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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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Erscheinung ihn hiebei auf's Beste unterstützte, gestand ihm nicht bloß
der Spiegel, sondern sogar ein gedruckter Steckbrief, den zwei Schult¬
heißen einst in der Schenke miteinander lasen, während er selbst ihnen,
an ihrem Gespräche über den Sonnenwirthle theilnehmend, gemüthlich
über die Schulter in das Papier blickte: "Und ist vorgemeldter Erz-
Gauner," hieß es darin, "fünf Fuß, sieben Zoll groß, gedrungener
Gestalt, hat gelbliches Haar, dicken Kopf, feines weißes Gesicht, dicke,
runde Backen, volle Waden." Im Bewußtsein dieses ehrbaren Aus¬
sehens wagte er einst einem pfälzischen Schultheißen und zwei Jägern,
die ihn im Spiel betrogen und ihm seine Pistolen nehmen wollten,
mit gerichtlicher Klage zu drohen und dem Schultheißen, als er sich
hiedurch nicht schrecken ließ, den Hund, den dieser an ihn hetzte,
niederzuschießen. Aber nicht immer liefen die Abenteuer so lustig ab.
Oft versiegten alle Erwerbsquellen, oder er wurde von Diebshehlern,
welchen er auf seinen Irrfahrten um die gefangene Christine seine
Kramkiste anvertrauen mußte, um den Inhalt derselben bestohlen.
In solchen Zeiten mußte er Hunger und Kummer leiden und, wie
Jeder, der sich dem Teufel ergibt, die Erfahrung machen, daß dieser
ein Filz ist, und daß man mit der Ehrlichkeit auch im schlimmsten Fall
so weit kommt als mit dem Gegentheil. Dann griff er zu gefähr¬
licheren Unternehmungen: er ließ sich von den Judenbanden im Gebiete
des deutschen Ordens anwerben oder sammelte vorüberziehende Genossen
zu Einbrüchen unter seiner eigenen Hauptmannschaft, welche aber nie
länger dauerte als das einzelne Unternehmen selbst. Auf der Straße
hat er nie geraubt. Sein Geschichtschreiber sagt, er habe sich gegen
das Ende seiner Laufbahn Grausamkeiten aus Raubsucht erlaubt; doch
habe er auch in seinen schwersten Verbrechen Spuren übriggebliebener
Menschlichkeit, Mitleiden gegen Arme und Unterdrückte gezeigt, den
Grundsatz, nie einen Dürftigen zu berauben, durchgeführt, sehr große
Almosen gegeben, und den Armen geschenkt, was er den Reichen ge¬
stohlen habe. Von wirklichen Grausamkeiten findet sich aber nichts in
den Acten, die sehr genau in seine Verbrechen eingehen. Wohl sind
Grausamkeiten von den Genossen seiner Thaten angeführt, nicht aber
von ihm. Auch verdient hervorgehoben zu werden, daß Einbrüche,
die seine Genossen ohne ihn unternahmen, mehrmals von scheußlichen
Mordthaten begleitet waren, wogegen bei Ueberfällen, die er leitete

Erſcheinung ihn hiebei auf's Beſte unterſtützte, geſtand ihm nicht bloß
der Spiegel, ſondern ſogar ein gedruckter Steckbrief, den zwei Schult¬
heißen einſt in der Schenke miteinander laſen, während er ſelbſt ihnen,
an ihrem Geſpräche über den Sonnenwirthle theilnehmend, gemüthlich
über die Schulter in das Papier blickte: „Und iſt vorgemeldter Erz-
Gauner,“ hieß es darin, „fünf Fuß, ſieben Zoll groß, gedrungener
Geſtalt, hat gelbliches Haar, dicken Kopf, feines weißes Geſicht, dicke,
runde Backen, volle Waden.“ Im Bewußtſein dieſes ehrbaren Aus¬
ſehens wagte er einſt einem pfälziſchen Schultheißen und zwei Jägern,
die ihn im Spiel betrogen und ihm ſeine Piſtolen nehmen wollten,
mit gerichtlicher Klage zu drohen und dem Schultheißen, als er ſich
hiedurch nicht ſchrecken ließ, den Hund, den dieſer an ihn hetzte,
niederzuſchießen. Aber nicht immer liefen die Abenteuer ſo luſtig ab.
Oft verſiegten alle Erwerbsquellen, oder er wurde von Diebshehlern,
welchen er auf ſeinen Irrfahrten um die gefangene Chriſtine ſeine
Kramkiſte anvertrauen mußte, um den Inhalt derſelben beſtohlen.
In ſolchen Zeiten mußte er Hunger und Kummer leiden und, wie
Jeder, der ſich dem Teufel ergibt, die Erfahrung machen, daß dieſer
ein Filz iſt, und daß man mit der Ehrlichkeit auch im ſchlimmſten Fall
ſo weit kommt als mit dem Gegentheil. Dann griff er zu gefähr¬
licheren Unternehmungen: er ließ ſich von den Judenbanden im Gebiete
des deutſchen Ordens anwerben oder ſammelte vorüberziehende Genoſſen
zu Einbrüchen unter ſeiner eigenen Hauptmannſchaft, welche aber nie
länger dauerte als das einzelne Unternehmen ſelbſt. Auf der Straße
hat er nie geraubt. Sein Geſchichtſchreiber ſagt, er habe ſich gegen
das Ende ſeiner Laufbahn Grauſamkeiten aus Raubſucht erlaubt; doch
habe er auch in ſeinen ſchwerſten Verbrechen Spuren übriggebliebener
Menſchlichkeit, Mitleiden gegen Arme und Unterdrückte gezeigt, den
Grundſatz, nie einen Dürftigen zu berauben, durchgeführt, ſehr große
Almoſen gegeben, und den Armen geſchenkt, was er den Reichen ge¬
ſtohlen habe. Von wirklichen Grauſamkeiten findet ſich aber nichts in
den Acten, die ſehr genau in ſeine Verbrechen eingehen. Wohl ſind
Grauſamkeiten von den Genoſſen ſeiner Thaten angeführt, nicht aber
von ihm. Auch verdient hervorgehoben zu werden, daß Einbrüche,
die ſeine Genoſſen ohne ihn unternahmen, mehrmals von ſcheußlichen
Mordthaten begleitet waren, wogegen bei Ueberfällen, die er leitete

