Feldes umgeben lag, saß eines Tages der Erbe der Sonne von Ebersbach bei dem Weibe, um dessen Besitz er so lange mit der Welt gestritten hatte, bis ihm selbst jeder Anspruch auf ein Eigenthum und eine Heimath in der Welt verloren gegangen war. Mit Hilfe des Krämerchristle, der nach seinem Vornamen und einem kleinen Kram¬ handel so genannt wurde, hatte er sie bei einer hier verheiratheten Schwester desselben untergebracht, zahlte ein kleines Kostgeld für ihren armseligen Unterhalt und kehrte von seinen Streifereien in der Ge¬ gend immer wieder zu ihr zurück. Die Hofbewohner waren ihren Feldarbeiten nachgegangen und das Paar befand sich allein. Christine saß am Tische, wo sie ein paar rohe Lappen zusammengenäht hatte, und stützte den Kopf auf den aufgelegten Arm. Friedrich hatte sich in die Fensterecke gedrückt, wo er mit gekreuzten Armen düster vor sich hinbrütete. Die ärmliche Wohnung gewährte ihnen einen vorüber¬ gehenden Schein von Haus und Heimath, der aber freilich schnell wieder verschwand, sobald Jemand von den wirklichen Insassen in die Stube trat.
Nach einem langen trüben Stillschweigen warf sie einen Blick auf seinen abgenutzten Rock, sah aufmerksam hin und rief: Daß Gott erbarm! Du hast ja Blut am Aermel.
Kann sein, erwiderte er, es hat dich schon einmal unnöthig er¬ schreckt.
Das ist aber im Winter gewesen. Frieder, Frieder, sag' mir's, hast du jemand erschossen?
Just wie damals, wo du mich das erstemal gefragt hast. Damals hab' ich gesagt: Dumme Seel', freilich hab' ich Einen erschossen, draußen im Wald liegt er, hat ein ledern Röcklein an und einen zackigen Hut auf'm Kopf; und dasselbe sag' ich dir heut wieder.
Ja, ist denn schon wieder die Zeit, daß man einen Hirsch schießen kann?
Noth bricht Eisen, sagte er. Sie sind noch erbärmlich dürr und es gehört ein guter Hunger dazu, um das Fleisch genießbar zu finden, aber im schlimmsten Fall ist wenigstens die Haut zu brauchen. Das Handwerk hat überhaupt stark nachgelassen, und ich seh' kaum hinaus, wie's weiter werden soll. Ich hab' den Winter über das groß' und kleine Gewild rudelweis geschossen und die ganze Umgegend von Boll
Feldes umgeben lag, ſaß eines Tages der Erbe der Sonne von Ebersbach bei dem Weibe, um deſſen Beſitz er ſo lange mit der Welt geſtritten hatte, bis ihm ſelbſt jeder Anſpruch auf ein Eigenthum und eine Heimath in der Welt verloren gegangen war. Mit Hilfe des Krämerchriſtle, der nach ſeinem Vornamen und einem kleinen Kram¬ handel ſo genannt wurde, hatte er ſie bei einer hier verheiratheten Schweſter deſſelben untergebracht, zahlte ein kleines Koſtgeld für ihren armſeligen Unterhalt und kehrte von ſeinen Streifereien in der Ge¬ gend immer wieder zu ihr zurück. Die Hofbewohner waren ihren Feldarbeiten nachgegangen und das Paar befand ſich allein. Chriſtine ſaß am Tiſche, wo ſie ein paar rohe Lappen zuſammengenäht hatte, und ſtützte den Kopf auf den aufgelegten Arm. Friedrich hatte ſich in die Fenſterecke gedrückt, wo er mit gekreuzten Armen düſter vor ſich hinbrütete. Die ärmliche Wohnung gewährte ihnen einen vorüber¬ gehenden Schein von Haus und Heimath, der aber freilich ſchnell wieder verſchwand, ſobald Jemand von den wirklichen Inſaſſen in die Stube trat.
Nach einem langen trüben Stillſchweigen warf ſie einen Blick auf ſeinen abgenutzten Rock, ſah aufmerkſam hin und rief: Daß Gott erbarm! Du haſt ja Blut am Aermel.
