drangen die beiden Männer wieder in die Stube und auf sie ein. Schwan machte sich von ihnen los und stürzte hinaus, sah aber die Treppe mit Bewaffneten besetzt, unter welchen er den Rathsschreiber des Orts mit angelegtem Gewehr erblickte. Die Noth gab ihm Kraft, eine Thüre auf dem Gange einzudrücken und sich in eine andere Stube zu werfen, die aber keinen Ausweg hatte. Einer seiner Verfolger kam herein und faßte ihn an den Haaren. Er drohte ihn niederzuschießen, wenn er nicht gehe, und da Jener nicht abließ, so zog er die im Rockfutter versteckte Pistole, die er stets vermittelst einer Schnur am Arme hängen hatte, und jagte dem Angreifer die tödtliche Kugel in die Seite. Hierauf griff er nach der andern Pistole und erschien an der Treppe mit dem Ruf, wer ihn anrühre, den schieße er über den Haufen. Der Schuß und die drohende Haltung des kühnen Räubers schüchterten die Bürgerwachen völlig ein. Sie drückten sich an die Wand und an das Treppengeländer, so daß er mitten durch sie hinunter kam. Erst als er aus dem Hause hinausstürzte, sendeten sie ihm einige verlorene Schüsse nach. Er war frei, aber Christine blieb mit der reichgefüllten Kramkiste und mit Knecht und Magd in den Händen der Gerichte zurück, und diesmal war sie unter Umständen gefangen worden, die ihn nicht zweifeln ließen, daß sie einer schwereren Haft als gewöhnlich entgegengehe. Auch sah er sie nicht eher wieder als in der Vaihinger Gefangenschaft, die er schon ein halbes Jahr nach dieser Verhaftung seiner Gefährtin betrat.
Arm an Hoffnung und bald auch an Baarschaft schleppte er sich den Winter über hin und wagte während dieser Zeit nur einige wenige Unternehmungen, die ihm mehr Gefahr als Beute brachten. Er war überall und nirgends, aber von seinen hastigen Streifzügen kehrte er immer wieder nach einem vertrauten Hofe in der Nähe des Amts¬ fleckens zurück, wohin Christine abgeliefert worden war. Auf und bei diesem Hofe, der zugleich ein Vergnügungsort für die Honoratioren der Umgegend war, hielt er sich Wochen lang auf und erlauschte eines Tages von der Küche aus die Kunde, die der Amtsschreiber den an¬ dern Gästen im Wirthszimmer mittheilte, der Knecht und die Magd werden bald loskommen, das Weib aber scheine ein tüchtiger Fang zu sein; neulich sei ihr das Spiel von den Fleischmännern garstig ver¬ salzen worden, sie habe ausbrechen wollen und dann dem Amtmann
drangen die beiden Männer wieder in die Stube und auf ſie ein. Schwan machte ſich von ihnen los und ſtürzte hinaus, ſah aber die Treppe mit Bewaffneten beſetzt, unter welchen er den Rathsſchreiber des Orts mit angelegtem Gewehr erblickte. Die Noth gab ihm Kraft, eine Thüre auf dem Gange einzudrücken und ſich in eine andere Stube zu werfen, die aber keinen Ausweg hatte. Einer ſeiner Verfolger kam herein und faßte ihn an den Haaren. Er drohte ihn niederzuſchießen, wenn er nicht gehe, und da Jener nicht abließ, ſo zog er die im Rockfutter verſteckte Piſtole, die er ſtets vermittelſt einer Schnur am Arme hängen hatte, und jagte dem Angreifer die tödtliche Kugel in die Seite. Hierauf griff er nach der andern Piſtole und erſchien an der Treppe mit dem Ruf, wer ihn anrühre, den ſchieße er über den Haufen. Der Schuß und die drohende Haltung des kühnen Räubers ſchüchterten die Bürgerwachen völlig ein. Sie drückten ſich an die Wand und an das Treppengeländer, ſo daß er mitten durch ſie hinunter kam. Erſt als er aus dem Hauſe hinausſtürzte, ſendeten ſie ihm einige verlorene Schüſſe nach. Er war frei, aber Chriſtine blieb mit der reichgefüllten Kramkiſte und mit Knecht und Magd in den Händen der Gerichte zurück, und diesmal war ſie unter Umſtänden gefangen worden, die ihn nicht zweifeln ließen, daß ſie einer ſchwereren Haft als gewöhnlich entgegengehe. Auch ſah er ſie nicht eher wieder als in der Vaihinger Gefangenſchaft, die er ſchon ein halbes Jahr nach dieſer Verhaftung ſeiner Gefährtin betrat.
