Aber auch dem Geächteten konnten selbst seine erbittertsten Feinde mildere Herzensregungen nicht absprechen. Es war eben um jene Zeit, daß ein Eßlinger Metzgerbursche, der auf den Einkauf von Schlachtvieh in die Dörfer der Umgegend ausgesandt war, Abends spät noch halb todt vor Schrecken nach Ebersbach kam und ein im Walde erlebtes Abenteuer erzählte. Er hatte in einer Dorfschenke einen Unbekannten getroffen, dessen offenes Gesicht ihm gefiel und dem er beim Wein vertraute, daß es ihm nicht wohl zu Muthe sei, mit seinem vielen Gelde Abends allein durch die Wälder gehen zu müssen, wo der Sonnenwirthle hause. Sogleich erbot sich der Unbekannte ihm das Geleite zu geben. Sie tranken noch ein Glas und machten sich auf den Weg. Als sie im dichtesten Walde ganz allein gingen und trau¬ lich mit einander redeten, blieb der Führer auf einem öden Platze am Saume eines finstern Dickichts plötzlich stehen und hob an: So, jetzt will ich auch sagen, wer ich bin -- ich bin der Sonnenwirthle. Der Wanderer fuhr zusammen, wie vom Donner gerührt. Nachdem sich der Geächtete eine Weile an seiner Furcht geweidet hatte, sagte er: Ich bin nicht so schlimm, wie die Leut' sagen, ich hab' Euch mein Wort gegeben und das halt' ich Euch als Mann von Ehre, ob ich auch noch so reich werden könnt' durch Euer Geld; damit Ihr Euch aber nicht unnöthig ängstiget, so will ich den ganzen Weg vollends vor Euch hergehen; folgt mir nur, Ihr kommt mit einer ganzen Streif¬ mannschaft nicht sicherer durch den Wald. Er ging voraus und der Metzger folgte ihm heimlich zagend; aber nach einer Stunde sah er sich wohlbehalten an der Filsbrücke bei Ebersbach. Dort kehrten beide in einem einsamen Wirthshause noch einmal mit einander ein; der Metzger wollte seinem redlichen Führer ein Trinkgeld aufdrängen, dieser aber wies es mit Stolz zurück.
Neben dieser verbürgten Thatsache erzählt die Volkssage aus der gleichen Zeit einen minder sanften Zug von ihm. Auf der Landstraße, die er ungescheut zu betreten wagte, begegnete ihm einst eine arme Frau -- die Sage behauptet, es sei seine eigene Schwiegermutter ge¬ wesen -- und klagte ihm ihre Noth, daß sie nicht einmal im Stande sei, für ihre Kinder ein Spruchbuch zu kaufen. Er gab ihr sogleich das nöthige Geld und sie entfernte sich unter tausend Danksagungen. Als sie aber später den Weg zurückkam, sah sie ihn, als ob er der
Aber auch dem Geächteten konnten ſelbſt ſeine erbittertſten Feinde mildere Herzensregungen nicht abſprechen. Es war eben um jene Zeit, daß ein Eßlinger Metzgerburſche, der auf den Einkauf von Schlachtvieh in die Dörfer der Umgegend ausgeſandt war, Abends ſpät noch halb todt vor Schrecken nach Ebersbach kam und ein im Walde erlebtes Abenteuer erzählte. Er hatte in einer Dorfſchenke einen Unbekannten getroffen, deſſen offenes Geſicht ihm gefiel und dem er beim Wein vertraute, daß es ihm nicht wohl zu Muthe ſei, mit ſeinem vielen Gelde Abends allein durch die Wälder gehen zu müſſen, wo der Sonnenwirthle hauſe. Sogleich erbot ſich der Unbekannte ihm das Geleite zu geben. Sie tranken noch ein Glas und machten ſich auf den Weg. Als ſie im dichteſten Walde ganz allein gingen und trau¬ lich mit einander redeten, blieb der Führer auf einem öden Platze am Saume eines finſtern Dickichts plötzlich ſtehen und hob an: So, jetzt will ich auch ſagen, wer ich bin — ich bin der Sonnenwirthle. Der Wanderer fuhr zuſammen, wie vom Donner gerührt. Nachdem ſich der Geächtete eine Weile an ſeiner Furcht geweidet hatte, ſagte er: Ich bin nicht ſo ſchlimm, wie die Leut' ſagen, ich hab' Euch mein Wort gegeben und das halt' ich Euch als Mann von Ehre, ob ich auch noch ſo reich werden könnt' durch Euer Geld; damit Ihr Euch aber nicht unnöthig ängſtiget, ſo will ich den ganzen Weg vollends vor Euch hergehen; folgt mir nur, Ihr kommt mit einer ganzen Streif¬ mannſchaft nicht ſicherer durch den Wald. Er ging voraus und der Metzger folgte ihm heimlich zagend; aber nach einer Stunde ſah er ſich wohlbehalten an der Filsbrücke bei Ebersbach. Dort kehrten beide in einem einſamen Wirthshauſe noch einmal mit einander ein; der Metzger wollte ſeinem redlichen Führer ein Trinkgeld aufdrängen, dieſer aber wies es mit Stolz zurück.
