Aber wie ist so was möglich? Guter Leute Kind im Zuchthaus! sagte der Knecht leise, auf den äußersten Rand seiner Bank vorrückend, die Hände auf den Knieen und den Kopf so weit als möglich vor¬ gestreckt.
Es ist just kein Wunder, versetzte der Fischer.
Er ist eben ein heißgrätiger unbändiger Bursch', sagte der jüngere Müller.
Ei, du kennst ihn ja am besten, Fischerhanne, rief der Aeltere. Gib Acht', Peter, der kann's dir sagen, der ist mit ihm in die Schul' gangen.
Da wirst du wenig Gut's von ihm zu hören bekommen, lachte der jüngere Müller. Wenn der Sonnenwirthle am jüngsten Tag dem Fischerhanne gegenüber gestellt werden thät', und es käm' auf sein alleiniges Zeugniß an, wie sein Urtheil in der andern Welt lau¬ ten sollt', ich glaub' der Frieder müßt' in die unterste Hölle fahren.
Wahr ist's, sagte der Fischer, ich kann ihn nicht leiden, und hab' ihn nie leiden können. Wir sind einander von Anfang an spinnen¬ feind gewesen. Ich weiß eigentlich selbst nicht recht wie's gekommen ist, 's ist weiter nichts Besonderes zwischen uns vorgefallen. Die Bu¬ ben hadern und raufen viel mit einander und werden doch nachher oft die besten Freunde. Aber bei uns hat der Haß immer tiefer ge¬ fressen; es ist als ob's uns von Natur eingepflanzt gewesen wäre. Das erste Mal, daß wir einander zu Gesicht kriegten, sah er mich mit bösen Augen an, und ich war wider ihn und er wider mich.
Da ist auch kein Wunder dran, meinte der untere Müller. Ob seine Augen, die er an dich hingemacht hat, so bös gewesen sind, das weiß ich nicht, er ist nicht gerade besonders gezeichnet in den Augen. Aber er war ein Muttersöhnchen, hatte immer was zu beißen und zu knacken; mit den Gröschlein und Sechserlein von den Döten und Dotinnen konnte er allzeit den großen Hansen machen; und in der Schule saß er beständig obenan, denn das Spruchbuch und den Ka¬ techismus lernte er wie's Wasser.
Ich weiß schon wo du hinaus willst, Georg, versetzte der Fischer, ohne Gesicht oder Augen zu erheben. Es ist wahr, ich bin ein armer Teufel, und ein Bub', der im Wachsen ist, hat einen starken Appetit, und es mag sein, daß mir die überflüssigen guten Bissen, die man
Aber wie iſt ſo was möglich? Guter Leute Kind im Zuchthaus! ſagte der Knecht leiſe, auf den äußerſten Rand ſeiner Bank vorrückend, die Hände auf den Knieen und den Kopf ſo weit als möglich vor¬ geſtreckt.
Es iſt juſt kein Wunder, verſetzte der Fiſcher.
Er iſt eben ein heißgrätiger unbändiger Burſch', ſagte der jüngere Müller.
Ei, du kennſt ihn ja am beſten, Fiſcherhanne, rief der Aeltere. Gib Acht', Peter, der kann's dir ſagen, der iſt mit ihm in die Schul' gangen.
Da wirſt du wenig Gut's von ihm zu hören bekommen, lachte der jüngere Müller. Wenn der Sonnenwirthle am jüngſten Tag dem Fiſcherhanne gegenüber geſtellt werden thät', und es käm' auf ſein alleiniges Zeugniß an, wie ſein Urtheil in der andern Welt lau¬ ten ſollt', ich glaub' der Frieder müßt' in die unterſte Hölle fahren.
Wahr iſt's, ſagte der Fiſcher, ich kann ihn nicht leiden, und hab' ihn nie leiden können. Wir ſind einander von Anfang an ſpinnen¬ feind geweſen. Ich weiß eigentlich ſelbſt nicht recht wie's gekommen iſt, 's iſt weiter nichts Beſonderes zwiſchen uns vorgefallen. Die Bu¬ ben hadern und raufen viel mit einander und werden doch nachher oft die beſten Freunde. Aber bei uns hat der Haß immer tiefer ge¬ freſſen; es iſt als ob's uns von Natur eingepflanzt geweſen wäre. Das erſte Mal, daß wir einander zu Geſicht kriegten, ſah er mich mit böſen Augen an, und ich war wider ihn und er wider mich.
