Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Es bedurfte abermals der größten Anstrengung, um aus dem Kna¬
ben die Antwort herauszubringen: Ein Dieb.

Ein Dieb also willst werden?

Ja.

Wart', ich will dir einen Denkzettel geben! Ahne, wo ist die
Ruthe?

Er gewahrte nicht, daß die Alte nach langer Abwesenheit erst in
diesem Augenblick wieder in die Stube trat und die Thüre ein wenig
hinter sich offen ließ. Sie bat für den Knaben, als sie hörte um was
es sich handle, und suchte dem unglücklichen Vater bemerklich zu ma¬
chen, daß das Kind sich nicht auszudrücken vermöge und daß er ihm
noch keine Unterscheidung zumuthen dürfe. Nein, sagte er unerbittlich,
man soll mir nicht nachsagen, daß ich den Buben zu solchen Gedanken
angeleitet oder ihm's auch nur zugelassen hab', und wenn ich keine
Ruthe haben kann, so thut's auch die Hand.

Er zog den Knaben zwischen die Kniee und patschte ihn mit seiner
kräftigen Hand so nachdrücklich, daß derselbe mit offenem Munde
schnaubte und schnappte; doch gab er keinen Laut des Schmerzes
von sich.

Was heulst nicht, du Krott'? fragte der Vater, in seinem wenig
überlegten Besserungsgeschäfte inne haltend.

Ich hab' immer gehört, mein Vater hab' nie geheult, wenn man
ihn auch noch so arg geschlagen hab', antwortete der Knabe, nicht tro¬
tzig, aber mit entschiedenem Tone, und seinem Vater ruhig in's Auge
sehend.

Dieser ließ die Hand sinken und zog den Knaben in seine Arme.
Ach Friederle, mein Kind, mein lieb's Kind, rief er, ich hätt' dich ja
gewiß nicht geschlagen, wenn ich allezeit bei dir wär' und dich im Gu¬
ten unterweisen könnt'. Aber ein Dieb sollst und darfst du mir nicht
werden, das verbiet' ich dir hoch und theuer. Glaubst du, daß ich's
gut mit dir mein' ?

Ja, sagte der Knabe, indem er ihn mit seinen blauen Augen auf¬
tichtig ansah.

Willst mir's nachtragen, daß ich dich geschlagen hab' ?

Nein.

Willst mir versprechen -- er drückte ihn immer heftiger an sich

22*

Es bedurfte abermals der größten Anſtrengung, um aus dem Kna¬
ben die Antwort herauszubringen: Ein Dieb.

Ein Dieb alſo willſt werden?

Ja.

Wart', ich will dir einen Denkzettel geben! Ahne, wo iſt die
Ruthe?

Er gewahrte nicht, daß die Alte nach langer Abweſenheit erſt in
dieſem Augenblick wieder in die Stube trat und die Thüre ein wenig
hinter ſich offen ließ. Sie bat für den Knaben, als ſie hörte um was
es ſich handle, und ſuchte dem unglücklichen Vater bemerklich zu ma¬
chen, daß das Kind ſich nicht auszudrücken vermöge und daß er ihm
noch keine Unterſcheidung zumuthen dürfe. Nein, ſagte er unerbittlich,
man ſoll mir nicht nachſagen, daß ich den Buben zu ſolchen Gedanken
angeleitet oder ihm's auch nur zugelaſſen hab', und wenn ich keine
Ruthe haben kann, ſo thut's auch die Hand.

Er zog den Knaben zwiſchen die Kniee und patſchte ihn mit ſeiner
kräftigen Hand ſo nachdrücklich, daß derſelbe mit offenem Munde
ſchnaubte und ſchnappte; doch gab er keinen Laut des Schmerzes
von ſich.

Was heulſt nicht, du Krott'? fragte der Vater, in ſeinem wenig
überlegten Beſſerungsgeſchäfte inne haltend.

Ich hab' immer gehört, mein Vater hab' nie geheult, wenn man
ihn auch noch ſo arg geſchlagen hab', antwortete der Knabe, nicht tro¬
tzig, aber mit entſchiedenem Tone, und ſeinem Vater ruhig in's Auge
ſehend.

Dieſer ließ die Hand ſinken und zog den Knaben in ſeine Arme.
Ach Friederle, mein Kind, mein lieb's Kind, rief er, ich hätt' dich ja
gewiß nicht geſchlagen, wenn ich allezeit bei dir wär' und dich im Gu¬
ten unterweiſen könnt'. Aber ein Dieb ſollſt und darfſt du mir nicht
werden, das verbiet' ich dir hoch und theuer. Glaubſt du, daß ich's
gut mit dir mein' ?

Ja, ſagte der Knabe, indem er ihn mit ſeinen blauen Augen auf¬
tichtig anſah.

Willſt mir's nachtragen, daß ich dich geſchlagen hab' ?

Nein.