Neben dieſer verbürgten Thatſache erzählt die Volksſage aus der gleichen Zeit einen minder ſanften Zug von ihm. Auf der Landſtraße, die er ungeſcheut zu betreten wagte, begegnete ihm einſt eine arme Frau — die Sage behauptet, es ſei ſeine eigene Schwiegermutter ge¬ weſen — und klagte ihm ihre Noth, daß ſie nicht einmal im Stande ſei, für ihre Kinder ein Spruchbuch zu kaufen. Er gab ihr ſogleich das nöthige Geld und ſie entfernte ſich unter tauſend Dankſagungen. Als ſie aber ſpäter den Weg zurückkam, ſah ſie ihn, als ob er der
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Aber auch dem Geächteten konnten ſelbſt ſeine erbittertſten Feinde
mildere Herzensregungen nicht abſprechen. Es war eben um jene Zeit,
daß ein Eßlinger Metzgerburſche, der auf den Einkauf von Schlachtvieh
in die Dörfer der Umgegend ausgeſandt war, Abends ſpät noch halb
todt vor Schrecken nach Ebersbach kam und ein im Walde erlebtes
Abenteuer erzählte. Er hatte in einer Dorfſchenke einen Unbekannten
getroffen, deſſen offenes Geſicht ihm gefiel und dem er beim Wein
vertraute, daß es ihm nicht wohl zu Muthe ſei, mit ſeinem vielen
Gelde Abends allein durch die Wälder gehen zu müſſen, wo der
Sonnenwirthle hauſe. Sogleich erbot ſich der Unbekannte ihm das
Geleite zu geben. Sie tranken noch ein Glas und machten ſich auf
den Weg. Als ſie im dichteſten Walde ganz allein gingen und trau¬
lich mit einander redeten, blieb der Führer auf einem öden Platze am
Saume eines finſtern Dickichts plötzlich ſtehen und hob an: So, jetzt
will ich auch ſagen, wer ich bin — ich bin der Sonnenwirthle. Der
Wanderer fuhr zuſammen, wie vom Donner gerührt. Nachdem ſich
der Geächtete eine Weile an ſeiner Furcht geweidet hatte, ſagte er:
Ich bin nicht ſo ſchlimm, wie die Leut' ſagen, ich hab' Euch mein
Wort gegeben und das halt' ich Euch als Mann von Ehre, ob ich
auch noch ſo reich werden könnt' durch Euer Geld; damit Ihr Euch
aber nicht unnöthig ängſtiget, ſo will ich den ganzen Weg vollends
vor Euch hergehen; folgt mir nur, Ihr kommt mit einer ganzen Streif¬
mannſchaft nicht ſicherer durch den Wald. Er ging voraus und der
Metzger folgte ihm heimlich zagend; aber nach einer Stunde ſah er
ſich wohlbehalten an der Filsbrücke bei Ebersbach. Dort kehrten beide
in einem einſamen Wirthshauſe noch einmal mit einander ein; der
Metzger wollte ſeinem redlichen Führer ein Trinkgeld aufdrängen, dieſer
aber wies es mit Stolz zurück.
Neben dieſer verbürgten Thatſache erzählt die Volksſage aus der
gleichen Zeit einen minder ſanften Zug von ihm. Auf der Landſtraße,
die er ungeſcheut zu betreten wagte, begegnete ihm einſt eine arme
Frau — die Sage behauptet, es ſei ſeine eigene Schwiegermutter ge¬
weſen — und klagte ihm ihre Noth, daß ſie nicht einmal im Stande
ſei, für ihre Kinder ein Spruchbuch zu kaufen. Er gab ihr ſogleich
das nöthige Geld und ſie entfernte ſich unter tauſend Dankſagungen.
Als ſie aber ſpäter den Weg zurückkam, ſah ſie ihn, als ob er der
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/375>, abgerufen am 27.11.2024.
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