Beide Schwestern waren von Gestalt untadelhaft. Auf den ersten An¬ blick schien die ältere, so lange sie durch ihr entgegenkommendes Lächeln bezaubern konnte, die schönere zu sein; bald aber mußten einem un¬ verdorbenen Blicke ihre Augen, die sie unnöthig zu erweitern suchte, zu grell erscheinen, und das ewige Lächeln, das ihren Mund in's Breite zog, fand ebenfalls bald seine Erklärung: er war von Natur etwas zu groß, und um dies zu verbergen, liebte sie die Zähne zu zeigen, die freilich so blendend weiß waren, daß man ihr das Auskunfts¬ mittel nicht verargen konnte. Die Mutter war eine alte häßliche Zi¬ geunerin mit unheimlich blitzenden Augen, einer vorspringenden Nase, die das ganze Gesicht aufwog, und einem zahnlosen von tiefen Furchen umgebenen Munde darunter. Die drei ungleichen Kinder, die sie ihre Mutter nannten, ein ächter Zigeuner, eine völlige Deutsche und eine Halbzigeunerin, konnten unmöglich von einem und demselben Vater stammen.
Es ist uns eine große Ehre, den Herrn Sonnenwirth bei uns zu sehen, sagte die Alte, indem sie die Vorstellungsfeierlichkeit er¬ widerte: wir haben so mächtige Dinge von Ihnen gehört, daß wir uns über Ihren Besuch sehr glücklich schätzen müssen; und ich wünsche nur, daß es dem Herrn Sonnenwirth bei uns recht lang gefallen möchte.
Bitt' Ihnen! stammelte der Gast verlegen und bescheidentlich. Ich bin nicht Sonnenwirth. Mein Vater ist immer noch auf der Wirth¬ schaft. Man hat mich in meinem Ort eben den Sonnenwirthle ge¬ heißen, wie man des Anwalts Sohn den Anwältle heißt, und wie man des Amtmanns seinen, wenn der nämlich einen hätt', den Amt¬ mändle heißen würde. Weiter ist's nichts.
Alle lächelten und selbst der rauhe Schwamenjackel verzog den Mund ein wenig.
Nun sitz' dich endlich, Bruder Sonnenwirth! sagte der Zigeuner lachend. Wir sind freie Leute; was kümmern uns Rang und Titel in dieser einfältigen Welt! Wenn's dir aber nicht genehm ist, deines Vaters Titel zu führen, nach dem du freilich kein großes Verlangen verspüren wirst, so wollen wir dir seinen Namen geben. Reicht dem Friedrich Schwan die Hände, Mädels, und das mit Respect, und nun wieder zu unserm Geschäft!
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Beide Schweſtern waren von Geſtalt untadelhaft. Auf den erſten An¬ blick ſchien die ältere, ſo lange ſie durch ihr entgegenkommendes Lächeln bezaubern konnte, die ſchönere zu ſein; bald aber mußten einem un¬ verdorbenen Blicke ihre Augen, die ſie unnöthig zu erweitern ſuchte, zu grell erſcheinen, und das ewige Lächeln, das ihren Mund in's Breite zog, fand ebenfalls bald ſeine Erklärung: er war von Natur etwas zu groß, und um dies zu verbergen, liebte ſie die Zähne zu zeigen, die freilich ſo blendend weiß waren, daß man ihr das Auskunfts¬ mittel nicht verargen konnte. Die Mutter war eine alte häßliche Zi¬ geunerin mit unheimlich blitzenden Augen, einer vorſpringenden Naſe, die das ganze Geſicht aufwog, und einem zahnloſen von tiefen Furchen umgebenen Munde darunter. Die drei ungleichen Kinder, die ſie ihre Mutter nannten, ein ächter Zigeuner, eine völlige Deutſche und eine Halbzigeunerin, konnten unmöglich von einem und demſelben Vater ſtammen.
Es iſt uns eine große Ehre, den Herrn Sonnenwirth bei uns zu ſehen, ſagte die Alte, indem ſie die Vorſtellungsfeierlichkeit er¬ widerte: wir haben ſo mächtige Dinge von Ihnen gehört, daß wir uns über Ihren Beſuch ſehr glücklich ſchätzen müſſen; und ich wünſche nur, daß es dem Herrn Sonnenwirth bei uns recht lang gefallen möchte.
