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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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die fremden Herzen gegen einander aufzuschließen schien; und als die
Gesellschaft zusammen aufbrach, um den zufällig gemeinsamen Weg
mit einander fortzusetzen, hätte die Hauserin des Pfarrers, welche die
Wirthschaft führte, darauf schwören können, daß hier Leute, die sich
in ihrem Leben zum erstenmal gesehen, auf dem freundlichen Berge
recht heiter und vertraulich mit einander geworden seien.

Sie nahmen ihren Weg über den schmalen Grat, der, einem
Messerrücken ähnlich, vom Hohenrechberg nach dem Hohenstaufen führt.
Friedrich und Christine waren die Vordersten in der wandernden Ge¬
sellschaft. Er zankte sie tüchtig aus, daß sie in dem Pfarrhause so
unvorsichtig herausgefahren sei, und gebot ihr, in Zukunft ihre Zunge
besser zu hüten.

Wie hab' ich denn wissen können, daß ich die Leut' gar nicht
kennen darf! maulte sie. Da weiß man ja gar nicht mehr, wie man
sich betragen soll.

So sei künftig ganz still und wart' bis man dich reden heißt!
sagte er zornig.

Sie verschluckte die Antwort, die sie im Unmuthe geben wollte,
und schritt immer stärker zu, während er sich mit verdrossenem Gleich¬
muth im bisherigen Gange hielt. Auf diese Weise gerieth sie, ohne
sich umzusehen, ziemlich weit voraus. Als sie eine Strecke von ihm
entfernt war, sah er sich von Bettelmelcher und Schwamenjackel ein¬
geholt.

Was? rief Bettelmelcher, ich will nicht hoffen, daß es gleich nach
der Hochzeit zu Ehedissidien kommt.

Das ist sehr oft der Fall, erwiderte er lachend: wenn der Pfaff
einmal die Garantie übernommen hat, so meinen die Leute gewöhnlich,
sie brauchen für sich selbst nichts mehr dazu zu thun. Uebrigens ist's
bei uns nicht so gefährlich: ich hab' meiner Frau bloß ein wenig Be¬
hutsamkeit im Weltleben eingeschärft, und jetzt scheint sie ihren Ka¬
techismus ungestört lernen zu wollen.

Das wird sehr gut sein, versetzte Bettelmelcher. Soll ich ihr nicht
ein wenig dabei helfen?

Kann nichts schaden.

Dir fehlt's indessen nicht an Gesellschaft, setzte jener hinzu, auf
die herankommende Zigeunerin deutend, welche ganz allein die Nachhut

die fremden Herzen gegen einander aufzuſchließen ſchien; und als die
Geſellſchaft zuſammen aufbrach, um den zufällig gemeinſamen Weg
mit einander fortzuſetzen, hätte die Hauſerin des Pfarrers, welche die
Wirthſchaft führte, darauf ſchwören können, daß hier Leute, die ſich
in ihrem Leben zum erſtenmal geſehen, auf dem freundlichen Berge
recht heiter und vertraulich mit einander geworden ſeien.

Sie nahmen ihren Weg über den ſchmalen Grat, der, einem
Meſſerrücken ähnlich, vom Hohenrechberg nach dem Hohenſtaufen führt.
Friedrich und Chriſtine waren die Vorderſten in der wandernden Ge¬
ſellſchaft. Er zankte ſie tüchtig aus, daß ſie in dem Pfarrhauſe ſo
unvorſichtig herausgefahren ſei, und gebot ihr, in Zukunft ihre Zunge
beſſer zu hüten.

Wie hab' ich denn wiſſen können, daß ich die Leut' gar nicht
kennen darf! maulte ſie. Da weiß man ja gar nicht mehr, wie man
ſich betragen ſoll.

So ſei künftig ganz ſtill und wart' bis man dich reden heißt!
ſagte er zornig.

