preisgegebene Gemüth des Mannes, der sich nicht gescheut hatte, heilig gehaltene Geräthe des Gottes, zu dem er betete, anzutasten. Er ließ sein Weib zur Erde gleiten, erhob sich in die Kniee und rief, die Arme gegen den blauer werdenden Morgenhimmel ausgebreitet, unter strömenden Thränen: Himmlischer Vater, gib uns deinen Segen um jenes Gerechten willen! Du bist ja mit den unvernünftigen Geschöpfen, die unter deiner Sonne wimmeln, und gibst ihnen Nahrung und Klei¬ dung auf ihre Zeit. Trag' und erhalt' auch uns, die wir deine Kinder sind, und gib uns unser Brod, uns und unsern armen Kleinen. Führ' uns aus diesem Land, wo Vater und Mutter hart sind, in ein mil¬ deres, das du uns verheißen mögest, laß uns vor dir wandeln und behüte uns, daß wir nicht mehr in Anfechtung fallen.
Christine kniete neben ihm und schluchzte laut. Nachdem er ge¬ endet hatte, blieben beide noch lange auf den Knieen liegen. Das Feuer sank allmählich in Kohlen und Asche zusammen und durch die Gipfel der Bäume lächelte das Gestirn des Tages, das Wärme und Leben bringend über den Bergen aufgegangen war.
Jetzt komm, Christine, wollen aufbrechen, die Sonne ist herauf und die Kälte läßt nach, sagte Friedrich, ihr Bündel ergreifend. Sie zogen schweigend und voll Gedanken durch die Wälder hin, die vom Fuße der Alb zwischen dem Neckar- und Filsthal in das Land hineinlaufen. Hie und da führte ihr Pfad an einem einsamen Hofe vorüber, schlängelte sich aber gleich wieder dem Walde zu. In einem dieser abgelege¬ nen Gehöfte wagten sie sich mit gestandener (saurer) Milch und etwas Schwarzbrod zu erquicken, hielten sich aber, da sie von den Leuten mißtrauisch angesehen wurden, nicht lange auf. Als sie wieder auf der Wanderschaft waren, sagte er endlich: Jetzt ist das Erzählen an dir, Christine.
Das ist kurz bei einander, versetzte sie, mir ist nicht so viel vor¬ kommen, wie dir. Nach deiner Gefangennehmung, wo du nach Hohent¬ wiel kommen bist, hat man mich auch ein wenig einthürmt.
Aber nichts auf dich bringen können, das weiß ich schon von dei¬ ner Mutter.
Nachher ist's eben wieder das alt' Lied gewesen. Sie haben mich vor Kirchenconvent citirt und haben mich gefragt, wer der Vater zu dem Kind sei, mit dem ich geh'.
preisgegebene Gemüth des Mannes, der ſich nicht geſcheut hatte, heilig gehaltene Geräthe des Gottes, zu dem er betete, anzutaſten. Er ließ ſein Weib zur Erde gleiten, erhob ſich in die Kniee und rief, die Arme gegen den blauer werdenden Morgenhimmel ausgebreitet, unter ſtrömenden Thränen: Himmliſcher Vater, gib uns deinen Segen um jenes Gerechten willen! Du biſt ja mit den unvernünftigen Geſchöpfen, die unter deiner Sonne wimmeln, und gibſt ihnen Nahrung und Klei¬ dung auf ihre Zeit. Trag' und erhalt' auch uns, die wir deine Kinder ſind, und gib uns unſer Brod, uns und unſern armen Kleinen. Führ' uns aus dieſem Land, wo Vater und Mutter hart ſind, in ein mil¬ deres, das du uns verheißen mögeſt, laß uns vor dir wandeln und behüte uns, daß wir nicht mehr in Anfechtung fallen.
Chriſtine kniete neben ihm und ſchluchzte laut. Nachdem er ge¬ endet hatte, blieben beide noch lange auf den Knieen liegen. Das Feuer ſank allmählich in Kohlen und Aſche zuſammen und durch die Gipfel der Bäume lächelte das Geſtirn des Tages, das Wärme und Leben bringend über den Bergen aufgegangen war.
