Sie besah die Löffel aufmerksam. Die kenn' ich! rief sie, das sind die Löffel, mit denen wir gestern früh die Milchsupp' gessen haben. Du, für das Geschenk dank' ich, das ist nicht auf richtige Art in deine Händ' kommen. O Frieder, du bist bei dem Wirth zu Hesel¬ thal einbrochen!
Ich hab' ihm das Haus mit keinem Fuß betreten, erwiderte er.
Dann haben's deine Kameraden gethan, sagte sie, und die werden ihm die Löffel nicht abkauft haben.
Heb' mir die Sachen auf, entgegnete er mit einem Tone, der jede fernere Erörterung abschnitt. Wenn du sie nicht willst, so gehören sie mir. Du meinst gleich, der Teufel hole dich darüber; wenn du in Ebersbach wärest, so sprängest du schon dem Amtmann zu.
Sie nahm die Löffel und das Besteck in Verwahrung und sagte nichts mehr. Nachdem sie stillschweigend bis gegen Mittag gewandert waren, sah Christine einen Berg vor ihnen, auf dessen Gipfel eine Kirche stand, und nun fand sie sich wieder in bekannter Gegend. Es war der Rechberg. Friedrich wandte sich demselben zu und schlug den Weg nach der Höhe ein. Sie folgte ihrem Manne, ohne zu fragen. Als sie den Gipfel erstiegen hatten, begaben sie sich in das der Kirche gegenüber gelegene Pfarrhaus, mit welchem von jeher zum Besten der frommen Wanderer eine Wirthschaft verbunden war. Beim Eintritt rief Christine überrascht: Ei, da sind ja -- Er stieß sie in die Seite und bedeutete sie zu schweigen. Um den runden Tisch am Fenster saßen drei Mitglieder der Gesellschaft vom Walde, Bettelmelcher, Schwamenjackel und die jüngere Zigeunerin, welche in aller Ruhe mit einander zehrten. Der Wanderer begrüßte sie, wie man Fremde grüßt, mit welchen man sich an einem einsamen Orte zusammengeführt sieht, und entschuldigte sein Weib, die sich von irgend einer Aehnlichkeit habe hinreißen lassen, einen Augenblick Bekannte in ihnen zu sehen. Sie nahmen die Entschuldigung mit gleichmüthiger Höflichkeit auf, erwiderten, dergleichen Irrthümer kommen häufig vor, und boten den Ankommen¬ den Platz an ihrem Tische an. Dann fragte man sich gegenseitig woher und wohin, und tischte einander beliebige Auskunft darüber auf. Christine hörte sehr verdutzt auf diese Reden und konnte nicht begreifen, wie ihr Mann sich so schnell in das angenommene Betragen finden konnte. Nach und nach wurde man immer bekannter, indem der Wein
Sie beſah die Löffel aufmerkſam. Die kenn' ich! rief ſie, das ſind die Löffel, mit denen wir geſtern früh die Milchſupp' geſſen haben. Du, für das Geſchenk dank' ich, das iſt nicht auf richtige Art in deine Händ' kommen. O Frieder, du biſt bei dem Wirth zu Heſel¬ thal einbrochen!
Ich hab' ihm das Haus mit keinem Fuß betreten, erwiderte er.
Dann haben's deine Kameraden gethan, ſagte ſie, und die werden ihm die Löffel nicht abkauft haben.
Heb' mir die Sachen auf, entgegnete er mit einem Tone, der jede fernere Erörterung abſchnitt. Wenn du ſie nicht willſt, ſo gehören ſie mir. Du meinſt gleich, der Teufel hole dich darüber; wenn du in Ebersbach wäreſt, ſo ſprängeſt du ſchon dem Amtmann zu.
