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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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Wir haben zwar keinen großen Geschmack an einander, aber wenn du
eine Empfehlung willst, um das Scheerenschleifen zu lernen, so steh'
ich zu Diensten.

Es hat wohl eine Zeit gegeben, sagte er, wo mir dieses verachtete
Handwerk gut genug gewesen wäre; aber jetzt bin ich freilich dazu
verdorben. Du hast keinen Begriff, von was ich mich losreißen muß.
Du sagst selbst, du seiest von Kindesbeinen an hinausgestoßen gewesen
und habest dich gegen die Welt wehren müssen. Aber denk' dir ein¬
mal, du seiest der Sohn des vermöglichen Sonnenwirths in Ebersbach,
der nicht zu rauben braucht, weil er Geld genug hat, und seiest von
einer liebevollen, sorgsamen Mutter, die alle Tage zu dir sagt: Mein
Kind, fliehe die Sünde! zur Frömmigkeit und Rechtschaffenheit er¬
zogen -- dann wird's dir nicht so leicht werden, den Rock völlig zu
wenden, und wenn du auch schon lang eingesehen hättest, daß Fröm¬
migkeit und Rechtschaffenheit in dieser Welt nur Lug und Trug
sind. Ihr unterscheidet ja selbst zwischen den Deutschen und den --
Andern.

Ich bin auch zur Hälfte deutsch, erwiderte sie. Mein Vater
Schettinger, den die deutschen Mordhunde vor zwanzig Jahren in
Weingarten umgebracht haben, ist so gut ein Deutscher gewesen wie
sie und wie du.

Nun, vielleicht ist's ihm auch eine Zeit lang nachgegangen, ver¬
setzte er.

Du kennst deine eigenen Landsleute nicht, sagte sie. Komm, ich
will dir sie zeigen. Wir haben noch Zeit genug, zu den Andern
zu stoßen.

Sie winkte ihm und flog zur Linken den Berg hinunter. Er eilte
ihr nach. Als sie im raschen Laufe unten angekommen waren, sagte
sie, weiter eilend: Du mußt dir's aber gefallen lassen, daß ich dich
für meinen Mann ausgebe, sonst findest du da, wo ich dich hinführe,
keinen Credit.

Das will ich gern annehmen! rief er lustig, ihr nacheilend. Du
und keine Andre müßtest mein Weib sein, wenn ich nicht schon eins
hätte. Aber flieg' nicht so, damit ich mein Recht auch ausüben kann.

Laß das! sagte sie, da er den Arm um sie zu schlingen suchte:
dazu ist jetzt keine Zeit. Den Arm kannst du mir geben, so, damit wir

26 *

Wir haben zwar keinen großen Geſchmack an einander, aber wenn du
eine Empfehlung willſt, um das Scheerenſchleifen zu lernen, ſo ſteh'
ich zu Dienſten.

Es hat wohl eine Zeit gegeben, ſagte er, wo mir dieſes verachtete
Handwerk gut genug geweſen wäre; aber jetzt bin ich freilich dazu
verdorben. Du haſt keinen Begriff, von was ich mich losreißen muß.
Du ſagſt ſelbſt‚ du ſeieſt von Kindesbeinen an hinausgeſtoßen geweſen
und habeſt dich gegen die Welt wehren müſſen. Aber denk' dir ein¬
mal, du ſeieſt der Sohn des vermöglichen Sonnenwirths in Ebersbach,
der nicht zu rauben braucht, weil er Geld genug hat, und ſeieſt von
einer liebevollen, ſorgſamen Mutter, die alle Tage zu dir ſagt: Mein
Kind, fliehe die Sünde! zur Frömmigkeit und Rechtſchaffenheit er¬
zogen — dann wird's dir nicht ſo leicht werden, den Rock völlig zu
wenden, und wenn du auch ſchon lang eingeſehen hätteſt, daß Fröm¬
migkeit und Rechtſchaffenheit in dieſer Welt nur Lug und Trug
ſind. Ihr unterſcheidet ja ſelbſt zwiſchen den Deutſchen und den —
Andern.