Willſt mir verſprechen — er drückte ihn immer heftiger an ſich

22*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0355" n="339"/>
        <p>Es bedurfte abermals der größten An&#x017F;trengung, um aus dem Kna¬<lb/>
ben die Antwort herauszubringen: Ein Dieb.</p><lb/>
        <p>Ein Dieb al&#x017F;o will&#x017F;t werden?</p><lb/>
        <p>Ja.</p><lb/>
        <p>Wart', ich will dir einen Denkzettel geben! Ahne, wo i&#x017F;t die<lb/>
Ruthe?</p><lb/>
        <p>Er gewahrte nicht, daß die Alte nach langer Abwe&#x017F;enheit er&#x017F;t in<lb/>
die&#x017F;em Augenblick wieder in die Stube trat und die Thüre ein wenig<lb/>
hinter &#x017F;ich offen ließ. Sie bat für den Knaben, als &#x017F;ie hörte um was<lb/>
es &#x017F;ich handle, und &#x017F;uchte dem unglücklichen Vater bemerklich zu ma¬<lb/>
chen, daß das Kind &#x017F;ich nicht auszudrücken vermöge und daß er ihm<lb/>
noch keine Unter&#x017F;cheidung zumuthen dürfe. Nein, &#x017F;agte er unerbittlich,<lb/>
man &#x017F;oll mir nicht nach&#x017F;agen, daß ich den Buben zu &#x017F;olchen Gedanken<lb/>
angeleitet oder ihm's auch nur zugela&#x017F;&#x017F;en hab', und wenn ich keine<lb/>
Ruthe haben kann, &#x017F;o thut's auch die Hand.</p><lb/>
        <p>Er zog den Knaben zwi&#x017F;chen die Kniee und pat&#x017F;chte ihn mit &#x017F;einer<lb/>
kräftigen Hand &#x017F;o nachdrücklich, daß der&#x017F;elbe mit offenem Munde<lb/>
&#x017F;chnaubte und &#x017F;chnappte; doch gab er keinen Laut des Schmerzes<lb/>
von &#x017F;ich.</p><lb/>
        <p>Was heul&#x017F;t nicht, du Krott'? fragte der Vater, in &#x017F;einem wenig<lb/>
überlegten Be&#x017F;&#x017F;erungsge&#x017F;chäfte inne haltend.</p><lb/>
        <p>Ich hab' immer gehört, mein Vater hab' nie geheult, wenn man<lb/>
ihn auch noch &#x017F;o arg ge&#x017F;chlagen hab', antwortete der Knabe, nicht tro¬<lb/>
tzig, aber mit ent&#x017F;chiedenem Tone, und &#x017F;einem Vater ruhig in's Auge<lb/>
&#x017F;ehend.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;er ließ die Hand &#x017F;inken und zog den Knaben in &#x017F;eine Arme.<lb/>
Ach Friederle, mein Kind, mein lieb's Kind, rief er, ich hätt' dich ja<lb/>
gewiß nicht ge&#x017F;chlagen, wenn ich allezeit bei dir wär' und dich im Gu¬<lb/>
ten unterwei&#x017F;en könnt'. Aber ein Dieb &#x017F;oll&#x017F;t und darf&#x017F;t du mir nicht<lb/>
werden, das verbiet' ich dir hoch und theuer. Glaub&#x017F;t du, daß ich's<lb/>
gut mit dir mein' ?</p><lb/>
        <p>Ja, &#x017F;agte der Knabe, indem er ihn mit &#x017F;einen blauen Augen auf¬<lb/>
tichtig an&#x017F;ah.</p><lb/>
        <p>Will&#x017F;t mir's nachtragen, daß ich dich ge&#x017F;chlagen hab' ?</p><lb/>
        <p>Nein.</p><lb/>
        <p>Will&#x017F;t mir ver&#x017F;prechen &#x2014; er drückte ihn immer heftiger an &#x017F;ich<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">22*<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[339/0355] Es bedurfte abermals der größten Anſtrengung, um aus dem Kna¬ ben die Antwort herauszubringen: Ein Dieb. Ein Dieb alſo willſt werden? Ja. Wart', ich will dir einen Denkzettel geben! Ahne, wo iſt die Ruthe? Er gewahrte nicht, daß die Alte nach langer Abweſenheit erſt in dieſem Augenblick wieder in die Stube trat und die Thüre ein wenig hinter ſich offen ließ. Sie bat für den Knaben, als ſie hörte um was es ſich handle, und ſuchte dem unglücklichen Vater bemerklich zu ma¬ chen, daß das Kind ſich nicht auszudrücken vermöge und daß er ihm noch keine Unterſcheidung zumuthen dürfe. Nein, ſagte er unerbittlich, man ſoll mir nicht nachſagen, daß ich den Buben zu ſolchen Gedanken angeleitet oder ihm's auch nur zugelaſſen hab', und wenn ich keine Ruthe haben kann, ſo thut's auch die Hand. Er zog den Knaben zwiſchen die Kniee und patſchte ihn mit ſeiner kräftigen Hand ſo nachdrücklich, daß derſelbe mit offenem Munde ſchnaubte und ſchnappte; doch gab er keinen Laut des Schmerzes von ſich. Was heulſt nicht, du Krott'? fragte der Vater, in ſeinem wenig überlegten Beſſerungsgeſchäfte inne haltend. Ich hab' immer gehört, mein Vater hab' nie geheult, wenn man ihn auch noch ſo arg geſchlagen hab', antwortete der Knabe, nicht tro¬ tzig, aber mit entſchiedenem Tone, und ſeinem Vater ruhig in's Auge ſehend. Dieſer ließ die Hand ſinken und zog den Knaben in ſeine Arme. Ach Friederle, mein Kind, mein lieb's Kind, rief er, ich hätt' dich ja gewiß nicht geſchlagen, wenn ich allezeit bei dir wär' und dich im Gu¬ ten unterweiſen könnt'. Aber ein Dieb ſollſt und darfſt du mir nicht werden, das verbiet' ich dir hoch und theuer. Glaubſt du, daß ich's gut mit dir mein' ? Ja, ſagte der Knabe, indem er ihn mit ſeinen blauen Augen auf¬ tichtig anſah. Willſt mir's nachtragen, daß ich dich geſchlagen hab' ? Nein. Willſt mir verſprechen — er drückte ihn immer heftiger an ſich 22*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/355
Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/355>, abgerufen am 23.11.2024.