Da iſt auch kein Wunder dran, meinte der untere Müller. Ob ſeine Augen, die er an dich hingemacht hat, ſo bös geweſen ſind, das weiß ich nicht, er iſt nicht gerade beſonders gezeichnet in den Augen. Aber er war ein Mutterſöhnchen, hatte immer was zu beißen und zu knacken; mit den Gröſchlein und Sechſerlein von den Döten und Dotinnen konnte er allzeit den großen Hanſen machen; und in der Schule ſaß er beſtändig obenan, denn das Spruchbuch und den Ka¬ techismus lernte er wie's Waſſer.
Ich weiß ſchon wo du hinaus willſt, Georg, verſetzte der Fiſcher, ohne Geſicht oder Augen zu erheben. Es iſt wahr, ich bin ein armer Teufel, und ein Bub', der im Wachſen iſt, hat einen ſtarken Appetit, und es mag ſein, daß mir die überflüſſigen guten Biſſen, die man
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Aber wie iſt ſo was möglich? Guter Leute Kind im Zuchthaus!
ſagte der Knecht leiſe, auf den äußerſten Rand ſeiner Bank vorrückend,
die Hände auf den Knieen und den Kopf ſo weit als möglich vor¬
geſtreckt.
Es iſt juſt kein Wunder, verſetzte der Fiſcher.
Er iſt eben ein heißgrätiger unbändiger Burſch', ſagte der jüngere
Müller.
Ei, du kennſt ihn ja am beſten, Fiſcherhanne, rief der Aeltere.
Gib Acht', Peter, der kann's dir ſagen, der iſt mit ihm in die Schul'
gangen.
Da wirſt du wenig Gut's von ihm zu hören bekommen, lachte
der jüngere Müller. Wenn der Sonnenwirthle am jüngſten Tag
dem Fiſcherhanne gegenüber geſtellt werden thät', und es käm' auf
ſein alleiniges Zeugniß an, wie ſein Urtheil in der andern Welt lau¬
ten ſollt', ich glaub' der Frieder müßt' in die unterſte Hölle fahren.
Wahr iſt's, ſagte der Fiſcher, ich kann ihn nicht leiden, und hab'
ihn nie leiden können. Wir ſind einander von Anfang an ſpinnen¬
feind geweſen. Ich weiß eigentlich ſelbſt nicht recht wie's gekommen
iſt, 's iſt weiter nichts Beſonderes zwiſchen uns vorgefallen. Die Bu¬
ben hadern und raufen viel mit einander und werden doch nachher oft
die beſten Freunde. Aber bei uns hat der Haß immer tiefer ge¬
freſſen; es iſt als ob's uns von Natur eingepflanzt geweſen wäre.
Das erſte Mal, daß wir einander zu Geſicht kriegten, ſah er mich mit
böſen Augen an, und ich war wider ihn und er wider mich.
Da iſt auch kein Wunder dran, meinte der untere Müller. Ob
ſeine Augen, die er an dich hingemacht hat, ſo bös geweſen ſind, das
weiß ich nicht, er iſt nicht gerade beſonders gezeichnet in den Augen.
Aber er war ein Mutterſöhnchen, hatte immer was zu beißen und
zu knacken; mit den Gröſchlein und Sechſerlein von den Döten und
Dotinnen konnte er allzeit den großen Hanſen machen; und in der
Schule ſaß er beſtändig obenan, denn das Spruchbuch und den Ka¬
techismus lernte er wie's Waſſer.
Ich weiß ſchon wo du hinaus willſt, Georg, verſetzte der Fiſcher,
ohne Geſicht oder Augen zu erheben. Es iſt wahr, ich bin ein armer
Teufel, und ein Bub', der im Wachſen iſt, hat einen ſtarken Appetit,
und es mag ſein, daß mir die überflüſſigen guten Biſſen, die man
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/38>, abgerufen am 21.11.2024.
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