Bitt' Ihnen! ſtammelte der Gaſt verlegen und beſcheidentlich. Ich bin nicht Sonnenwirth. Mein Vater iſt immer noch auf der Wirth¬ ſchaft. Man hat mich in meinem Ort eben den Sonnenwirthle ge¬ heißen, wie man des Anwalts Sohn den Anwältle heißt, und wie man des Amtmanns ſeinen, wenn der nämlich einen hätt', den Amt¬ mändle heißen würde. Weiter iſt's nichts.
Alle lächelten und ſelbſt der rauhe Schwamenjackel verzog den Mund ein wenig.
Nun ſitz' dich endlich, Bruder Sonnenwirth! ſagte der Zigeuner lachend. Wir ſind freie Leute; was kümmern uns Rang und Titel in dieſer einfältigen Welt! Wenn's dir aber nicht genehm iſt, deines Vaters Titel zu führen, nach dem du freilich kein großes Verlangen verſpüren wirſt, ſo wollen wir dir ſeinen Namen geben. Reicht dem Friedrich Schwan die Hände, Mädels, und das mit Reſpect, und nun wieder zu unſerm Geſchäft!
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Beide Schweſtern waren von Geſtalt untadelhaft. Auf den erſten An¬
blick ſchien die ältere, ſo lange ſie durch ihr entgegenkommendes Lächeln
bezaubern konnte, die ſchönere zu ſein; bald aber mußten einem un¬
verdorbenen Blicke ihre Augen, die ſie unnöthig zu erweitern ſuchte,
zu grell erſcheinen, und das ewige Lächeln, das ihren Mund in's
Breite zog, fand ebenfalls bald ſeine Erklärung: er war von Natur etwas
zu groß, und um dies zu verbergen, liebte ſie die Zähne zu zeigen,
die freilich ſo blendend weiß waren, daß man ihr das Auskunfts¬
mittel nicht verargen konnte. Die Mutter war eine alte häßliche Zi¬
geunerin mit unheimlich blitzenden Augen, einer vorſpringenden Naſe,
die das ganze Geſicht aufwog, und einem zahnloſen von tiefen Furchen
umgebenen Munde darunter. Die drei ungleichen Kinder, die ſie ihre
Mutter nannten, ein ächter Zigeuner, eine völlige Deutſche und eine
Halbzigeunerin, konnten unmöglich von einem und demſelben Vater
ſtammen.
Es iſt uns eine große Ehre, den Herrn Sonnenwirth bei uns
zu ſehen, ſagte die Alte, indem ſie die Vorſtellungsfeierlichkeit er¬
widerte: wir haben ſo mächtige Dinge von Ihnen gehört, daß wir
uns über Ihren Beſuch ſehr glücklich ſchätzen müſſen; und ich wünſche
nur, daß es dem Herrn Sonnenwirth bei uns recht lang gefallen
möchte.
Bitt' Ihnen! ſtammelte der Gaſt verlegen und beſcheidentlich. Ich
bin nicht Sonnenwirth. Mein Vater iſt immer noch auf der Wirth¬
ſchaft. Man hat mich in meinem Ort eben den Sonnenwirthle ge¬
heißen, wie man des Anwalts Sohn den Anwältle heißt, und wie
man des Amtmanns ſeinen, wenn der nämlich einen hätt', den Amt¬
mändle heißen würde. Weiter iſt's nichts.
Alle lächelten und ſelbſt der rauhe Schwamenjackel verzog den
Mund ein wenig.
Nun ſitz' dich endlich, Bruder Sonnenwirth! ſagte der Zigeuner
lachend. Wir ſind freie Leute; was kümmern uns Rang und Titel in
dieſer einfältigen Welt! Wenn's dir aber nicht genehm iſt, deines
Vaters Titel zu führen, nach dem du freilich kein großes Verlangen
verſpüren wirſt, ſo wollen wir dir ſeinen Namen geben. Reicht dem
Friedrich Schwan die Hände, Mädels, und das mit Reſpect, und nun
wieder zu unſerm Geſchäft!
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/387>, abgerufen am 26.11.2024.
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