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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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Ich kann dich nicht capiren, Daniel! erwiderte sie befremdet und
scharf, denn sie war dieses Tons von ihrem Manne ungewohnt. Als
Leute, die mit der Zeit fortgeschritten waren, liebten Beide die von ihren
altmodischen Eltern ihnen in der Taufe beigelegten Vornamen nicht
sonderlich und pflegten sich deßhalb nur dann bei diesen Namen zu
nennen, wenn sie von einer etwas stechenden Laune gegen einander
befallen waren.

Der Amtmann, der das Nachgeben mehr durch die Leitung als
durch das eigene Beispiel seiner Frau gelernt hatte, dämpfte seinen
Ton ein wenig und sagte erläuternd: Du scheinst nicht daran zu den¬
ken, daß der vermaledeite Bursche, der Sonnenwirthle, in den Wäldern
haust. Sonst sollte mich der Winter nicht von der Jagd abgehalten
haben. Mein ganzer Chagrin rührt ja einzig und allein von diesem
Lotterbuben her.

Er hat noch Niemand angefallen, sagte die Amtmännin. Er holt
sich hie und da Victualien, wo er sie findet. Das ist Alles. Und
du kannst ja Mannschaft genug mitnehmen.

Du bedenkst gar nicht, daß er auf mich eine spezielle Pique hat,
versetzte der Amtmann.

Ich halte ihn nicht für so rachsüchtig, erwiderte sie. Bei seiner
Kühnheit, Stärke und Verschlagenheit hätte er sonst hier, wo er doch
Manchen haßt, schon das größte Unheil anrichten können.

Wer steht dir dafür, daß es nicht noch geschieht? rief der Amt¬
mann. So lang seine Concubine in Göppingen gefangen sitzt, wird
er sich hüten, die Strenge des Gesetzes gegen diese Geisel herauszu¬
fordern. Wenn sie aber einmal frei ist, und ewig behalten kann man
sie nicht, weil sie nichts Erweisliches peccirt hat, so wird er schon die
Hörner heraus strecken. Ich seh' es kommen, daß er das Handwerk,
wenn's im Kleinen nicht mehr geht, ins Große ausdehnt und sich in
den Orden der Jauner aufnehmen läßt.

Nun, diese gibt's wenigstens in unsrer Gegend nicht.

Sie sind überall und nirgends: wenn sie heute ausbleiben, so sind
sie dafür morgen da. Diese politischen Blutigel, die sich auf mehrere
Tausende belaufen mögen, scheinen eine inerstirpable Landescalamität
zu sein. Sie kosten der Gesammtheit der verschiedenen Dominien in
Schwaben jährlich Hunderttausende von Gulden, theils an Erbetteltem

Ich kann dich nicht capiren, Daniel! erwiderte ſie befremdet und
ſcharf, denn ſie war dieſes Tons von ihrem Manne ungewohnt. Als
Leute, die mit der Zeit fortgeſchritten waren, liebten Beide die von ihren
altmodiſchen Eltern ihnen in der Taufe beigelegten Vornamen nicht
ſonderlich und pflegten ſich deßhalb nur dann bei dieſen Namen zu
nennen, wenn ſie von einer etwas ſtechenden Laune gegen einander
befallen waren.

Der Amtmann, der das Nachgeben mehr durch die Leitung als
durch das eigene Beiſpiel ſeiner Frau gelernt hatte, dämpfte ſeinen
Ton ein wenig und ſagte erläuternd: Du ſcheinſt nicht daran zu den¬
ken, daß der vermaledeite Burſche, der Sonnenwirthle, in den Wäldern
haust. Sonſt ſollte mich der Winter nicht von der Jagd abgehalten
haben. Mein ganzer Chagrin rührt ja einzig und allein von dieſem
Lotterbuben her.

Er hat noch Niemand angefallen, ſagte die Amtmännin. Er holt
ſich hie und da Victualien, wo er ſie findet. Das iſt Alles. Und
du kannſt ja Mannſchaft genug mitnehmen.

Du bedenkſt gar nicht, daß er auf mich eine ſpezielle Pique hat,
verſetzte der Amtmann.