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[447/0463] Erſcheinung ihn hiebei auf's Beſte unterſtützte, geſtand ihm nicht bloß der Spiegel, ſondern ſogar ein gedruckter Steckbrief, den zwei Schult¬ heißen einſt in der Schenke miteinander laſen, während er ſelbſt ihnen, an ihrem Geſpräche über den Sonnenwirthle theilnehmend, gemüthlich über die Schulter in das Papier blickte: „Und iſt vorgemeldter Erz- Gauner,“ hieß es darin, „fünf Fuß, ſieben Zoll groß, gedrungener Geſtalt, hat gelbliches Haar, dicken Kopf, feines weißes Geſicht, dicke, runde Backen, volle Waden.“ Im Bewußtſein dieſes ehrbaren Aus¬ ſehens wagte er einſt einem pfälziſchen Schultheißen und zwei Jägern, die ihn im Spiel betrogen und ihm ſeine Piſtolen nehmen wollten, mit gerichtlicher Klage zu drohen und dem Schultheißen, als er ſich hiedurch nicht ſchrecken ließ, den Hund, den dieſer an ihn hetzte, niederzuſchießen. Aber nicht immer liefen die Abenteuer ſo luſtig ab. Oft verſiegten alle Erwerbsquellen, oder er wurde von Diebshehlern, welchen er auf ſeinen Irrfahrten um die gefangene Chriſtine ſeine Kramkiſte anvertrauen mußte, um den Inhalt derſelben beſtohlen. In ſolchen Zeiten mußte er Hunger und Kummer leiden und, wie Jeder, der ſich dem Teufel ergibt, die Erfahrung machen, daß dieſer ein Filz iſt, und daß man mit der Ehrlichkeit auch im ſchlimmſten Fall ſo weit kommt als mit dem Gegentheil. Dann griff er zu gefähr¬ licheren Unternehmungen: er ließ ſich von den Judenbanden im Gebiete des deutſchen Ordens anwerben oder ſammelte vorüberziehende Genoſſen zu Einbrüchen unter ſeiner eigenen Hauptmannſchaft, welche aber nie länger dauerte als das einzelne Unternehmen ſelbſt. Auf der Straße hat er nie geraubt. Sein Geſchichtſchreiber ſagt, er habe ſich gegen das Ende ſeiner Laufbahn Grauſamkeiten aus Raubſucht erlaubt; doch habe er auch in ſeinen ſchwerſten Verbrechen Spuren übriggebliebener Menſchlichkeit, Mitleiden gegen Arme und Unterdrückte gezeigt, den Grundſatz, nie einen Dürftigen zu berauben, durchgeführt, ſehr große Almoſen gegeben, und den Armen geſchenkt, was er den Reichen ge¬ ſtohlen habe. Von wirklichen Grauſamkeiten findet ſich aber nichts in den Acten, die ſehr genau in ſeine Verbrechen eingehen. Wohl ſind Grauſamkeiten von den Genoſſen ſeiner Thaten angeführt, nicht aber von ihm. Auch verdient hervorgehoben zu werden, daß Einbrüche, die ſeine Genoſſen ohne ihn unternahmen, mehrmals von ſcheußlichen Mordthaten begleitet waren, wogegen bei Ueberfällen, die er leitete

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/463>, abgerufen am 22.11.2024.