Wächter der Gegend wäre, an der alten Stelle ihrer warten, und er¬ schrack nicht wenig, als er nach ihrem Korbe griff, in welchem er statt des Spruchbuchs Eier fand, die sie um das Geld gekauft hatte. Er¬ grimmt über den Mißbrauch seines Geschenkes, schalt er sie eine Fres¬ serin und machte sie zur Zielscheibe für die Eier, indem er mit siche¬ rem Wurfe eines um das andre an ihr zerschellte, so daß sie über und über triefend nach Hause kam.
Wie ein böser Geist schweifte er um seinen heimathlichen Flecken umher, und wenn er Leute traf, so verhörte er sie, was man in Ebersbach von ihm sage, wobei er niemals unterließ, die grausamsten Drohungen auszustoßen, so daß ihm die Sage bereits eine Menge Greuelthaten andichtete, ehe er eine einzige begangen hatte. Sein von Groll und Rache umhergetriebenes Gemüth sann die wildesten Thaten aus; aber das angeborne bessere Gefühl hielt seine Hand zurück.
Auch der Vogt ermüdete in seiner Verfolgung und schrieb an den Amtmann, da mit Streifen auf dieses carcinoma doch nichts gethan sei, so solle man nur noch in der Stille Posten ausstellen und die Eingänge der Häuser, denen etwa sein Besuch bevorstehe, hinlänglich besetzen.
32.
Der letzte Schnee des Winters war gefallen und wieder gegangen. Der Frühling hatte den Wald mit dem Jauchzen der Vögel erfüllt und das Feld mit dem lichten Meere seiner Blüthen überfluthet; die Blüthen waren gefallen und der Waldgesang war immer dünner ge¬ worden. Die Sonne brannte stärker und der anbrechende Sommer verhieß der harrenden Welt die Fülle seines Segens, so daß es un¬ möglich schien, daß inmitten des überall aufschießenden Reichthums Armuth, Noth, Hunger und Gier nach der Habe des Glücklicheren in der Welt vorhanden sein sollte.
Auf einem abgelegenen Hofe, der zwischen dem Hohenstaufen und dem Filsthal mitten in den Wäldern von einem spärlichen Stück
Wächter der Gegend wäre, an der alten Stelle ihrer warten, und er¬ ſchrack nicht wenig, als er nach ihrem Korbe griff, in welchem er ſtatt des Spruchbuchs Eier fand, die ſie um das Geld gekauft hatte. Er¬ grimmt über den Mißbrauch ſeines Geſchenkes, ſchalt er ſie eine Freſ¬ ſerin und machte ſie zur Zielſcheibe für die Eier, indem er mit ſiche¬ rem Wurfe eines um das andre an ihr zerſchellte, ſo daß ſie über und über triefend nach Hauſe kam.
Wie ein böſer Geiſt ſchweifte er um ſeinen heimathlichen Flecken umher, und wenn er Leute traf, ſo verhörte er ſie, was man in Ebersbach von ihm ſage, wobei er niemals unterließ, die grauſamſten Drohungen auszuſtoßen, ſo daß ihm die Sage bereits eine Menge Greuelthaten andichtete, ehe er eine einzige begangen hatte. Sein von Groll und Rache umhergetriebenes Gemüth ſann die wildeſten Thaten aus; aber das angeborne beſſere Gefühl hielt ſeine Hand zurück.
Auch der Vogt ermüdete in ſeiner Verfolgung und ſchrieb an den Amtmann, da mit Streifen auf dieſes carcinoma doch nichts gethan ſei, ſo ſolle man nur noch in der Stille Poſten ausſtellen und die Eingänge der Häuſer, denen etwa ſein Beſuch bevorſtehe, hinlänglich beſetzen.
32.
Der letzte Schnee des Winters war gefallen und wieder gegangen. Der Frühling hatte den Wald mit dem Jauchzen der Vögel erfüllt und das Feld mit dem lichten Meere ſeiner Blüthen überfluthet; die Blüthen waren gefallen und der Waldgeſang war immer dünner ge¬ worden. Die Sonne brannte ſtärker und der anbrechende Sommer verhieß der harrenden Welt die Fülle ſeines Segens, ſo daß es un¬ möglich ſchien, daß inmitten des überall aufſchießenden Reichthums Armuth, Noth, Hunger und Gier nach der Habe des Glücklicheren in der Welt vorhanden ſein ſollte.