Ich bin auch zur Hälfte deutſch, erwiderte ſie. Mein Vater
Schettinger, den die deutſchen Mordhunde vor zwanzig Jahren in
Weingarten umgebracht haben, iſt ſo gut ein Deutſcher geweſen wie
ſie und wie du.

Nun, vielleicht iſt's ihm auch eine Zeit lang nachgegangen, ver¬
ſetzte er.

Du kennſt deine eigenen Landsleute nicht, ſagte ſie. Komm‚ ich
will dir ſie zeigen. Wir haben noch Zeit genug, zu den Andern
zu ſtoßen.

Sie winkte ihm und flog zur Linken den Berg hinunter. Er eilte
ihr nach. Als ſie im raſchen Laufe unten angekommen waren, ſagte
ſie, weiter eilend: Du mußt dir's aber gefallen laſſen, daß ich dich
für meinen Mann ausgebe, ſonſt findeſt du da, wo ich dich hinführe,
keinen Credit.

Das will ich gern annehmen! rief er luſtig, ihr nacheilend. Du
und keine Andre müßteſt mein Weib ſein, wenn ich nicht ſchon eins
hätte. Aber flieg' nicht ſo, damit ich mein Recht auch ausüben kann.

Laß das! ſagte ſie, da er den Arm um ſie zu ſchlingen ſuchte:
dazu iſt jetzt keine Zeit. Den Arm kannſt du mir geben, ſo, damit wir

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[403/0419] Wir haben zwar keinen großen Geſchmack an einander, aber wenn du eine Empfehlung willſt, um das Scheerenſchleifen zu lernen, ſo ſteh' ich zu Dienſten. Es hat wohl eine Zeit gegeben, ſagte er, wo mir dieſes verachtete Handwerk gut genug geweſen wäre; aber jetzt bin ich freilich dazu verdorben. Du haſt keinen Begriff, von was ich mich losreißen muß. Du ſagſt ſelbſt‚ du ſeieſt von Kindesbeinen an hinausgeſtoßen geweſen und habeſt dich gegen die Welt wehren müſſen. Aber denk' dir ein¬ mal, du ſeieſt der Sohn des vermöglichen Sonnenwirths in Ebersbach, der nicht zu rauben braucht, weil er Geld genug hat, und ſeieſt von einer liebevollen, ſorgſamen Mutter, die alle Tage zu dir ſagt: Mein Kind, fliehe die Sünde! zur Frömmigkeit und Rechtſchaffenheit er¬ zogen — dann wird's dir nicht ſo leicht werden, den Rock völlig zu wenden, und wenn du auch ſchon lang eingeſehen hätteſt, daß Fröm¬ migkeit und Rechtſchaffenheit in dieſer Welt nur Lug und Trug ſind. Ihr unterſcheidet ja ſelbſt zwiſchen den Deutſchen und den — Andern. Ich bin auch zur Hälfte deutſch, erwiderte ſie. Mein Vater Schettinger, den die deutſchen Mordhunde vor zwanzig Jahren in Weingarten umgebracht haben, iſt ſo gut ein Deutſcher geweſen wie ſie und wie du. Nun, vielleicht iſt's ihm auch eine Zeit lang nachgegangen, ver¬ ſetzte er. Du kennſt deine eigenen Landsleute nicht, ſagte ſie. Komm‚ ich will dir ſie zeigen. Wir haben noch Zeit genug, zu den Andern zu ſtoßen. Sie winkte ihm und flog zur Linken den Berg hinunter. Er eilte ihr nach. Als ſie im raſchen Laufe unten angekommen waren, ſagte ſie, weiter eilend: Du mußt dir's aber gefallen laſſen, daß ich dich für meinen Mann ausgebe, ſonſt findeſt du da, wo ich dich hinführe, keinen Credit. Das will ich gern annehmen! rief er luſtig, ihr nacheilend. Du und keine Andre müßteſt mein Weib ſein, wenn ich nicht ſchon eins hätte. Aber flieg' nicht ſo, damit ich mein Recht auch ausüben kann. Laß das! ſagte ſie, da er den Arm um ſie zu ſchlingen ſuchte: dazu iſt jetzt keine Zeit. Den Arm kannſt du mir geben, ſo, damit wir 26 *

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/419>, abgerufen am 22.11.2024.