wie ein Ehepaar aussehen. Verheirathete Leute sind bekanntlich nicht so zärtlich mit einander, du scheinst mir das bereits aus eigner Er¬ fahrung zu wissen.
Nachdem sie eine Strecke im Walde zugeschritten, erreichten sie ei¬ nen der vielen dort hin und her zerstreuten Höfe. Derselbe war ihm nicht unbekannt, denn er hatte ihm bei seinem Wilderersberufe mehr als einmal günstige Aufnahme gewährt. Wie erstaunte er aber über die Freudenbezeugungen, mit welchen seine Begleiterin von der ganzen Familie aufgenommen wurde! Wie horchte er hoch auf, als er hier, weit unverblümter, denn in ihrem eigenen Kreise, von dem Gewerbe seiner neuen Freunde reden hörte! Die Leute drückten ihre Freude aus, seine Begleiterin wieder verheirathet zu sehen, und bestürmten sie mit Fragen, ob ihr neuer Mann auch so viel Geschick zeige, als der vorige. Sie prangte mit ihm und seinen Thaten und bezeigte sich so glücklich in seinem Besitz, daß ihm das Herz flammte, während zugleich die letzten Reste bürgerlicher Ehrbarkeit sich in ihm empörten, ohne in dem verwandten bürgerlichen Kreise, der ihn umgab, eine gleichartige Stimme zu finden. Im Gegentheil sah er bald ein, daß er, was er früher nie geahnt, hier erst in die rechte Jaunergegend ge¬ kommen sei, denn die Frau des Hauses zählte ihm geläufig eine Menge berüchtigter Namen her, die zu verschiedenen Zeiten das Jahr über in dieser von vielen Herrschaften und Condominaten zerschnittenen Land¬ schaft ihre Heimath fanden. So lange er ein bloßer Wilddieb ge¬ wesen, hatte er hier kein Vertrauen gefunden; jetzt erst sprach sich der Haß gegen die Obrigkeit und gegen die von Glück und Gunst ge¬ tragene Minderzahl der Mitbürger offen vor ihm aus, und seiner un¬ belehrten Seele drängte sich mehr oder minder klar die Wahrnehmung auf, daß das Volk so weit gekommen sei, den Druck der Herrschaften und der höheren Bürgerklassen durch Raub, Diebstahl und Diebs¬ hehlerei zu bekämpfen! Das angebliche Ehepaar verließ den Hof, un¬ gestüm von den Leuten aufgefordert, ihnen auch wieder einmal für billiges Essen und billige Kleidung zu sorgen.
Nun? fragte sie auf dem Rückwege.
Es ist mir als ob neben der Welt, die ich bisher gekannt habe, noch eine andere Welt her ginge, und als ob diese Welt die wahre wäre, antwortete er.
wie ein Ehepaar ausſehen. Verheirathete Leute ſind bekanntlich nicht ſo zärtlich mit einander, du ſcheinſt mir das bereits aus eigner Er¬ fahrung zu wiſſen.
Nachdem ſie eine Strecke im Walde zugeſchritten, erreichten ſie ei¬ nen der vielen dort hin und her zerſtreuten Höfe. Derſelbe war ihm nicht unbekannt, denn er hatte ihm bei ſeinem Wilderersberufe mehr als einmal günſtige Aufnahme gewährt. Wie erſtaunte er aber über die Freudenbezeugungen, mit welchen ſeine Begleiterin von der ganzen Familie aufgenommen wurde! Wie horchte er hoch auf, als er hier, weit unverblümter, denn in ihrem eigenen Kreiſe, von dem Gewerbe ſeiner neuen Freunde reden hörte! Die Leute drückten ihre Freude aus, ſeine Begleiterin wieder verheirathet zu ſehen, und beſtürmten ſie mit Fragen, ob ihr neuer Mann auch ſo viel Geſchick zeige, als der vorige. Sie prangte mit ihm und ſeinen Thaten und bezeigte ſich ſo glücklich in ſeinem Beſitz, daß ihm das Herz flammte, während zugleich die letzten Reſte bürgerlicher Ehrbarkeit ſich in ihm empörten, ohne in dem verwandten bürgerlichen Kreiſe, der ihn umgab, eine gleichartige Stimme zu finden. Im Gegentheil ſah er bald ein, daß er, was er früher nie geahnt, hier erſt in die rechte Jaunergegend ge¬ kommen ſei, denn die Frau des Hauſes zählte ihm geläufig eine Menge berüchtigter Namen her, die zu verſchiedenen Zeiten das Jahr über in dieſer von vielen Herrſchaften und Condominaten zerſchnittenen Land¬ ſchaft ihre Heimath fanden. So lange er ein bloßer Wilddieb ge¬ weſen, hatte er hier kein Vertrauen gefunden; jetzt erſt ſprach ſich der Haß gegen die Obrigkeit und gegen die von Glück und Gunſt ge¬ tragene Minderzahl der Mitbürger offen vor ihm aus, und ſeiner un¬ belehrten Seele drängte ſich mehr oder minder klar die Wahrnehmung auf, daß das Volk ſo weit gekommen ſei, den Druck der Herrſchaften und der höheren Bürgerklaſſen durch Raub, Diebſtahl und Diebs¬ hehlerei zu bekämpfen! Das angebliche Ehepaar verließ den Hof, un¬ geſtüm von den Leuten aufgefordert, ihnen auch wieder einmal für billiges Eſſen und billige Kleidung zu ſorgen.