Auf einem abgelegenen Hofe, der zwiſchen dem Hohenſtaufen und dem Filsthal mitten in den Wäldern von einem ſpärlichen Stück
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0376"n="360"/>
Wächter der Gegend wäre, an der alten Stelle ihrer warten, und er¬<lb/>ſchrack nicht wenig, als er nach ihrem Korbe griff, in welchem er ſtatt<lb/>
des Spruchbuchs Eier fand, die ſie um das Geld gekauft hatte. Er¬<lb/>
grimmt über den Mißbrauch ſeines Geſchenkes, ſchalt er ſie eine Freſ¬<lb/>ſerin und machte ſie zur Zielſcheibe für die Eier, indem er mit ſiche¬<lb/>
rem Wurfe eines um das andre an ihr zerſchellte, ſo daß ſie über und<lb/>
über triefend nach Hauſe kam.</p><lb/><p>Wie ein böſer Geiſt ſchweifte er um ſeinen heimathlichen Flecken<lb/>
umher, und wenn er Leute traf, ſo verhörte er ſie, was man in<lb/>
Ebersbach von ihm ſage, wobei er niemals unterließ, die grauſamſten<lb/>
Drohungen auszuſtoßen, ſo daß ihm die Sage bereits eine Menge<lb/>
Greuelthaten andichtete, ehe er eine einzige begangen hatte. Sein von<lb/>
Groll und Rache umhergetriebenes Gemüth ſann die wildeſten Thaten<lb/>
aus; aber das angeborne beſſere Gefühl hielt ſeine Hand zurück.</p><lb/><p>Auch der Vogt ermüdete in ſeiner Verfolgung und ſchrieb an den<lb/>
Amtmann, da mit Streifen auf dieſes <hirendition="#aq">carcinoma</hi> doch nichts gethan<lb/>ſei, ſo ſolle man nur noch in der Stille Poſten ausſtellen und die<lb/>
Eingänge der Häuſer, denen etwa ſein Beſuch bevorſtehe, hinlänglich<lb/>
beſetzen.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div><divn="1"><head>32.<lb/></head><p>Der letzte Schnee des Winters war gefallen und wieder gegangen.<lb/>
Der Frühling hatte den Wald mit dem Jauchzen der Vögel erfüllt<lb/>
und das Feld mit dem lichten Meere ſeiner Blüthen überfluthet; die<lb/>
Blüthen waren gefallen und der Waldgeſang war immer dünner ge¬<lb/>
worden. Die Sonne brannte ſtärker und der anbrechende Sommer<lb/>
verhieß der harrenden Welt die Fülle ſeines Segens, ſo daß es un¬<lb/>
möglich ſchien, daß inmitten des überall aufſchießenden Reichthums<lb/>
Armuth, Noth, Hunger und Gier nach der Habe des Glücklicheren<lb/>
in der Welt vorhanden ſein ſollte.</p><lb/><p>Auf einem abgelegenen Hofe, der zwiſchen dem Hohenſtaufen und<lb/>
dem Filsthal mitten in den Wäldern von einem ſpärlichen Stück<lb/></p></div></body></text></TEI>
[360/0376]
Wächter der Gegend wäre, an der alten Stelle ihrer warten, und er¬
ſchrack nicht wenig, als er nach ihrem Korbe griff, in welchem er ſtatt
des Spruchbuchs Eier fand, die ſie um das Geld gekauft hatte. Er¬
grimmt über den Mißbrauch ſeines Geſchenkes, ſchalt er ſie eine Freſ¬
ſerin und machte ſie zur Zielſcheibe für die Eier, indem er mit ſiche¬
rem Wurfe eines um das andre an ihr zerſchellte, ſo daß ſie über und
über triefend nach Hauſe kam.
Wie ein böſer Geiſt ſchweifte er um ſeinen heimathlichen Flecken
umher, und wenn er Leute traf, ſo verhörte er ſie, was man in
Ebersbach von ihm ſage, wobei er niemals unterließ, die grauſamſten
Drohungen auszuſtoßen, ſo daß ihm die Sage bereits eine Menge
Greuelthaten andichtete, ehe er eine einzige begangen hatte. Sein von
Groll und Rache umhergetriebenes Gemüth ſann die wildeſten Thaten
aus; aber das angeborne beſſere Gefühl hielt ſeine Hand zurück.
Auch der Vogt ermüdete in ſeiner Verfolgung und ſchrieb an den
Amtmann, da mit Streifen auf dieſes carcinoma doch nichts gethan
ſei, ſo ſolle man nur noch in der Stille Poſten ausſtellen und die
Eingänge der Häuſer, denen etwa ſein Beſuch bevorſtehe, hinlänglich
beſetzen.
32.
Der letzte Schnee des Winters war gefallen und wieder gegangen.
Der Frühling hatte den Wald mit dem Jauchzen der Vögel erfüllt
und das Feld mit dem lichten Meere ſeiner Blüthen überfluthet; die
Blüthen waren gefallen und der Waldgeſang war immer dünner ge¬
worden. Die Sonne brannte ſtärker und der anbrechende Sommer
verhieß der harrenden Welt die Fülle ſeines Segens, ſo daß es un¬
möglich ſchien, daß inmitten des überall aufſchießenden Reichthums
Armuth, Noth, Hunger und Gier nach der Habe des Glücklicheren
in der Welt vorhanden ſein ſollte.
Auf einem abgelegenen Hofe, der zwiſchen dem Hohenſtaufen und
dem Filsthal mitten in den Wäldern von einem ſpärlichen Stück
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/376>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.