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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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Haupt darüber zu einem Gebirg anschwellen. Ueber die Hauptfrage
kann vielleicht am besten der Schwanenwirth, wie der gestrenge Herr
sich sonst auszudrücken beliebt, Auskunft geben.

So sende nach ihm.

Auf den Abend.

Während sie sprach, klopfte es schüchtern an der Thüre. Herein!
rief der Amtmann gebieterisch im Gefühl seiner Amtswürde und der
erlittenen Störung. Ah! sagte er, als die Thüre aufging: wenn man
den Teufel an die Wand malt, so erscheint er auch sofort.

Der Eintretende sah aber keinem Teufel, oder wenigstens, wenn
das Bild auf ihn passen sollte, einem armen Teufel ähnlich, nicht
nach seiner äußeren Erscheinung, denn diese zeigte den wohlhabenden
Bürger und Meister, wohl aber nach seinem niedergeschlagenen, sorgen- und
kummervollen Aussehen. Es war niemand anderes als der Sonnen¬
wirth selbst. Er war alt, grau, dünnhaarig und gegen seine Oberen
wo möglich noch demüthiger geworden. Wenn's der Herr Amtmann
nicht ungütig nehmen, begann er nach einer tiefen Verbeugung und
angelegentlicher Erkundigung nach dem beiderseitigen Wohlbefinden, so
hätte ich eine Beschwerde wider den Kreuzwirth anzubringen. Es ist
doch arg, wenn sich ein rechtschaffener Burgersmann von seinem Mit¬
burger und Mitmeister so unrechte und ungebürliche Sachen sagen
lassen soll, wie der Kreuzwirth in dem Brief da schreibt.

Der Amtmann überflog den Brief, den ihm der Sonnenwirth
reichte, und las halblaut murmelnd einzelne Stellen ab: "Es will
hiermit Unterzogener gegen den Sonnenwirth Schwanen nicht allein
seine Grausamkeit erinnern, die er vor etlichen Jahren durch seinen
eigenen Sohn an meiner Person ausüben lassen" -- Das alte Lied!
bemerkte der Amtmann dazwischen.

Er behauptet immer, er sei damals zum Krüppel geschlagen wor¬
den, sagte der Sonnenwirth, und es ist doch Alles nicht wahr.

"Solch gottlos Anstiften", las der Amtmann weiter, "legt sich
desto glaublicher wirklich an Tag, da der Vater aus einer sonderbaren
Rachgier mich noch obligiren will, Post zu reiten, da ihme doch be¬
kannt, daß ich weder mir noch den Meinigen etwas zum Nutzen
schaffen kann, so sucht er dannoch mir aufzubürden, was er zu thun
schuldig. Es ist bekannt, daß nicht allein die Metzger wegen seines

Haupt darüber zu einem Gebirg anſchwellen. Ueber die Hauptfrage
kann vielleicht am beſten der Schwanenwirth, wie der geſtrenge Herr
ſich ſonſt auszudrücken beliebt, Auskunft geben.

So ſende nach ihm.

Auf den Abend.

Während ſie ſprach, klopfte es ſchüchtern an der Thüre. Herein!
rief der Amtmann gebieteriſch im Gefühl ſeiner Amtswürde und der
erlittenen Störung. Ah! ſagte er, als die Thüre aufging: wenn man
den Teufel an die Wand malt, ſo erſcheint er auch ſofort.

Der Eintretende ſah aber keinem Teufel, oder wenigſtens, wenn
das Bild auf ihn paſſen ſollte, einem armen Teufel ähnlich, nicht
nach ſeiner äußeren Erſcheinung, denn dieſe zeigte den wohlhabenden
Bürger und Meiſter, wohl aber nach ſeinem niedergeſchlagenen, ſorgen- und
kummervollen Ausſehen. Es war niemand anderes als der Sonnen¬
wirth ſelbſt. Er war alt, grau, dünnhaarig und gegen ſeine Oberen
wo möglich noch demüthiger geworden. Wenn's der Herr Amtmann
nicht ungütig nehmen, begann er nach einer tiefen Verbeugung und
angelegentlicher Erkundigung nach dem beiderſeitigen Wohlbefinden, ſo
hätte ich eine Beſchwerde wider den Kreuzwirth anzubringen. Es iſt
doch arg, wenn ſich ein rechtſchaffener Burgersmann von ſeinem Mit¬
burger und Mitmeiſter ſo unrechte und ungebürliche Sachen ſagen
laſſen ſoll, wie der Kreuzwirth in dem Brief da ſchreibt.

