Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Laßt mich reden! rief Schwamenjackel, seine Worte mit heiserer
Stimme kurz hervorstoßend. Mein Vater, der mich erzogen und ge¬
boren hat --

Ungeachtet des furchtbaren Ernstes, den die Unterredung ange¬
nommen, kämpfte ein unterdrücktes Lachen in der Brust der Mädchen,
die das Gesicht abwandten, und die Männer bißen sich auf die Lippen,
um ihren Gefährten nicht durch einen unzeitigen Ausbruch zu stören.
Mein Vater, fuhr Schwamenjackel fort, ist zu Alpirsbach auf dem
Schwarzwald gerädert worden, und ich hab' als ein zwölfjähriger Bube
hart dabei zusehen müssen und bin nachher in's Zuchthaus gesteckt
worden. In meinem ganzen Leben vergess' ich's nicht und will's auch
nie vergessen. Ich übe mein Gedächtniß mit Fleiß, daß es mir die
Stöße des schweren, mit Blei ausgefüllten Rades und das Krachen
der Glieder immer wieder als gegenwärtig vorstellen muß: erst den
rechten Fuß und den linken Vorderarm, dann den linken Fuß und den
rechten Vorderarm, dann den rechten Schenkel und den linken Oberarm,
dann den linken Schenkel und den rechten Oberarm, und endlich, wenn
sie's leidlich machen, den Gnadenstoß auf die Brust. Meinem Vater
ist's aber nicht so gut geworden: lebendig haben sie ihn auf's Rad
geflochten, Stunden lang ächzen und stöhnen lassen in der gräulichen
Marter, bis sie ihm endlich den Kopf abgeschnitten und auf den Pfahl
gesteckt haben. Und dabei haben die Pfaffen immerfort in ihn hinein¬
geschrieen und ihm ihre Kreuze unter die Nase gestoßen. Das
halt' ich mir tagtäglich vor, damit mich kein dummes Mitleid über¬
mannt --

Ein entsetzlicher Schrei unterbrach ihn. Alle sprangen auf und
sahen sich um. Es war Christine, die unruhig geschlafen, und, von
der rauhen Stimme Schwamenjackels erweckt, seine Worte noch halb gehört
hatte. Mein Herz! rief sie, ihre Hände auf der Brust zusammen¬
drückend, mein Herz! Das ist ja zu gräßlich! es bringt mich um.

Sei ruhig, Christine! rief Friedrich, der selbst etwas bleich ge¬
worden war, und eilte zu ihr. Sie sah ihn wild an und erholte sich
erst allmählich. Es ist ja nur von vergangenen Dingen die Rede,
sprach er ihr zu. Sieh, ich bin bei dir, und meine Freunde haben
mir einen Pfarrer genannt, der uns trauen will. Sei munter, jetzt
geht's endlich zur Hochzeit!

Laßt mich reden! rief Schwamenjackel, ſeine Worte mit heiſerer
Stimme kurz hervorſtoßend. Mein Vater, der mich erzogen und ge¬
boren hat —

Ungeachtet des furchtbaren Ernſtes, den die Unterredung ange¬
nommen, kämpfte ein unterdrücktes Lachen in der Bruſt der Mädchen,
die das Geſicht abwandten, und die Männer bißen ſich auf die Lippen,
um ihren Gefährten nicht durch einen unzeitigen Ausbruch zu ſtören.
Mein Vater, fuhr Schwamenjackel fort, iſt zu Alpirsbach auf dem
Schwarzwald gerädert worden, und ich hab' als ein zwölfjähriger Bube
hart dabei zuſehen müſſen und bin nachher in's Zuchthaus geſteckt
worden. In meinem ganzen Leben vergeſſ' ich's nicht und will's auch
nie vergeſſen. Ich übe mein Gedächtniß mit Fleiß, daß es mir die
Stöße des ſchweren, mit Blei ausgefüllten Rades und das Krachen
der Glieder immer wieder als gegenwärtig vorſtellen muß: erſt den
rechten Fuß und den linken Vorderarm, dann den linken Fuß und den
rechten Vorderarm, dann den rechten Schenkel und den linken Oberarm,
dann den linken Schenkel und den rechten Oberarm, und endlich, wenn
ſie's leidlich machen, den Gnadenſtoß auf die Bruſt. Meinem Vater
iſt's aber nicht ſo gut geworden: lebendig haben ſie ihn auf's Rad
geflochten, Stunden lang ächzen und ſtöhnen laſſen in der gräulichen
Marter, bis ſie ihm endlich den Kopf abgeſchnitten und auf den Pfahl
geſteckt haben. Und dabei haben die Pfaffen immerfort in ihn hinein¬
geſchrieen und ihm ihre Kreuze unter die Naſe geſtoßen. Das
halt' ich mir tagtäglich vor, damit mich kein dummes Mitleid über¬
mannt —