Nun? fragte ſie auf dem Rückwege.
Es iſt mir als ob neben der Welt, die ich bisher gekannt habe, noch eine andere Welt her ginge, und als ob dieſe Welt die wahre wäre, antwortete er.
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wie ein Ehepaar ausſehen. Verheirathete Leute ſind bekanntlich nicht
ſo zärtlich mit einander, du ſcheinſt mir das bereits aus eigner Er¬
fahrung zu wiſſen.
Nachdem ſie eine Strecke im Walde zugeſchritten, erreichten ſie ei¬
nen der vielen dort hin und her zerſtreuten Höfe. Derſelbe war ihm
nicht unbekannt, denn er hatte ihm bei ſeinem Wilderersberufe mehr
als einmal günſtige Aufnahme gewährt. Wie erſtaunte er aber über
die Freudenbezeugungen, mit welchen ſeine Begleiterin von der ganzen
Familie aufgenommen wurde! Wie horchte er hoch auf, als er hier,
weit unverblümter, denn in ihrem eigenen Kreiſe, von dem Gewerbe
ſeiner neuen Freunde reden hörte! Die Leute drückten ihre Freude
aus, ſeine Begleiterin wieder verheirathet zu ſehen, und beſtürmten
ſie mit Fragen, ob ihr neuer Mann auch ſo viel Geſchick zeige, als
der vorige. Sie prangte mit ihm und ſeinen Thaten und bezeigte
ſich ſo glücklich in ſeinem Beſitz, daß ihm das Herz flammte, während
zugleich die letzten Reſte bürgerlicher Ehrbarkeit ſich in ihm empörten,
ohne in dem verwandten bürgerlichen Kreiſe, der ihn umgab, eine
gleichartige Stimme zu finden. Im Gegentheil ſah er bald ein, daß
er, was er früher nie geahnt, hier erſt in die rechte Jaunergegend ge¬
kommen ſei, denn die Frau des Hauſes zählte ihm geläufig eine Menge
berüchtigter Namen her, die zu verſchiedenen Zeiten das Jahr über in
dieſer von vielen Herrſchaften und Condominaten zerſchnittenen Land¬
ſchaft ihre Heimath fanden. So lange er ein bloßer Wilddieb ge¬
weſen, hatte er hier kein Vertrauen gefunden; jetzt erſt ſprach ſich der
Haß gegen die Obrigkeit und gegen die von Glück und Gunſt ge¬
tragene Minderzahl der Mitbürger offen vor ihm aus, und ſeiner un¬
belehrten Seele drängte ſich mehr oder minder klar die Wahrnehmung
auf, daß das Volk ſo weit gekommen ſei, den Druck der Herrſchaften
und der höheren Bürgerklaſſen durch Raub, Diebſtahl und Diebs¬
hehlerei zu bekämpfen! Das angebliche Ehepaar verließ den Hof, un¬
geſtüm von den Leuten aufgefordert, ihnen auch wieder einmal für
billiges Eſſen und billige Kleidung zu ſorgen.
Nun? fragte ſie auf dem Rückwege.
Es iſt mir als ob neben der Welt, die ich bisher gekannt habe,
noch eine andere Welt her ginge, und als ob dieſe Welt die wahre
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/420>, abgerufen am 21.11.2024.
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