweſen ſind,
haben wir uns an den ſteilen, rothen Felſen hinabgelaſſen. War
aber wenig davon zu ſehen, denn wie du dir denken kannſt, haben
wir eine ſtürmiſche Regennacht gewählt. Einer voran, ich in der
Mitte und einer zuletzt, wie wir eben drangekommen ſind, ſo ſind wir
an unſrem armſeligen Seil hinuntergerutſcht. Wir zwei Vordern ha¬
ben uns nicht lang beſonnen, haben's auch nicht geachtet, daß unſre
Hände halb durchgeſchnitten wurden, ſondern ſind hinabgeſaust wie der
Teufel, wenn er mit einer armen Seel' zur Hölle fährt. Dem Letzten
aber ging's nicht ſo gut. Hat er ſich zu ſchwer gemacht, die Hände
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[303/0319] die, wie er, faſt großen Vermögens ſind und viele Schafe und Ziegen haben? Ich möcht' ſehen, wenn ihnen Einer heutigs Tags ſo was thät', was weltliche und geiſtliche Obrigkeit dazu bemerken würden. Von den Zigeunern ſagen ſie, ſie betteln zuerſt, und wenn man's ihnen nicht gutwillig gebe, ſo nehmen ſie's mit Gewalt. Aber das hat noch kein Pfarrer als Muſter aufgeſtellt. Vielmehr hat mir ſchon in Ludwigsburg Einer, der bei einem Generalſtreif aufgefangen wurde und in Geſetzen ſehr bewandert und ein halber Gelehrter war, der hat mir geſagt, es ſei erſt vor wenigen Jahren ein Kreispatent aus¬ gegangen, daß man das gottloſe und verruchte Jauner- und Zigeuner¬ volk, auch wenn man es nicht auf einer Miſſethat ergreife, — ich weiß den gelehrten Ausdruck nicht mehr, aber der Sinn iſt: ohne ei¬ gentliches Verhör und Urtel, alſo daß man eben ſo gut einen Un¬ ſchuldigen treffen kann — ſage, ohne alle Umſtände ſolle man ſie auf's Rad legen, und ſolle dabei nur das unbenommen ſein, daß man ſie zum Schwert oder Strang begnadigen könne. Das iſt freilich ſchrecklich, ſeufzte ſie. Es iſt eben eine arge Welt und eine böſe Zeit. Aber ſo froh ich bin, daß du mit ihnen von der Feſtung entkommen biſt, ſo iſt mir's doch noch viel lieber, daß du dich wieder von ihnen losgeſchält haſt. Iſt's auch gewiß wahr? Freilich iſt's wahr, ſo gewiß, als es von Hohentwiel einen Weg nach Sachſenhauſen gibt. Ich hab' freilich nicht immer den gradſten genommen; 's iſt mir gangen wie bei der Erzählung da, wo du mich fort und fort auf Um- und Nebenwege drängſt. Ich will dich nicht weiter unterbrechen. Erzähl' gradaus. Wie wir mit unſern Vorbereitungen endlich fertig geweſen ſind, haben wir uns an den ſteilen, rothen Felſen hinabgelaſſen. War aber wenig davon zu ſehen, denn wie du dir denken kannſt, haben wir eine ſtürmiſche Regennacht gewählt. Einer voran, ich in der Mitte und einer zuletzt, wie wir eben drangekommen ſind, ſo ſind wir an unſrem armſeligen Seil hinuntergerutſcht. Wir zwei Vordern ha¬ ben uns nicht lang beſonnen, haben's auch nicht geachtet, daß unſre Hände halb durchgeſchnitten wurden, ſondern ſind hinabgeſaust wie der Teufel, wenn er mit einer armen Seel' zur Hölle fährt. Dem Letzten aber ging's nicht ſo gut. Hat er ſich zu ſchwer gemacht, die Hände zu ſehr geſchont, oder iſt das Seil durch uns ſchon abgenutzt geweſen,

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/319>, abgerufen am 15.06.2024.