Du kannst in dem Thal da, erwiderte sie, von Hof zu Hof, von Ort zu Ort hinunter gehen, du triffst vertraute Leute genug, lauter Deutsche, und keine Vagabunden, lauter seßhafte Leute.
Er sprach lange kein Wort. Was er gehört und gesehen, hatte sich ihm offenbar tief eingeprägt, und sie hütete sich wohl, die stille Arbeit dieses Eindrucks zu stören.
Du hast also schon einen Mann gehabt? fragte er nach einem langen Stillschweigen.
Ich hab' ihm den Laufpaß gegeben, antwortete sie, weil's ihm an Kopf und Herz gefehlt hat; nachher hat er sich in ungeschickte Diebe¬ reien eingelassen, die ihn an den Galgen gebracht haben. Wenn mir je wieder einer gefiele, so würd' ich ihn vor einem solchen Schicksal zu bewahren wissen.
Er schwieg. Die Entdeckung, daß sie Wittwe sei, war ihm nicht sehr nach seinem Sinn, und doch mußte er sich gestehen, daß dieses Weib durch Schönheit und Geisteskraft einen mächtigen Zauber auf ihn auszuüben beginne.
So, jetzt bist du aus dem Ehejoch entlassen! sagte sie, als sie den Fuß des Berges wieder erreicht hatten, und flog lachend hinan, da sie sah, daß er sich Mühe gab sie einzuholen.
Mir ist's nicht so eilig mit der Scheidung! rief er hinter ihr drein und gab sich alle Mühe an ihre Seite zu kommen, aber sie war im¬ mer einige Schritte voraus.
Und mir pressirt's nicht mit dem Heirathen! rief sie, als sie die Höhe erreicht hatte, lustig gegen ihn hinab, und ihre Stimme spielte dabei so leicht und ruhig, als ob die Anstrengung ihren Athem gar nicht bewegt hätte; aber ein sprühender Blick aus ihren schwarzbraunen Augen strafte ihre Worte Lügen.
Mit einem heftigen Ansatz hatte er die letzte Höhe vollends er¬ stiegen und wurde dort von einem derben Gelächter männlicher Stim¬ men empfangen. Bettelmelcher und Schwamenjackel lagen auf dem Boden und erwachten so eben aus einem Schlafe, den sie sich zur Erholung von der überstandenen Nachtwache gegönnt hatten.
Es scheint, Freund Schwan hat eine neue Hochzeitreise gemacht! rief Bettelmelcher.
Du kannſt in dem Thal da, erwiderte ſie, von Hof zu Hof, von Ort zu Ort hinunter gehen, du triffſt vertraute Leute genug, lauter Deutſche, und keine Vagabunden, lauter ſeßhafte Leute.
Er ſprach lange kein Wort. Was er gehört und geſehen, hatte ſich ihm offenbar tief eingeprägt, und ſie hütete ſich wohl, die ſtille Arbeit dieſes Eindrucks zu ſtören.
Du haſt alſo ſchon einen Mann gehabt? fragte er nach einem langen Stillſchweigen.
Ich hab' ihm den Laufpaß gegeben, antwortete ſie, weil's ihm an Kopf und Herz gefehlt hat; nachher hat er ſich in ungeſchickte Diebe¬ reien eingelaſſen, die ihn an den Galgen gebracht haben. Wenn mir je wieder einer gefiele, ſo würd' ich ihn vor einem ſolchen Schickſal zu bewahren wiſſen.
Er ſchwieg. Die Entdeckung, daß ſie Wittwe ſei, war ihm nicht ſehr nach ſeinem Sinn, und doch mußte er ſich geſtehen, daß dieſes Weib durch Schönheit und Geiſteskraft einen mächtigen Zauber auf ihn auszuüben beginne.
So, jetzt biſt du aus dem Ehejoch entlaſſen! ſagte ſie, als ſie den Fuß des Berges wieder erreicht hatten, und flog lachend hinan, da ſie ſah, daß er ſich Mühe gab ſie einzuholen.
