mehr nur an den Gegensatz, den er selbst unter diesen wohlgekleideten Leuten bildete, und verglich beschämt seinen abgeschabten Rock, der keine bestimmte Farbe mehr hatte, seine nußfarbigen, einst gelbledernen Beinkleider, seine schwarzen Strümpfe, die noch die gute Eigenschaft hatten, daß sie nicht so oft der Wäsche bedurften, und seine zerrissenen schmutzigen Schuhe mit den wohlhäbigen Kleidern, den frischen weißen Strümpfen und den blankgewichsten Schnallenschuhen der Andern.
Hierauf stellte ihm der Zigeuner den weiblichen Theil der Gesell¬ schaft mit den Worten vor: Das ist meine Mutter Anna Maria, eine betagte Wittwe, die viel erlebt und erlitten hat, und das sind meine Schwestern Margaretha und Katharina, die sich dir schon selbst zu empfehlen wissen werden.
Der Gast machte einen verlegenen Kratzfuß; es war ihm in seinem Leben noch nicht begegnet, daß er so förmlich einer weiblichen Ge¬ sellschaft vorgestellt wurde. Aber die Anwesenheit der beiden bild¬ hübschen Mädchen, die er vom ersten Augenblick an unwillkürlich immer wieder hatte ansehen müssen, erhöhte den anziehenden Eindruck des Empfanges nicht wenig für ihn. Sie waren, wie ihre Mutter, von Kopf bis zu Fuß schwarz gekleidet, und trugen, während jene ein buntes Tuch um den Kopf geschlungen hatte, breitrandige Strohhüte von geschmackvoller Form, die ihnen ein freies, kühnes Aussehen gaben. Die Aeltere sah gar nicht wie eine Zigeunerin aus, sie hatte hell¬ braune Haare und ein Gesicht wie Milch und Blut, aus welchem ein Paar hellgraue Augen keck und lustig hervorblitzten; über ihrer vollen Brust wogte eine silberne Kette auf und ab und ihre Finger strotzten von Ringen. Die Jüngere, die ihr Bruder Katharina geheißen, war ohne allen Schmuck, bis auf ein brennend rothes Halstuch, das der Farbe ihres Gesichts und Halses verführerisch zu Hilfe kam; denn wenn sie auch so wenig wie ihre Schwester einer Zigeunerin gleich sah, so ließ doch ihre Färbung den zigeunerischen Ursprung verrathen; sie hatte dunkelbraune Haare und ihre Haut stach von dem hellen Aussehen ihrer Schwester mächtig ab, war aber eben so weit entfernt von jener schmutzigen Hautfarbe, die ihre Mutter und ihren Bruder unverkennbar zu Zigeunern stempelte, sondern näherte sich dem reinen Braun des Erzes, so daß das Blut lebenswarm, gleichsam von der Farbe des Halstuches angelockt, durch die Haut hindurchschimmerte.
mehr nur an den Gegenſatz, den er ſelbſt unter dieſen wohlgekleideten Leuten bildete, und verglich beſchämt ſeinen abgeſchabten Rock, der keine beſtimmte Farbe mehr hatte, ſeine nußfarbigen, einſt gelbledernen Beinkleider, ſeine ſchwarzen Strümpfe, die noch die gute Eigenſchaft hatten, daß ſie nicht ſo oft der Wäſche bedurften, und ſeine zerriſſenen ſchmutzigen Schuhe mit den wohlhäbigen Kleidern, den friſchen weißen Strümpfen und den blankgewichsten Schnallenſchuhen der Andern.
Hierauf ſtellte ihm der Zigeuner den weiblichen Theil der Geſell¬ ſchaft mit den Worten vor: Das iſt meine Mutter Anna Maria, eine betagte Wittwe, die viel erlebt und erlitten hat, und das ſind meine Schweſtern Margaretha und Katharina, die ſich dir ſchon ſelbſt zu empfehlen wiſſen werden.
