Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Sie besah die Löffel aufmerksam. Die kenn' ich! rief sie, das
sind die Löffel, mit denen wir gestern früh die Milchsupp' gessen haben.
Du, für das Geschenk dank' ich, das ist nicht auf richtige Art in
deine Händ' kommen. O Frieder, du bist bei dem Wirth zu Hesel¬
thal einbrochen!

Ich hab' ihm das Haus mit keinem Fuß betreten, erwiderte er.

Dann haben's deine Kameraden gethan, sagte sie, und die werden
ihm die Löffel nicht abkauft haben.

Heb' mir die Sachen auf, entgegnete er mit einem Tone, der jede
fernere Erörterung abschnitt. Wenn du sie nicht willst, so gehören sie
mir. Du meinst gleich, der Teufel hole dich darüber; wenn du in
Ebersbach wärest, so sprängest du schon dem Amtmann zu.

Sie nahm die Löffel und das Besteck in Verwahrung und sagte
nichts mehr. Nachdem sie stillschweigend bis gegen Mittag gewandert
waren, sah Christine einen Berg vor ihnen, auf dessen Gipfel eine Kirche
stand, und nun fand sie sich wieder in bekannter Gegend. Es war der
Rechberg. Friedrich wandte sich demselben zu und schlug den Weg
nach der Höhe ein. Sie folgte ihrem Manne, ohne zu fragen. Als
sie den Gipfel erstiegen hatten, begaben sie sich in das der Kirche
gegenüber gelegene Pfarrhaus, mit welchem von jeher zum Besten der
frommen Wanderer eine Wirthschaft verbunden war. Beim Eintritt
rief Christine überrascht: Ei, da sind ja -- Er stieß sie in die Seite
und bedeutete sie zu schweigen. Um den runden Tisch am Fenster
saßen drei Mitglieder der Gesellschaft vom Walde, Bettelmelcher,
Schwamenjackel und die jüngere Zigeunerin, welche in aller Ruhe mit
einander zehrten. Der Wanderer begrüßte sie, wie man Fremde grüßt,
mit welchen man sich an einem einsamen Orte zusammengeführt sieht,
und entschuldigte sein Weib, die sich von irgend einer Aehnlichkeit habe
hinreißen lassen, einen Augenblick Bekannte in ihnen zu sehen. Sie
nahmen die Entschuldigung mit gleichmüthiger Höflichkeit auf, erwiderten,
dergleichen Irrthümer kommen häufig vor, und boten den Ankommen¬
den Platz an ihrem Tische an. Dann fragte man sich gegenseitig
woher und wohin, und tischte einander beliebige Auskunft darüber auf.
Christine hörte sehr verdutzt auf diese Reden und konnte nicht begreifen,
wie ihr Mann sich so schnell in das angenommene Betragen finden
konnte. Nach und nach wurde man immer bekannter, indem der Wein

Sie beſah die Löffel aufmerkſam. Die kenn' ich! rief ſie, das
ſind die Löffel, mit denen wir geſtern früh die Milchſupp' geſſen haben.
Du, für das Geſchenk dank' ich, das iſt nicht auf richtige Art in
deine Händ' kommen. O Frieder, du biſt bei dem Wirth zu Heſel¬
thal einbrochen!

Ich hab' ihm das Haus mit keinem Fuß betreten, erwiderte er.

Dann haben's deine Kameraden gethan, ſagte ſie, und die werden
ihm die Löffel nicht abkauft haben.

Heb' mir die Sachen auf, entgegnete er mit einem Tone, der jede
fernere Erörterung abſchnitt. Wenn du ſie nicht willſt, ſo gehören ſie
mir. Du meinſt gleich, der Teufel hole dich darüber; wenn du in
Ebersbach wäreſt, ſo ſprängeſt du ſchon dem Amtmann zu.

