Es bedurfte abermals der größten Anstrengung, um aus dem Kna¬ ben die Antwort herauszubringen: Ein Dieb.
Ein Dieb also willst werden?
Ja.
Wart', ich will dir einen Denkzettel geben! Ahne, wo ist die Ruthe?
Er gewahrte nicht, daß die Alte nach langer Abwesenheit erst in diesem Augenblick wieder in die Stube trat und die Thüre ein wenig hinter sich offen ließ. Sie bat für den Knaben, als sie hörte um was es sich handle, und suchte dem unglücklichen Vater bemerklich zu ma¬ chen, daß das Kind sich nicht auszudrücken vermöge und daß er ihm noch keine Unterscheidung zumuthen dürfe. Nein, sagte er unerbittlich, man soll mir nicht nachsagen, daß ich den Buben zu solchen Gedanken angeleitet oder ihm's auch nur zugelassen hab', und wenn ich keine Ruthe haben kann, so thut's auch die Hand.
Er zog den Knaben zwischen die Kniee und patschte ihn mit seiner kräftigen Hand so nachdrücklich, daß derselbe mit offenem Munde schnaubte und schnappte; doch gab er keinen Laut des Schmerzes von sich.
Was heulst nicht, du Krott'? fragte der Vater, in seinem wenig überlegten Besserungsgeschäfte inne haltend.
Ich hab' immer gehört, mein Vater hab' nie geheult, wenn man ihn auch noch so arg geschlagen hab', antwortete der Knabe, nicht tro¬ tzig, aber mit entschiedenem Tone, und seinem Vater ruhig in's Auge sehend.
Dieser ließ die Hand sinken und zog den Knaben in seine Arme. Ach Friederle, mein Kind, mein lieb's Kind, rief er, ich hätt' dich ja gewiß nicht geschlagen, wenn ich allezeit bei dir wär' und dich im Gu¬ ten unterweisen könnt'. Aber ein Dieb sollst und darfst du mir nicht werden, das verbiet' ich dir hoch und theuer. Glaubst du, daß ich's gut mit dir mein' ?
Ja, sagte der Knabe, indem er ihn mit seinen blauen Augen auf¬ tichtig ansah.
Willst mir's nachtragen, daß ich dich geschlagen hab' ?
Nein.
Willst mir versprechen -- er drückte ihn immer heftiger an sich
22*
Es bedurfte abermals der größten Anſtrengung, um aus dem Kna¬ ben die Antwort herauszubringen: Ein Dieb.
Ein Dieb alſo willſt werden?
Ja.
Wart', ich will dir einen Denkzettel geben! Ahne, wo iſt die Ruthe?
Er gewahrte nicht, daß die Alte nach langer Abweſenheit erſt in dieſem Augenblick wieder in die Stube trat und die Thüre ein wenig hinter ſich offen ließ. Sie bat für den Knaben, als ſie hörte um was es ſich handle, und ſuchte dem unglücklichen Vater bemerklich zu ma¬ chen, daß das Kind ſich nicht auszudrücken vermöge und daß er ihm noch keine Unterſcheidung zumuthen dürfe. Nein, ſagte er unerbittlich, man ſoll mir nicht nachſagen, daß ich den Buben zu ſolchen Gedanken angeleitet oder ihm's auch nur zugelaſſen hab', und wenn ich keine Ruthe haben kann, ſo thut's auch die Hand.
Er zog den Knaben zwiſchen die Kniee und patſchte ihn mit ſeiner kräftigen Hand ſo nachdrücklich, daß derſelbe mit offenem Munde ſchnaubte und ſchnappte; doch gab er keinen Laut des Schmerzes von ſich.
Was heulſt nicht, du Krott'? fragte der Vater, in ſeinem wenig überlegten Beſſerungsgeſchäfte inne haltend.
Ich hab' immer gehört, mein Vater hab' nie geheult, wenn man ihn auch noch ſo arg geſchlagen hab', antwortete der Knabe, nicht tro¬ tzig, aber mit entſchiedenem Tone, und ſeinem Vater ruhig in's Auge ſehend.
Dieſer ließ die Hand ſinken und zog den Knaben in ſeine Arme. Ach Friederle, mein Kind, mein lieb's Kind, rief er, ich hätt' dich ja gewiß nicht geſchlagen, wenn ich allezeit bei dir wär' und dich im Gu¬ ten unterweiſen könnt'. Aber ein Dieb ſollſt und darfſt du mir nicht werden, das verbiet' ich dir hoch und theuer. Glaubſt du, daß ich's gut mit dir mein' ?
Ja, ſagte der Knabe, indem er ihn mit ſeinen blauen Augen auf¬ tichtig anſah.
Willſt mir's nachtragen, daß ich dich geſchlagen hab' ?
Nein.
Willſt mir verſprechen — er drückte ihn immer heftiger an ſich
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Es bedurfte abermals der größten Anſtrengung, um aus dem Kna¬
ben die Antwort herauszubringen: Ein Dieb.
Ein Dieb alſo willſt werden?
Ja.
Wart', ich will dir einen Denkzettel geben! Ahne, wo iſt die
Ruthe?
Er gewahrte nicht, daß die Alte nach langer Abweſenheit erſt in
dieſem Augenblick wieder in die Stube trat und die Thüre ein wenig
hinter ſich offen ließ. Sie bat für den Knaben, als ſie hörte um was
es ſich handle, und ſuchte dem unglücklichen Vater bemerklich zu ma¬
chen, daß das Kind ſich nicht auszudrücken vermöge und daß er ihm
noch keine Unterſcheidung zumuthen dürfe. Nein, ſagte er unerbittlich,
man ſoll mir nicht nachſagen, daß ich den Buben zu ſolchen Gedanken
angeleitet oder ihm's auch nur zugelaſſen hab', und wenn ich keine
Ruthe haben kann, ſo thut's auch die Hand.
Er zog den Knaben zwiſchen die Kniee und patſchte ihn mit ſeiner
kräftigen Hand ſo nachdrücklich, daß derſelbe mit offenem Munde
ſchnaubte und ſchnappte; doch gab er keinen Laut des Schmerzes
von ſich.
Was heulſt nicht, du Krott'? fragte der Vater, in ſeinem wenig
überlegten Beſſerungsgeſchäfte inne haltend.
Ich hab' immer gehört, mein Vater hab' nie geheult, wenn man
ihn auch noch ſo arg geſchlagen hab', antwortete der Knabe, nicht tro¬
tzig, aber mit entſchiedenem Tone, und ſeinem Vater ruhig in's Auge
ſehend.
Dieſer ließ die Hand ſinken und zog den Knaben in ſeine Arme.
Ach Friederle, mein Kind, mein lieb's Kind, rief er, ich hätt' dich ja
gewiß nicht geſchlagen, wenn ich allezeit bei dir wär' und dich im Gu¬
ten unterweiſen könnt'. Aber ein Dieb ſollſt und darfſt du mir nicht
werden, das verbiet' ich dir hoch und theuer. Glaubſt du, daß ich's
gut mit dir mein' ?
Ja, ſagte der Knabe, indem er ihn mit ſeinen blauen Augen auf¬
tichtig anſah.
Willſt mir's nachtragen, daß ich dich geſchlagen hab' ?
Nein.
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/355>, abgerufen am 23.11.2024.
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