Der Gaſt machte einen verlegenen Kratzfuß; es war ihm in ſeinem Leben noch nicht begegnet, daß er ſo förmlich einer weiblichen Ge¬ ſellſchaft vorgeſtellt wurde. Aber die Anweſenheit der beiden bild¬ hübſchen Mädchen, die er vom erſten Augenblick an unwillkürlich immer wieder hatte anſehen müſſen, erhöhte den anziehenden Eindruck des Empfanges nicht wenig für ihn. Sie waren, wie ihre Mutter, von Kopf bis zu Fuß ſchwarz gekleidet, und trugen, während jene ein buntes Tuch um den Kopf geſchlungen hatte, breitrandige Strohhüte von geſchmackvoller Form, die ihnen ein freies, kühnes Ausſehen gaben. Die Aeltere ſah gar nicht wie eine Zigeunerin aus, ſie hatte hell¬ braune Haare und ein Geſicht wie Milch und Blut, aus welchem ein Paar hellgraue Augen keck und luſtig hervorblitzten; über ihrer vollen Bruſt wogte eine ſilberne Kette auf und ab und ihre Finger ſtrotzten von Ringen. Die Jüngere, die ihr Bruder Katharina geheißen, war ohne allen Schmuck, bis auf ein brennend rothes Halstuch, das der Farbe ihres Geſichts und Halſes verführeriſch zu Hilfe kam; denn wenn ſie auch ſo wenig wie ihre Schweſter einer Zigeunerin gleich ſah, ſo ließ doch ihre Färbung den zigeuneriſchen Urſprung verrathen; ſie hatte dunkelbraune Haare und ihre Haut ſtach von dem hellen Ausſehen ihrer Schweſter mächtig ab, war aber eben ſo weit entfernt von jener ſchmutzigen Hautfarbe, die ihre Mutter und ihren Bruder unverkennbar zu Zigeunern ſtempelte, ſondern näherte ſich dem reinen Braun des Erzes, ſo daß das Blut lebenswarm, gleichſam von der Farbe des Halstuches angelockt, durch die Haut hindurchſchimmerte.
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mehr nur an den Gegenſatz, den er ſelbſt unter dieſen wohlgekleideten
Leuten bildete, und verglich beſchämt ſeinen abgeſchabten Rock, der
keine beſtimmte Farbe mehr hatte, ſeine nußfarbigen, einſt gelbledernen
Beinkleider, ſeine ſchwarzen Strümpfe, die noch die gute Eigenſchaft
hatten, daß ſie nicht ſo oft der Wäſche bedurften, und ſeine zerriſſenen
ſchmutzigen Schuhe mit den wohlhäbigen Kleidern, den friſchen weißen
Strümpfen und den blankgewichsten Schnallenſchuhen der Andern.
Hierauf ſtellte ihm der Zigeuner den weiblichen Theil der Geſell¬
ſchaft mit den Worten vor: Das iſt meine Mutter Anna Maria, eine
betagte Wittwe, die viel erlebt und erlitten hat, und das ſind meine
Schweſtern Margaretha und Katharina, die ſich dir ſchon ſelbſt zu
empfehlen wiſſen werden.
Der Gaſt machte einen verlegenen Kratzfuß; es war ihm in ſeinem
Leben noch nicht begegnet, daß er ſo förmlich einer weiblichen Ge¬
ſellſchaft vorgeſtellt wurde. Aber die Anweſenheit der beiden bild¬
hübſchen Mädchen, die er vom erſten Augenblick an unwillkürlich immer
wieder hatte anſehen müſſen, erhöhte den anziehenden Eindruck des
Empfanges nicht wenig für ihn. Sie waren, wie ihre Mutter, von
Kopf bis zu Fuß ſchwarz gekleidet, und trugen, während jene ein
buntes Tuch um den Kopf geſchlungen hatte, breitrandige Strohhüte
von geſchmackvoller Form, die ihnen ein freies, kühnes Ausſehen gaben.
Die Aeltere ſah gar nicht wie eine Zigeunerin aus, ſie hatte hell¬
braune Haare und ein Geſicht wie Milch und Blut, aus welchem ein
Paar hellgraue Augen keck und luſtig hervorblitzten; über ihrer vollen
Bruſt wogte eine ſilberne Kette auf und ab und ihre Finger ſtrotzten
von Ringen. Die Jüngere, die ihr Bruder Katharina geheißen, war
ohne allen Schmuck, bis auf ein brennend rothes Halstuch, das der
Farbe ihres Geſichts und Halſes verführeriſch zu Hilfe kam; denn
wenn ſie auch ſo wenig wie ihre Schweſter einer Zigeunerin gleich
ſah, ſo ließ doch ihre Färbung den zigeuneriſchen Urſprung verrathen;
ſie hatte dunkelbraune Haare und ihre Haut ſtach von dem hellen
Ausſehen ihrer Schweſter mächtig ab, war aber eben ſo weit entfernt
von jener ſchmutzigen Hautfarbe, die ihre Mutter und ihren Bruder
unverkennbar zu Zigeunern ſtempelte, ſondern näherte ſich dem reinen
Braun des Erzes, ſo daß das Blut lebenswarm, gleichſam von der
Farbe des Halstuches angelockt, durch die Haut hindurchſchimmerte.
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/386>, abgerufen am 26.11.2024.
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