Ein entſetzlicher Schrei unterbrach ihn. Alle ſprangen auf und
ſahen ſich um. Es war Chriſtine, die unruhig geſchlafen, und, von
der rauhen Stimme Schwamenjackels erweckt, ſeine Worte noch halb gehört
hatte. Mein Herz! rief ſie, ihre Hände auf der Bruſt zuſammen¬
drückend, mein Herz! Das iſt ja zu gräßlich! es bringt mich um.

Sei ruhig, Chriſtine! rief Friedrich, der ſelbſt etwas bleich ge¬
worden war, und eilte zu ihr. Sie ſah ihn wild an und erholte ſich
erſt allmählich. Es iſt ja nur von vergangenen Dingen die Rede,
ſprach er ihr zu. Sieh, ich bin bei dir, und meine Freunde haben
mir einen Pfarrer genannt, der uns trauen will. Sei munter, jetzt
geht's endlich zur Hochzeit!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0407" n="391"/>
        <p>Laßt <hi rendition="#g">mich</hi> reden! rief Schwamenjackel, &#x017F;eine Worte mit hei&#x017F;erer<lb/>
Stimme kurz hervor&#x017F;toßend. Mein Vater, der mich erzogen und ge¬<lb/>
boren hat &#x2014;</p><lb/>
        <p>Ungeachtet des furchtbaren Ern&#x017F;tes, den die Unterredung ange¬<lb/>
nommen, kämpfte ein unterdrücktes Lachen in der Bru&#x017F;t der Mädchen,<lb/>
die das Ge&#x017F;icht abwandten, und die Männer bißen &#x017F;ich auf die Lippen,<lb/>
um ihren Gefährten nicht durch einen unzeitigen Ausbruch zu &#x017F;tören.<lb/>
Mein Vater, fuhr Schwamenjackel fort, i&#x017F;t zu Alpirsbach auf dem<lb/>
Schwarzwald gerädert worden, und ich hab' als ein zwölfjähriger Bube<lb/>
hart dabei zu&#x017F;ehen mü&#x017F;&#x017F;en und bin nachher in's Zuchthaus ge&#x017F;teckt<lb/>
worden. In meinem ganzen Leben verge&#x017F;&#x017F;' ich's nicht und will's auch<lb/>
nie verge&#x017F;&#x017F;en. Ich übe mein Gedächtniß mit Fleiß, daß es mir die<lb/>
Stöße des &#x017F;chweren, mit Blei ausgefüllten Rades und das Krachen<lb/>
der Glieder immer wieder als gegenwärtig vor&#x017F;tellen muß: er&#x017F;t den<lb/>
rechten Fuß und den linken Vorderarm, dann den linken Fuß und den<lb/>
rechten Vorderarm, dann den rechten Schenkel und den linken Oberarm,<lb/>
dann den linken Schenkel und den rechten Oberarm, und endlich, wenn<lb/>
&#x017F;ie's leidlich machen, den Gnaden&#x017F;toß auf die Bru&#x017F;t. Meinem Vater<lb/>
i&#x017F;t's aber nicht &#x017F;o gut geworden: lebendig haben &#x017F;ie ihn auf's Rad<lb/>
geflochten, Stunden lang ächzen und &#x017F;töhnen la&#x017F;&#x017F;en in der gräulichen<lb/>
Marter, bis &#x017F;ie ihm endlich den Kopf abge&#x017F;chnitten und auf den Pfahl<lb/>
ge&#x017F;teckt haben. Und dabei haben die Pfaffen immerfort in ihn hinein¬<lb/>
ge&#x017F;chrieen und ihm ihre Kreuze unter die Na&#x017F;e ge&#x017F;toßen. Das<lb/>
halt' ich mir tagtäglich vor, damit mich kein dummes Mitleid über¬<lb/>
mannt &#x2014;</p><lb/>
        <p>Ein ent&#x017F;etzlicher Schrei unterbrach ihn. Alle &#x017F;prangen auf und<lb/>
&#x017F;ahen &#x017F;ich um. Es war Chri&#x017F;tine, die unruhig ge&#x017F;chlafen, und, von<lb/>
der rauhen Stimme Schwamenjackels erweckt, &#x017F;eine Worte noch halb gehört<lb/>