Mir iſt's nicht ſo eilig mit der Scheidung! rief er hinter ihr drein und gab ſich alle Mühe an ihre Seite zu kommen, aber ſie war im¬ mer einige Schritte voraus.
Und mir preſſirt's nicht mit dem Heirathen! rief ſie, als ſie die Höhe erreicht hatte, luſtig gegen ihn hinab, und ihre Stimme ſpielte dabei ſo leicht und ruhig, als ob die Anſtrengung ihren Athem gar nicht bewegt hätte; aber ein ſprühender Blick aus ihren ſchwarzbraunen Augen ſtrafte ihre Worte Lügen.
Mit einem heftigen Anſatz hatte er die letzte Höhe vollends er¬ ſtiegen und wurde dort von einem derben Gelächter männlicher Stim¬ men empfangen. Bettelmelcher und Schwamenjackel lagen auf dem Boden und erwachten ſo eben aus einem Schlafe, den ſie ſich zur Erholung von der überſtandenen Nachtwache gegönnt hatten.
Es ſcheint, Freund Schwan hat eine neue Hochzeitreiſe gemacht! rief Bettelmelcher.
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Du kannſt in dem Thal da, erwiderte ſie, von Hof zu Hof, von
Ort zu Ort hinunter gehen, du triffſt vertraute Leute genug, lauter
Deutſche, und keine Vagabunden, lauter ſeßhafte Leute.
Er ſprach lange kein Wort. Was er gehört und geſehen, hatte
ſich ihm offenbar tief eingeprägt, und ſie hütete ſich wohl, die ſtille
Arbeit dieſes Eindrucks zu ſtören.
Du haſt alſo ſchon einen Mann gehabt? fragte er nach einem
langen Stillſchweigen.
Ich hab' ihm den Laufpaß gegeben, antwortete ſie, weil's ihm an
Kopf und Herz gefehlt hat; nachher hat er ſich in ungeſchickte Diebe¬
reien eingelaſſen, die ihn an den Galgen gebracht haben. Wenn mir
je wieder einer gefiele, ſo würd' ich ihn vor einem ſolchen Schickſal zu
bewahren wiſſen.
Er ſchwieg. Die Entdeckung, daß ſie Wittwe ſei, war ihm nicht
ſehr nach ſeinem Sinn, und doch mußte er ſich geſtehen, daß dieſes
Weib durch Schönheit und Geiſteskraft einen mächtigen Zauber auf
ihn auszuüben beginne.
So, jetzt biſt du aus dem Ehejoch entlaſſen! ſagte ſie, als ſie den
Fuß des Berges wieder erreicht hatten, und flog lachend hinan, da ſie
ſah, daß er ſich Mühe gab ſie einzuholen.
Mir iſt's nicht ſo eilig mit der Scheidung! rief er hinter ihr drein
und gab ſich alle Mühe an ihre Seite zu kommen, aber ſie war im¬
mer einige Schritte voraus.
Und mir preſſirt's nicht mit dem Heirathen! rief ſie, als ſie die
Höhe erreicht hatte, luſtig gegen ihn hinab, und ihre Stimme ſpielte
dabei ſo leicht und ruhig, als ob die Anſtrengung ihren Athem gar
nicht bewegt hätte; aber ein ſprühender Blick aus ihren ſchwarzbraunen
Augen ſtrafte ihre Worte Lügen.
Mit einem heftigen Anſatz hatte er die letzte Höhe vollends er¬
ſtiegen und wurde dort von einem derben Gelächter männlicher Stim¬
men empfangen. Bettelmelcher und Schwamenjackel lagen auf dem
Boden und erwachten ſo eben aus einem Schlafe, den ſie ſich zur
Erholung von der überſtandenen Nachtwache gegönnt hatten.
Es ſcheint, Freund Schwan hat eine neue Hochzeitreiſe gemacht!
rief Bettelmelcher.
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/421>, abgerufen am 21.11.2024.
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