Kann ſein, erwiderte er, es hat dich ſchon einmal unnöthig er¬ ſchreckt.
Das iſt aber im Winter geweſen. Frieder, Frieder, ſag' mir's, haſt du jemand erſchoſſen?
Juſt wie damals, wo du mich das erſtemal gefragt haſt. Damals hab' ich geſagt: Dumme Seel', freilich hab' ich Einen erſchoſſen, draußen im Wald liegt er, hat ein ledern Röcklein an und einen zackigen Hut auf'm Kopf; und daſſelbe ſag' ich dir heut wieder.
Ja, iſt denn ſchon wieder die Zeit, daß man einen Hirſch ſchießen kann?
Noth bricht Eiſen, ſagte er. Sie ſind noch erbärmlich dürr und es gehört ein guter Hunger dazu, um das Fleiſch genießbar zu finden, aber im ſchlimmſten Fall iſt wenigſtens die Haut zu brauchen. Das Handwerk hat überhaupt ſtark nachgelaſſen, und ich ſeh' kaum hinaus, wie's weiter werden ſoll. Ich hab' den Winter über das groß' und kleine Gewild rudelweis geſchoſſen und die ganze Umgegend von Boll
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Feldes umgeben lag, ſaß eines Tages der Erbe der Sonne von
Ebersbach bei dem Weibe, um deſſen Beſitz er ſo lange mit der Welt
geſtritten hatte, bis ihm ſelbſt jeder Anſpruch auf ein Eigenthum und
eine Heimath in der Welt verloren gegangen war. Mit Hilfe des
Krämerchriſtle, der nach ſeinem Vornamen und einem kleinen Kram¬
handel ſo genannt wurde, hatte er ſie bei einer hier verheiratheten
Schweſter deſſelben untergebracht, zahlte ein kleines Koſtgeld für ihren
armſeligen Unterhalt und kehrte von ſeinen Streifereien in der Ge¬
gend immer wieder zu ihr zurück. Die Hofbewohner waren ihren
Feldarbeiten nachgegangen und das Paar befand ſich allein. Chriſtine
ſaß am Tiſche, wo ſie ein paar rohe Lappen zuſammengenäht hatte,
und ſtützte den Kopf auf den aufgelegten Arm. Friedrich hatte ſich
in die Fenſterecke gedrückt, wo er mit gekreuzten Armen düſter vor
ſich hinbrütete. Die ärmliche Wohnung gewährte ihnen einen vorüber¬
gehenden Schein von Haus und Heimath, der aber freilich ſchnell
wieder verſchwand, ſobald Jemand von den wirklichen Inſaſſen in die
Stube trat.
Nach einem langen trüben Stillſchweigen warf ſie einen Blick
auf ſeinen abgenutzten Rock, ſah aufmerkſam hin und rief: Daß Gott
erbarm! Du haſt ja Blut am Aermel.
Kann ſein, erwiderte er, es hat dich ſchon einmal unnöthig er¬
ſchreckt.
Das iſt aber im Winter geweſen. Frieder, Frieder, ſag' mir's,
haſt du jemand erſchoſſen?
Juſt wie damals, wo du mich das erſtemal gefragt haſt. Damals
hab' ich geſagt: Dumme Seel', freilich hab' ich Einen erſchoſſen,
draußen im Wald liegt er, hat ein ledern Röcklein an und einen zackigen
Hut auf'm Kopf; und daſſelbe ſag' ich dir heut wieder.
Ja, iſt denn ſchon wieder die Zeit, daß man einen Hirſch ſchießen
kann?
Noth bricht Eiſen, ſagte er. Sie ſind noch erbärmlich dürr und
es gehört ein guter Hunger dazu, um das Fleiſch genießbar zu finden,
aber im ſchlimmſten Fall iſt wenigſtens die Haut zu brauchen. Das
Handwerk hat überhaupt ſtark nachgelaſſen, und ich ſeh' kaum hinaus,
wie's weiter werden ſoll. Ich hab' den Winter über das groß' und
kleine Gewild rudelweis geſchoſſen und die ganze Umgegend von Boll
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/377>, abgerufen am 27.11.2024.
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