Sie nahm die Löffel und das Beſteck in Verwahrung und ſagte nichts mehr. Nachdem ſie ſtillſchweigend bis gegen Mittag gewandert waren, ſah Chriſtine einen Berg vor ihnen, auf deſſen Gipfel eine Kirche ſtand, und nun fand ſie ſich wieder in bekannter Gegend. Es war der Rechberg. Friedrich wandte ſich demſelben zu und ſchlug den Weg nach der Höhe ein. Sie folgte ihrem Manne, ohne zu fragen. Als ſie den Gipfel erſtiegen hatten, begaben ſie ſich in das der Kirche gegenüber gelegene Pfarrhaus, mit welchem von jeher zum Beſten der frommen Wanderer eine Wirthſchaft verbunden war. Beim Eintritt rief Chriſtine überraſcht: Ei, da ſind ja — Er ſtieß ſie in die Seite und bedeutete ſie zu ſchweigen. Um den runden Tiſch am Fenſter ſaßen drei Mitglieder der Geſellſchaft vom Walde, Bettelmelcher, Schwamenjackel und die jüngere Zigeunerin, welche in aller Ruhe mit einander zehrten. Der Wanderer begrüßte ſie, wie man Fremde grüßt, mit welchen man ſich an einem einſamen Orte zuſammengeführt ſieht, und entſchuldigte ſein Weib, die ſich von irgend einer Aehnlichkeit habe hinreißen laſſen, einen Augenblick Bekannte in ihnen zu ſehen. Sie nahmen die Entſchuldigung mit gleichmüthiger Höflichkeit auf, erwiderten, dergleichen Irrthümer kommen häufig vor, und boten den Ankommen¬ den Platz an ihrem Tiſche an. Dann fragte man ſich gegenſeitig woher und wohin, und tiſchte einander beliebige Auskunft darüber auf. Chriſtine hörte ſehr verdutzt auf dieſe Reden und konnte nicht begreifen, wie ihr Mann ſich ſo ſchnell in das angenommene Betragen finden konnte. Nach und nach wurde man immer bekannter, indem der Wein
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Sie beſah die Löffel aufmerkſam. Die kenn' ich! rief ſie, das
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Du, für das Geſchenk dank' ich, das iſt nicht auf richtige Art in
deine Händ' kommen. O Frieder, du biſt bei dem Wirth zu Heſel¬
thal einbrochen!
Ich hab' ihm das Haus mit keinem Fuß betreten, erwiderte er.
Dann haben's deine Kameraden gethan, ſagte ſie, und die werden
ihm die Löffel nicht abkauft haben.
Heb' mir die Sachen auf, entgegnete er mit einem Tone, der jede
fernere Erörterung abſchnitt. Wenn du ſie nicht willſt, ſo gehören ſie
mir. Du meinſt gleich, der Teufel hole dich darüber; wenn du in
Ebersbach wäreſt, ſo ſprängeſt du ſchon dem Amtmann zu.
Sie nahm die Löffel und das Beſteck in Verwahrung und ſagte
nichts mehr. Nachdem ſie ſtillſchweigend bis gegen Mittag gewandert
waren, ſah Chriſtine einen Berg vor ihnen, auf deſſen Gipfel eine Kirche
ſtand, und nun fand ſie ſich wieder in bekannter Gegend. Es war der
Rechberg. Friedrich wandte ſich demſelben zu und ſchlug den Weg
nach der Höhe ein. Sie folgte ihrem Manne, ohne zu fragen. Als
ſie den Gipfel erſtiegen hatten, begaben ſie ſich in das der Kirche
gegenüber gelegene Pfarrhaus, mit welchem von jeher zum Beſten der
frommen Wanderer eine Wirthſchaft verbunden war. Beim Eintritt
rief Chriſtine überraſcht: Ei, da ſind ja — Er ſtieß ſie in die Seite
und bedeutete ſie zu ſchweigen. Um den runden Tiſch am Fenſter
ſaßen drei Mitglieder der Geſellſchaft vom Walde, Bettelmelcher,
Schwamenjackel und die jüngere Zigeunerin, welche in aller Ruhe mit
einander zehrten. Der Wanderer begrüßte ſie, wie man Fremde grüßt,
mit welchen man ſich an einem einſamen Orte zuſammengeführt ſieht,
und entſchuldigte ſein Weib, die ſich von irgend einer Aehnlichkeit habe
hinreißen laſſen, einen Augenblick Bekannte in ihnen zu ſehen. Sie
nahmen die Entſchuldigung mit gleichmüthiger Höflichkeit auf, erwiderten,
dergleichen Irrthümer kommen häufig vor, und boten den Ankommen¬
den Platz an ihrem Tiſche an. Dann fragte man ſich gegenſeitig
woher und wohin, und tiſchte einander beliebige Auskunft darüber auf.
Chriſtine hörte ſehr verdutzt auf dieſe Reden und konnte nicht begreifen,
wie ihr Mann ſich ſo ſchnell in das angenommene Betragen finden
konnte. Nach und nach wurde man immer bekannter, indem der Wein
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/415>, abgerufen am 22.11.2024.
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