Sie nahm die Löffel und das Beſteck in Verwahrung und ſagte
nichts mehr. Nachdem ſie ſtillſchweigend bis gegen Mittag gewandert
waren, ſah Chriſtine einen Berg vor ihnen, auf deſſen Gipfel eine Kirche
ſtand, und nun fand ſie ſich wieder in bekannter Gegend. Es war der
Rechberg. Friedrich wandte ſich demſelben zu und ſchlug den Weg
nach der Höhe ein. Sie folgte ihrem Manne, ohne zu fragen. Als
ſie den Gipfel erſtiegen hatten, begaben ſie ſich in das der Kirche
gegenüber gelegene Pfarrhaus, mit welchem von jeher zum Beſten der
frommen Wanderer eine Wirthſchaft verbunden war. Beim Eintritt
rief Chriſtine überraſcht: Ei, da ſind ja — Er ſtieß ſie in die Seite
und bedeutete ſie zu ſchweigen. Um den runden Tiſch am Fenſter
ſaßen drei Mitglieder der Geſellſchaft vom Walde, Bettelmelcher,
Schwamenjackel und die jüngere Zigeunerin, welche in aller Ruhe mit
einander zehrten. Der Wanderer begrüßte ſie, wie man Fremde grüßt,
mit welchen man ſich an einem einſamen Orte zuſammengeführt ſieht,
und entſchuldigte ſein Weib, die ſich von irgend einer Aehnlichkeit habe
hinreißen laſſen, einen Augenblick Bekannte in ihnen zu ſehen. Sie
nahmen die Entſchuldigung mit gleichmüthiger Höflichkeit auf, erwiderten,
dergleichen Irrthümer kommen häufig vor, und boten den Ankommen¬
den Platz an ihrem Tiſche an. Dann fragte man ſich gegenſeitig
woher und wohin, und tiſchte einander beliebige Auskunft darüber auf.
Chriſtine hörte ſehr verdutzt auf dieſe Reden und konnte nicht begreifen,
wie ihr Mann ſich ſo ſchnell in das angenommene Betragen finden
konnte. Nach und nach wurde man immer bekannter, indem der Wein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0415" n="399"/>
        <p>Sie be&#x017F;ah die Löffel aufmerk&#x017F;am. <hi rendition="#g">Die</hi> kenn' ich! rief &#x017F;ie, das<lb/>
&#x017F;ind die Löffel, mit denen wir ge&#x017F;tern früh die Milch&#x017F;upp' ge&#x017F;&#x017F;en haben.<lb/>
Du, für <hi rendition="#g">das</hi> Ge&#x017F;chenk dank' ich, das i&#x017F;t nicht auf richtige Art in<lb/>
deine Händ' kommen. O Frieder, du bi&#x017F;t bei dem Wirth zu He&#x017F;el¬<lb/>
thal einbrochen!</p><lb/>
        <p>Ich hab' ihm das Haus mit keinem Fuß betreten, erwiderte er.</p><lb/>
        <p>Dann haben's deine Kameraden gethan, &#x017F;agte &#x017F;ie, und die werden<lb/>
ihm die Löffel nicht abkauft haben.</p><lb/>
        <p>Heb' mir die Sachen auf, entgegnete er mit einem Tone, der jede<lb/>
fernere Erörterung ab&#x017F;chnitt. Wenn du &#x017F;ie nicht will&#x017F;t, &#x017F;o gehören &#x017F;ie<lb/>
mir. Du mein&#x017F;t gleich, der Teufel hole dich darüber; wenn du in<lb/>
Ebersbach wäre&#x017F;t, &#x017F;o &#x017F;pränge&#x017F;t du &#x017F;chon dem Amtmann zu.</p><lb/>
        <p>Sie nahm die Löffel und das Be&#x017F;teck in Verwahrung und &#x017F;agte<lb/>
nichts mehr. Nachdem &#x017F;ie &#x017F;till&#x017F;chweigend bis gegen Mittag gewandert<lb/>
waren, &#x017F;ah Chri&#x017F;tine einen Berg vor ihnen, auf de&#x017F;&#x017F;en Gipfel eine Kirche<lb/>
&#x017F;tand, und nun fand &#x017F;ie &#x017F;ich wieder in bekannter Gegend. Es war der<lb/>
Rechberg. Friedrich wandte &#x017F;ich dem&#x017F;elben zu und &#x017F;chlug den Weg<lb/>
nach der Höhe ein. Sie folgte ihrem Manne, ohne zu fragen. Als<lb/>
&#x017F;ie den Gipfel er&#x017F;tiegen hatten, begaben &#x017F;ie &#x017F;ich in das der Kirche<lb/>
gegenüber gelegene Pfarrhaus, mit welchem von jeher zum Be&#x017F;ten der<lb/>
frommen Wanderer eine Wirth&#x017F;chaft verbunden war. Beim Eintritt<lb/>
rief Chri&#x017F;tine überra&#x017F;cht: Ei, da &#x017F;ind ja &#x2014; Er &#x017F;tieß &#x017F;ie in die Seite<lb/>
und bedeutete &#x017F;ie zu &#x017F;chweigen. Um den runden Ti&#x017F;ch am Fen&#x017F;ter<lb/>