Der Amtmann überflog den Brief, den ihm der Sonnenwirth
reichte, und las halblaut murmelnd einzelne Stellen ab: „Es will
hiermit Unterzogener gegen den Sonnenwirth Schwanen nicht allein
ſeine Grauſamkeit erinnern, die er vor etlichen Jahren durch ſeinen
eigenen Sohn an meiner Perſon ausüben laſſen“ — Das alte Lied!
bemerkte der Amtmann dazwiſchen.

Er behauptet immer, er ſei damals zum Krüppel geſchlagen wor¬
den, ſagte der Sonnenwirth, und es iſt doch Alles nicht wahr.

„Solch gottlos Anſtiften“, las der Amtmann weiter, „legt ſich
deſto glaublicher wirklich an Tag, da der Vater aus einer ſonderbaren
Rachgier mich noch obligiren will, Poſt zu reiten, da ihme doch be¬
kannt, daß ich weder mir noch den Meinigen etwas zum Nutzen
ſchaffen kann, ſo ſucht er dannoch mir aufzubürden, was er zu thun
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[329/0345] Haupt darüber zu einem Gebirg anſchwellen. Ueber die Hauptfrage kann vielleicht am beſten der Schwanenwirth, wie der geſtrenge Herr ſich ſonſt auszudrücken beliebt, Auskunft geben. So ſende nach ihm. Auf den Abend. Während ſie ſprach, klopfte es ſchüchtern an der Thüre. Herein! rief der Amtmann gebieteriſch im Gefühl ſeiner Amtswürde und der erlittenen Störung. Ah! ſagte er, als die Thüre aufging: wenn man den Teufel an die Wand malt, ſo erſcheint er auch ſofort. Der Eintretende ſah aber keinem Teufel, oder wenigſtens, wenn das Bild auf ihn paſſen ſollte, einem armen Teufel ähnlich, nicht nach ſeiner äußeren Erſcheinung, denn dieſe zeigte den wohlhabenden Bürger und Meiſter, wohl aber nach ſeinem niedergeſchlagenen, ſorgen- und kummervollen Ausſehen. Es war niemand anderes als der Sonnen¬ wirth ſelbſt. Er war alt, grau, dünnhaarig und gegen ſeine Oberen wo möglich noch demüthiger geworden. Wenn's der Herr Amtmann nicht ungütig nehmen, begann er nach einer tiefen Verbeugung und angelegentlicher Erkundigung nach dem beiderſeitigen Wohlbefinden, ſo hätte ich eine Beſchwerde wider den Kreuzwirth anzubringen. Es iſt doch arg, wenn ſich ein rechtſchaffener Burgersmann von ſeinem Mit¬ burger und Mitmeiſter ſo unrechte und ungebürliche Sachen ſagen laſſen ſoll, wie der Kreuzwirth in dem Brief da ſchreibt. Der Amtmann überflog den Brief, den ihm der Sonnenwirth reichte, und las halblaut murmelnd einzelne Stellen ab: „Es will hiermit Unterzogener gegen den Sonnenwirth Schwanen nicht allein ſeine Grauſamkeit erinnern, die er vor etlichen Jahren durch ſeinen eigenen Sohn an meiner Perſon ausüben laſſen“ — Das alte Lied! bemerkte der Amtmann dazwiſchen. Er behauptet immer, er ſei damals zum Krüppel geſchlagen wor¬ den, ſagte der Sonnenwirth, und es iſt doch Alles nicht wahr. „Solch gottlos Anſtiften“, las der Amtmann weiter, „legt ſich deſto glaublicher wirklich an Tag, da der Vater aus einer ſonderbaren Rachgier mich noch obligiren will, Poſt zu reiten, da ihme doch be¬ kannt, daß ich weder mir noch den Meinigen etwas zum Nutzen ſchaffen kann, ſo ſucht er dannoch mir aufzubürden, was er zu thun ſchuldig. Es iſt bekannt, daß nicht allein die Metzger wegen ſeines

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/345>, abgerufen am 16.06.2024.