Jetzt komm, Chriſtine, wollen aufbrechen, die Sonne iſt herauf und die Kälte läßt nach, ſagte Friedrich, ihr Bündel ergreifend. Sie zogen ſchweigend und voll Gedanken durch die Wälder hin, die vom Fuße der Alb zwiſchen dem Neckar- und Filsthal in das Land hineinlaufen. Hie und da führte ihr Pfad an einem einſamen Hofe vorüber, ſchlängelte ſich aber gleich wieder dem Walde zu. In einem dieſer abgelege¬ nen Gehöfte wagten ſie ſich mit geſtandener (ſaurer) Milch und etwas Schwarzbrod zu erquicken, hielten ſich aber, da ſie von den Leuten mißtrauiſch angeſehen wurden, nicht lange auf. Als ſie wieder auf der Wanderſchaft waren, ſagte er endlich: Jetzt iſt das Erzählen an dir, Chriſtine.
Das iſt kurz bei einander, verſetzte ſie, mir iſt nicht ſo viel vor¬ kommen, wie dir. Nach deiner Gefangennehmung, wo du nach Hohent¬ wiel kommen biſt, hat man mich auch ein wenig einthürmt.
Aber nichts auf dich bringen können, das weiß ich ſchon von dei¬ ner Mutter.
Nachher iſt's eben wieder das alt' Lied geweſen. Sie haben mich vor Kirchenconvent citirt und haben mich gefragt, wer der Vater zu dem Kind ſei, mit dem ich geh'.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0329"n="313"/>
preisgegebene Gemüth des Mannes, der ſich nicht geſcheut hatte, heilig<lb/>
gehaltene Geräthe des Gottes, zu dem er betete, anzutaſten. Er ließ<lb/>ſein Weib zur Erde gleiten, erhob ſich in die Kniee und rief, die<lb/>
Arme gegen den blauer werdenden Morgenhimmel ausgebreitet, unter<lb/>ſtrömenden Thränen: Himmliſcher Vater, gib uns deinen Segen um<lb/>
jenes Gerechten willen! Du biſt ja mit den unvernünftigen Geſchöpfen,<lb/>
die unter deiner Sonne wimmeln, und gibſt ihnen Nahrung und Klei¬<lb/>
dung auf ihre Zeit. Trag' und erhalt' auch uns, die wir deine Kinder<lb/>ſind, und gib uns unſer Brod, uns und unſern armen Kleinen. Führ'<lb/>
uns aus dieſem Land, wo Vater und Mutter hart ſind, in ein mil¬<lb/>
deres, das du uns verheißen mögeſt, laß uns vor dir wandeln und<lb/>
behüte uns, daß wir nicht mehr in Anfechtung fallen.</p><lb/><p>Chriſtine kniete neben ihm und ſchluchzte laut. Nachdem er ge¬<lb/>
endet hatte, blieben beide noch lange auf den Knieen liegen. Das<lb/>
Feuer ſank allmählich in Kohlen und Aſche zuſammen und durch die<lb/>
Gipfel der Bäume lächelte das Geſtirn des Tages, das Wärme und<lb/>
Leben bringend über den Bergen aufgegangen war.</p><lb/><p>Jetzt komm, Chriſtine, wollen aufbrechen, die Sonne iſt herauf und<lb/>
die Kälte läßt nach, ſagte Friedrich, ihr Bündel ergreifend. Sie zogen<lb/>ſchweigend und voll Gedanken durch die Wälder hin, die vom Fuße<lb/>
der Alb zwiſchen dem Neckar- und Filsthal in das Land hineinlaufen.<lb/>
Hie und da führte ihr Pfad an einem einſamen Hofe vorüber, ſchlängelte<lb/>ſich aber gleich wieder dem Walde zu. In einem dieſer abgelege¬<lb/>
nen Gehöfte wagten ſie ſich mit geſtandener (ſaurer) Milch und<lb/>
etwas Schwarzbrod zu erquicken, hielten ſich aber, da ſie von den<lb/>
Leuten mißtrauiſch angeſehen wurden, nicht lange auf. Als ſie wieder<lb/>