Arm an Hoffnung und bald auch an Baarſchaft ſchleppte er ſich den Winter über hin und wagte während dieſer Zeit nur einige wenige Unternehmungen, die ihm mehr Gefahr als Beute brachten. Er war überall und nirgends, aber von ſeinen haſtigen Streifzügen kehrte er immer wieder nach einem vertrauten Hofe in der Nähe des Amts¬ fleckens zurück, wohin Chriſtine abgeliefert worden war. Auf und bei dieſem Hofe, der zugleich ein Vergnügungsort für die Honoratioren der Umgegend war, hielt er ſich Wochen lang auf und erlauſchte eines Tages von der Küche aus die Kunde, die der Amtsſchreiber den an¬ dern Gäſten im Wirthszimmer mittheilte, der Knecht und die Magd werden bald loskommen, das Weib aber ſcheine ein tüchtiger Fang zu ſein; neulich ſei ihr das Spiel von den Fleiſchmännern garſtig ver¬ ſalzen worden, ſie habe ausbrechen wollen und dann dem Amtmann
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drangen die beiden Männer wieder in die Stube und auf ſie
ein. Schwan machte ſich von ihnen los und ſtürzte hinaus, ſah
aber die Treppe mit Bewaffneten beſetzt, unter welchen er den
Rathsſchreiber des Orts mit angelegtem Gewehr erblickte. Die Noth
gab ihm Kraft, eine Thüre auf dem Gange einzudrücken und ſich in
eine andere Stube zu werfen, die aber keinen Ausweg hatte. Einer ſeiner
Verfolger kam herein und faßte ihn an den Haaren. Er drohte ihn
niederzuſchießen, wenn er nicht gehe, und da Jener nicht abließ, ſo zog
er die im Rockfutter verſteckte Piſtole, die er ſtets vermittelſt einer
Schnur am Arme hängen hatte, und jagte dem Angreifer die tödtliche
Kugel in die Seite. Hierauf griff er nach der andern Piſtole und
erſchien an der Treppe mit dem Ruf, wer ihn anrühre, den ſchieße
er über den Haufen. Der Schuß und die drohende Haltung des
kühnen Räubers ſchüchterten die Bürgerwachen völlig ein. Sie drückten
ſich an die Wand und an das Treppengeländer, ſo daß er mitten durch
ſie hinunter kam. Erſt als er aus dem Hauſe hinausſtürzte, ſendeten ſie ihm
einige verlorene Schüſſe nach. Er war frei, aber Chriſtine blieb mit
der reichgefüllten Kramkiſte und mit Knecht und Magd in den Händen
der Gerichte zurück, und diesmal war ſie unter Umſtänden gefangen
worden, die ihn nicht zweifeln ließen, daß ſie einer ſchwereren Haft als
gewöhnlich entgegengehe. Auch ſah er ſie nicht eher wieder als in der
Vaihinger Gefangenſchaft, die er ſchon ein halbes Jahr nach dieſer
Verhaftung ſeiner Gefährtin betrat.
Arm an Hoffnung und bald auch an Baarſchaft ſchleppte er ſich
den Winter über hin und wagte während dieſer Zeit nur einige wenige
Unternehmungen, die ihm mehr Gefahr als Beute brachten. Er war
überall und nirgends, aber von ſeinen haſtigen Streifzügen kehrte er
immer wieder nach einem vertrauten Hofe in der Nähe des Amts¬
fleckens zurück, wohin Chriſtine abgeliefert worden war. Auf und bei
dieſem Hofe, der zugleich ein Vergnügungsort für die Honoratioren
der Umgegend war, hielt er ſich Wochen lang auf und erlauſchte eines
Tages von der Küche aus die Kunde, die der Amtsſchreiber den an¬
dern Gäſten im Wirthszimmer mittheilte, der Knecht und die Magd
werden bald loskommen, das Weib aber ſcheine ein tüchtiger Fang zu
ſein; neulich ſei ihr das Spiel von den Fleiſchmännern garſtig ver¬
ſalzen worden, ſie habe ausbrechen wollen und dann dem Amtmann
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/466>, abgerufen am 22.11.2024.
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