Ich halte ihn nicht für ſo rachſüchtig, erwiderte ſie. Bei ſeiner
Kühnheit, Stärke und Verſchlagenheit hätte er ſonſt hier, wo er doch
Manchen haßt, ſchon das größte Unheil anrichten können.

Wer ſteht dir dafür, daß es nicht noch geſchieht? rief der Amt¬
mann. So lang ſeine Concubine in Göppingen gefangen ſitzt, wird
er ſich hüten, die Strenge des Geſetzes gegen dieſe Geiſel herauszu¬
fordern. Wenn ſie aber einmal frei iſt, und ewig behalten kann man
ſie nicht, weil ſie nichts Erweisliches peccirt hat, ſo wird er ſchon die
Hörner heraus ſtrecken. Ich ſeh' es kommen, daß er das Handwerk,
wenn's im Kleinen nicht mehr geht, ins Große ausdehnt und ſich in
den Orden der Jauner aufnehmen läßt.

Nun, dieſe gibt's wenigſtens in unſrer Gegend nicht.

Sie ſind überall und nirgends: wenn ſie heute ausbleiben, ſo ſind
ſie dafür morgen da. Dieſe politiſchen Blutigel, die ſich auf mehrere
Tauſende belaufen mögen, ſcheinen eine inerſtirpable Landescalamität
zu ſein. Sie koſten der Geſammtheit der verſchiedenen Dominien in
Schwaben jährlich Hunderttauſende von Gulden, theils an Erbetteltem

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[322/0338] Ich kann dich nicht capiren, Daniel! erwiderte ſie befremdet und ſcharf, denn ſie war dieſes Tons von ihrem Manne ungewohnt. Als Leute, die mit der Zeit fortgeſchritten waren, liebten Beide die von ihren altmodiſchen Eltern ihnen in der Taufe beigelegten Vornamen nicht ſonderlich und pflegten ſich deßhalb nur dann bei dieſen Namen zu nennen, wenn ſie von einer etwas ſtechenden Laune gegen einander befallen waren. Der Amtmann, der das Nachgeben mehr durch die Leitung als durch das eigene Beiſpiel ſeiner Frau gelernt hatte, dämpfte ſeinen Ton ein wenig und ſagte erläuternd: Du ſcheinſt nicht daran zu den¬ ken, daß der vermaledeite Burſche, der Sonnenwirthle, in den Wäldern haust. Sonſt ſollte mich der Winter nicht von der Jagd abgehalten haben. Mein ganzer Chagrin rührt ja einzig und allein von dieſem Lotterbuben her. Er hat noch Niemand angefallen, ſagte die Amtmännin. Er holt ſich hie und da Victualien, wo er ſie findet. Das iſt Alles. Und du kannſt ja Mannſchaft genug mitnehmen. Du bedenkſt gar nicht, daß er auf mich eine ſpezielle Pique hat, verſetzte der Amtmann. Ich halte ihn nicht für ſo rachſüchtig, erwiderte ſie. Bei ſeiner Kühnheit, Stärke und Verſchlagenheit hätte er ſonſt hier, wo er doch Manchen haßt, ſchon das größte Unheil anrichten können. Wer ſteht dir dafür, daß es nicht noch geſchieht? rief der Amt¬ mann. So lang ſeine Concubine in Göppingen gefangen ſitzt, wird er ſich hüten, die Strenge des Geſetzes gegen dieſe Geiſel herauszu¬ fordern. Wenn ſie aber einmal frei iſt, und ewig behalten kann man ſie nicht, weil ſie nichts Erweisliches peccirt hat, ſo wird er ſchon die Hörner heraus ſtrecken. Ich ſeh' es kommen, daß er das Handwerk, wenn's im Kleinen nicht mehr geht, ins Große ausdehnt und ſich in den Orden der Jauner aufnehmen läßt. Nun, dieſe gibt's wenigſtens in unſrer Gegend nicht. Sie ſind überall und nirgends: wenn ſie heute ausbleiben, ſo ſind ſie dafür morgen da. Dieſe politiſchen Blutigel, die ſich auf mehrere Tauſende belaufen mögen, ſcheinen eine inerſtirpable Landescalamität zu ſein. Sie koſten der Geſammtheit der verſchiedenen Dominien in Schwaben jährlich Hunderttauſende von Gulden, theils an Erbetteltem

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/338>, abgerufen am 21.11.2024.