&#x017F;aßen drei Mitglieder der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft vom Walde, Bettelmelcher,<lb/>
Schwamenjackel und die jüngere Zigeunerin, welche in aller Ruhe mit<lb/>
einander zehrten. Der Wanderer begrüßte &#x017F;ie, wie man Fremde grüßt,<lb/>
mit welchen man &#x017F;ich an einem ein&#x017F;amen Orte zu&#x017F;ammengeführt &#x017F;ieht,<lb/>
und ent&#x017F;chuldigte &#x017F;ein Weib, die &#x017F;ich von irgend einer Aehnlichkeit habe<lb/>
hinreißen la&#x017F;&#x017F;en, einen Augenblick Bekannte in ihnen zu &#x017F;ehen. Sie<lb/>
nahmen die Ent&#x017F;chuldigung mit gleichmüthiger Höflichkeit auf, erwiderten,<lb/>
dergleichen Irrthümer kommen häufig vor, und boten den Ankommen¬<lb/>
den Platz an ihrem Ti&#x017F;che an. Dann fragte man &#x017F;ich gegen&#x017F;eitig<lb/>
woher und wohin, und ti&#x017F;chte einander beliebige Auskunft darüber auf.<lb/>
Chri&#x017F;tine hörte &#x017F;ehr verdutzt auf die&#x017F;e Reden und konnte nicht begreifen,<lb/>
wie ihr Mann &#x017F;ich &#x017F;o &#x017F;chnell in das angenommene Betragen finden<lb/>
konnte. Nach und nach wurde man immer bekannter, indem der Wein<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[399/0415] Sie beſah die Löffel aufmerkſam. Die kenn' ich! rief ſie, das ſind die Löffel, mit denen wir geſtern früh die Milchſupp' geſſen haben. Du, für das Geſchenk dank' ich, das iſt nicht auf richtige Art in deine Händ' kommen. O Frieder, du biſt bei dem Wirth zu Heſel¬ thal einbrochen! Ich hab' ihm das Haus mit keinem Fuß betreten, erwiderte er. Dann haben's deine Kameraden gethan, ſagte ſie, und die werden ihm die Löffel nicht abkauft haben. Heb' mir die Sachen auf, entgegnete er mit einem Tone, der jede fernere Erörterung abſchnitt. Wenn du ſie nicht willſt, ſo gehören ſie mir. Du meinſt gleich, der Teufel hole dich darüber; wenn du in Ebersbach wäreſt, ſo ſprängeſt du ſchon dem Amtmann zu. Sie nahm die Löffel und das Beſteck in Verwahrung und ſagte nichts mehr. Nachdem ſie ſtillſchweigend bis gegen Mittag gewandert waren, ſah Chriſtine einen Berg vor ihnen, auf deſſen Gipfel eine Kirche ſtand, und nun fand ſie ſich wieder in bekannter Gegend. Es war der Rechberg. Friedrich wandte ſich demſelben zu und ſchlug den Weg nach der Höhe ein. Sie folgte ihrem Manne, ohne zu fragen. Als ſie den Gipfel erſtiegen hatten, begaben ſie ſich in das der Kirche gegenüber gelegene Pfarrhaus, mit welchem von jeher zum Beſten der frommen Wanderer eine Wirthſchaft verbunden war. Beim Eintritt rief Chriſtine überraſcht: Ei, da ſind ja — Er ſtieß ſie in die Seite und bedeutete ſie zu ſchweigen. Um den runden Tiſch am Fenſter ſaßen drei Mitglieder der Geſellſchaft vom Walde, Bettelmelcher, Schwamenjackel und die jüngere Zigeunerin, welche in aller Ruhe mit einander zehrten. Der Wanderer begrüßte ſie, wie man Fremde grüßt, mit welchen man ſich an einem einſamen Orte zuſammengeführt ſieht, und entſchuldigte ſein Weib, die ſich von irgend einer Aehnlichkeit habe hinreißen laſſen, einen Augenblick Bekannte in ihnen zu ſehen. Sie nahmen die Entſchuldigung mit gleichmüthiger Höflichkeit auf, erwiderten, dergleichen Irrthümer kommen häufig vor, und boten den Ankommen¬ den Platz an ihrem Tiſche an. Dann fragte man ſich gegenſeitig woher und wohin, und tiſchte einander beliebige Auskunft darüber auf. Chriſtine hörte ſehr verdutzt auf dieſe Reden und konnte nicht begreifen, wie ihr Mann ſich ſo ſchnell in das angenommene Betragen finden konnte. Nach und nach wurde man immer bekannter, indem der Wein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/415
Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/415>, abgerufen am 22.11.2024.