Sie verſchluckte die Antwort, die ſie im Unmuthe geben wollte,
und ſchritt immer ſtärker zu, während er ſich mit verdroſſenem Gleich¬
muth im bisherigen Gange hielt. Auf dieſe Weiſe gerieth ſie, ohne
ſich umzuſehen, ziemlich weit voraus. Als ſie eine Strecke von ihm
entfernt war, ſah er ſich von Bettelmelcher und Schwamenjackel ein¬
geholt.

Was? rief Bettelmelcher, ich will nicht hoffen, daß es gleich nach
der Hochzeit zu Ehediſſidien kommt.

Das iſt ſehr oft der Fall, erwiderte er lachend: wenn der Pfaff
einmal die Garantie übernommen hat, ſo meinen die Leute gewöhnlich,
ſie brauchen für ſich ſelbſt nichts mehr dazu zu thun. Uebrigens iſt's
bei uns nicht ſo gefährlich: ich hab' meiner Frau bloß ein wenig Be¬
hutſamkeit im Weltleben eingeſchärft, und jetzt ſcheint ſie ihren Ka¬
techismus ungeſtört lernen zu wollen.

Das wird ſehr gut ſein, verſetzte Bettelmelcher. Soll ich ihr nicht
ein wenig dabei helfen?

Kann nichts ſchaden.

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die herankommende Zigeunerin deutend, welche ganz allein die Nachhut

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[400/0416] die fremden Herzen gegen einander aufzuſchließen ſchien; und als die Geſellſchaft zuſammen aufbrach, um den zufällig gemeinſamen Weg mit einander fortzuſetzen, hätte die Hauſerin des Pfarrers, welche die Wirthſchaft führte, darauf ſchwören können, daß hier Leute, die ſich in ihrem Leben zum erſtenmal geſehen, auf dem freundlichen Berge recht heiter und vertraulich mit einander geworden ſeien. Sie nahmen ihren Weg über den ſchmalen Grat, der, einem Meſſerrücken ähnlich, vom Hohenrechberg nach dem Hohenſtaufen führt. Friedrich und Chriſtine waren die Vorderſten in der wandernden Ge¬ ſellſchaft. Er zankte ſie tüchtig aus, daß ſie in dem Pfarrhauſe ſo unvorſichtig herausgefahren ſei, und gebot ihr, in Zukunft ihre Zunge beſſer zu hüten. Wie hab' ich denn wiſſen können, daß ich die Leut' gar nicht kennen darf! maulte ſie. Da weiß man ja gar nicht mehr, wie man ſich betragen ſoll. So ſei künftig ganz ſtill und wart' bis man dich reden heißt! ſagte er zornig. Sie verſchluckte die Antwort, die ſie im Unmuthe geben wollte, und ſchritt immer ſtärker zu, während er ſich mit verdroſſenem Gleich¬ muth im bisherigen Gange hielt. Auf dieſe Weiſe gerieth ſie, ohne ſich umzuſehen, ziemlich weit voraus. Als ſie eine Strecke von ihm entfernt war, ſah er ſich von Bettelmelcher und Schwamenjackel ein¬ geholt. Was? rief Bettelmelcher, ich will nicht hoffen, daß es gleich nach der Hochzeit zu Ehediſſidien kommt. Das iſt ſehr oft der Fall, erwiderte er lachend: wenn der Pfaff einmal die Garantie übernommen hat, ſo meinen die Leute gewöhnlich, ſie brauchen für ſich ſelbſt nichts mehr dazu zu thun. Uebrigens iſt's bei uns nicht ſo gefährlich: ich hab' meiner Frau bloß ein wenig Be¬ hutſamkeit im Weltleben eingeſchärft, und jetzt ſcheint ſie ihren Ka¬ techismus ungeſtört lernen zu wollen. Das wird ſehr gut ſein, verſetzte Bettelmelcher. Soll ich ihr nicht ein wenig dabei helfen? Kann nichts ſchaden. Dir fehlt's indeſſen nicht an Geſellſchaft, ſetzte jener hinzu, auf die herankommende Zigeunerin deutend, welche ganz allein die Nachhut

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/416>, abgerufen am 22.11.2024.