auf der Wanderſchaft waren, ſagte er endlich: Jetzt iſt das Erzählen<lb/>
an dir, Chriſtine.</p><lb/><p>Das iſt kurz bei einander, verſetzte ſie, mir iſt nicht ſo viel vor¬<lb/>
kommen, wie dir. Nach deiner Gefangennehmung, wo du nach Hohent¬<lb/>
wiel kommen biſt, hat man mich auch ein wenig einthürmt.</p><lb/><p>Aber nichts auf dich bringen können, das weiß ich ſchon von dei¬<lb/>
ner Mutter.</p><lb/><p>Nachher iſt's eben wieder das alt' Lied geweſen. Sie haben mich<lb/>
vor Kirchenconvent citirt und haben mich gefragt, wer der Vater zu<lb/>
dem Kind ſei, mit dem ich geh'.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[313/0329]
preisgegebene Gemüth des Mannes, der ſich nicht geſcheut hatte, heilig
gehaltene Geräthe des Gottes, zu dem er betete, anzutaſten. Er ließ
ſein Weib zur Erde gleiten, erhob ſich in die Kniee und rief, die
Arme gegen den blauer werdenden Morgenhimmel ausgebreitet, unter
ſtrömenden Thränen: Himmliſcher Vater, gib uns deinen Segen um
jenes Gerechten willen! Du biſt ja mit den unvernünftigen Geſchöpfen,
die unter deiner Sonne wimmeln, und gibſt ihnen Nahrung und Klei¬
dung auf ihre Zeit. Trag' und erhalt' auch uns, die wir deine Kinder
ſind, und gib uns unſer Brod, uns und unſern armen Kleinen. Führ'
uns aus dieſem Land, wo Vater und Mutter hart ſind, in ein mil¬
deres, das du uns verheißen mögeſt, laß uns vor dir wandeln und
behüte uns, daß wir nicht mehr in Anfechtung fallen.
Chriſtine kniete neben ihm und ſchluchzte laut. Nachdem er ge¬
endet hatte, blieben beide noch lange auf den Knieen liegen. Das
Feuer ſank allmählich in Kohlen und Aſche zuſammen und durch die
Gipfel der Bäume lächelte das Geſtirn des Tages, das Wärme und
Leben bringend über den Bergen aufgegangen war.
Jetzt komm, Chriſtine, wollen aufbrechen, die Sonne iſt herauf und
die Kälte läßt nach, ſagte Friedrich, ihr Bündel ergreifend. Sie zogen
ſchweigend und voll Gedanken durch die Wälder hin, die vom Fuße
der Alb zwiſchen dem Neckar- und Filsthal in das Land hineinlaufen.
Hie und da führte ihr Pfad an einem einſamen Hofe vorüber, ſchlängelte
ſich aber gleich wieder dem Walde zu. In einem dieſer abgelege¬
nen Gehöfte wagten ſie ſich mit geſtandener (ſaurer) Milch und
etwas Schwarzbrod zu erquicken, hielten ſich aber, da ſie von den
Leuten mißtrauiſch angeſehen wurden, nicht lange auf. Als ſie wieder
auf der Wanderſchaft waren, ſagte er endlich: Jetzt iſt das Erzählen
an dir, Chriſtine.
Das iſt kurz bei einander, verſetzte ſie, mir iſt nicht ſo viel vor¬
kommen, wie dir. Nach deiner Gefangennehmung, wo du nach Hohent¬
wiel kommen biſt, hat man mich auch ein wenig einthürmt.
Aber nichts auf dich bringen können, das weiß ich ſchon von dei¬
ner Mutter.
Nachher iſt's eben wieder das alt' Lied geweſen. Sie haben mich
vor Kirchenconvent citirt und haben mich gefragt, wer der Vater zu
dem Kind ſei, mit dem ich geh'.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/329>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.