hatte. Mein Herz! rief &#x017F;ie, ihre Hände auf der Bru&#x017F;t zu&#x017F;ammen¬<lb/>
drückend, mein Herz! Das i&#x017F;t ja zu gräßlich! es bringt mich um.</p><lb/>
        <p>Sei ruhig, Chri&#x017F;tine! rief Friedrich, der &#x017F;elb&#x017F;t etwas bleich ge¬<lb/>
worden war, und eilte zu ihr. Sie &#x017F;ah ihn wild an und erholte &#x017F;ich<lb/>
er&#x017F;t allmählich. Es i&#x017F;t ja nur von vergangenen Dingen die Rede,<lb/>
&#x017F;prach er ihr zu. Sieh, ich bin bei dir, und meine Freunde haben<lb/>
mir einen Pfarrer genannt, der uns trauen will. Sei munter, jetzt<lb/>
geht's endlich zur Hochzeit!</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[391/0407] Laßt mich reden! rief Schwamenjackel, ſeine Worte mit heiſerer Stimme kurz hervorſtoßend. Mein Vater, der mich erzogen und ge¬ boren hat — Ungeachtet des furchtbaren Ernſtes, den die Unterredung ange¬ nommen, kämpfte ein unterdrücktes Lachen in der Bruſt der Mädchen, die das Geſicht abwandten, und die Männer bißen ſich auf die Lippen, um ihren Gefährten nicht durch einen unzeitigen Ausbruch zu ſtören. Mein Vater, fuhr Schwamenjackel fort, iſt zu Alpirsbach auf dem Schwarzwald gerädert worden, und ich hab' als ein zwölfjähriger Bube hart dabei zuſehen müſſen und bin nachher in's Zuchthaus geſteckt worden. In meinem ganzen Leben vergeſſ' ich's nicht und will's auch nie vergeſſen. Ich übe mein Gedächtniß mit Fleiß, daß es mir die Stöße des ſchweren, mit Blei ausgefüllten Rades und das Krachen der Glieder immer wieder als gegenwärtig vorſtellen muß: erſt den rechten Fuß und den linken Vorderarm, dann den linken Fuß und den rechten Vorderarm, dann den rechten Schenkel und den linken Oberarm, dann den linken Schenkel und den rechten Oberarm, und endlich, wenn ſie's leidlich machen, den Gnadenſtoß auf die Bruſt. Meinem Vater iſt's aber nicht ſo gut geworden: lebendig haben ſie ihn auf's Rad geflochten, Stunden lang ächzen und ſtöhnen laſſen in der gräulichen Marter, bis ſie ihm endlich den Kopf abgeſchnitten und auf den Pfahl geſteckt haben. Und dabei haben die Pfaffen immerfort in ihn hinein¬ geſchrieen und ihm ihre Kreuze unter die Naſe geſtoßen. Das halt' ich mir tagtäglich vor, damit mich kein dummes Mitleid über¬ mannt — Ein entſetzlicher Schrei unterbrach ihn. Alle ſprangen auf und ſahen ſich um. Es war Chriſtine, die unruhig geſchlafen, und, von der rauhen Stimme Schwamenjackels erweckt, ſeine Worte noch halb gehört hatte. Mein Herz! rief ſie, ihre Hände auf der Bruſt zuſammen¬ drückend, mein Herz! Das iſt ja zu gräßlich! es bringt mich um. Sei ruhig, Chriſtine! rief Friedrich, der ſelbſt etwas bleich ge¬ worden war, und eilte zu ihr. Sie ſah ihn wild an und erholte ſich erſt allmählich. Es iſt ja nur von vergangenen Dingen die Rede, ſprach er ihr zu. Sieh, ich bin bei dir, und meine Freunde haben mir einen Pfarrer genannt, der uns trauen will. Sei munter, jetzt geht's endlich zur Hochzeit!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/407
Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/407>, abgerufen am 13.06.2024.