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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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würde des Bekehrten, den wir hier durch seine letzten Stunden be¬
gleiten, keinen Eintrag thun, wenn wir aus den Worten, die seinen
Beichtvater beseligten, doch auch den menschlichen Seufzer heraushören,
daß die scheußliche, auch ein frommes Herz mit den Krallen der Ver¬
zweiflung und der Hölle zerfleischende Marter, die in den ersten Früh¬
stunden beginnen sollte, um die Zeit, wo glücklichere Menschen ihrem
Schöpfer danken und seine Gaben genießen, doch hoffentlich überstanden
sein werde.

Man fühlt sich unwillkürlich von seinem verwahrlosten, aber
darum nicht minder lebendig grübelnden Verstande die Frage vorgelegt,
warum denn die Menschen einem Mitmenschen, der eine solche Höhe
geistlicher Vollkommenheit erreicht hat, daß sein Beichtvater darüber
ein frommes Entzücken fühlt, in sein Leben einbrechen? eben jetzt da
er reif wäre, der so bedürftigen Menschenwelt die schönsten Früchte
zu bringen? Und wenn man aus dem Munde dieses Beichtvaters
antwortet, es stehe im Evangelium, daß wer das Schwert ziehe, durch
das Schwert umkommen müsse, so hört man ihn im Triumphe seiner
Bibelfestigkeit entgegenhalten, das Evangelium spreche dies nicht als
Vorschrift aus, sondern habe nur die jähzornigen Gemüther jener
Zeit warnend darauf aufmerksam machen wollen, daß dies die bestehende
jüdische Rechts- und Kirchenordnung sei. Oder wenn der Geistliche
erwiderte, es geschehe, damit der bereuende Sünder in diesem Leben
nicht mehr rückfällig werde, sondern drüben gleich zu noch höherer
Vollkommenheit fortschreiten könne, so muß es dem grübelnden Verstande,
den wir kennen und den das Evangelium nicht einschläfern konnte,
weil es vielmehr die Geister weckt, schwer geworden sein, die Fol¬
gerung zu unterdrücken, daß man aus dem gleichen Grunde jeden
Gerechten zeitig vom Leben zum Tode bringen müsse, damit er nicht,
als ein Mensch, aus dem Stande der Gerechtigkeit falle. Da jedoch
über Aeußerungen oder Gespräche dieser Art sich nichts angemerkt findet,
so kann man auch schließen, er habe das Abscheiden aus einem solchen
Leben und einer solchen Zeit, nicht bloß im geistlichen, sondern selbst im
weltlichen Sinne des Wortes, für einen so großen Gewinn gehalten,
daß er über den weltlichen Preis desselben kein Wort verloren habe.

"Den Nachmittag," erzählt sein Geschichtschreiber nach dem Auf¬
tritte zwischen ihm und dem Geistlichen weiter, "verlor sich zwar diese

würde des Bekehrten, den wir hier durch ſeine letzten Stunden be¬
gleiten, keinen Eintrag thun, wenn wir aus den Worten, die ſeinen
Beichtvater beſeligten, doch auch den menſchlichen Seufzer heraushören,
daß die ſcheußliche, auch ein frommes Herz mit den Krallen der Ver¬
zweiflung und der Hölle zerfleiſchende Marter, die in den erſten Früh¬
ſtunden beginnen ſollte, um die Zeit, wo glücklichere Menſchen ihrem
Schöpfer danken und ſeine Gaben genießen, doch hoffentlich überſtanden
ſein werde.

Man fühlt ſich unwillkürlich von ſeinem verwahrlosten, aber
darum nicht minder lebendig grübelnden Verſtande die Frage vorgelegt,
warum denn die Menſchen einem Mitmenſchen, der eine ſolche Höhe
geiſtlicher Vollkommenheit erreicht hat, daß ſein Beichtvater darüber
ein frommes Entzücken fühlt, in ſein Leben einbrechen? eben jetzt da
er reif wäre, der ſo bedürftigen Menſchenwelt die ſchönſten Früchte
zu bringen? Und wenn man aus dem Munde dieſes Beichtvaters
antwortet, es ſtehe im Evangelium, daß wer das Schwert ziehe, durch
das Schwert umkommen müſſe, ſo hört man ihn im Triumphe ſeiner
Bibelfeſtigkeit entgegenhalten, das Evangelium ſpreche dies nicht als
Vorſchrift aus, ſondern habe nur die jähzornigen Gemüther jener
Zeit warnend darauf aufmerkſam machen wollen, daß dies die beſtehende
jüdiſche Rechts- und Kirchenordnung ſei. Oder wenn der Geiſtliche
erwiderte, es geſchehe, damit der bereuende Sünder in dieſem Leben
nicht mehr rückfällig werde, ſondern drüben gleich zu noch höherer
Vollkommenheit fortſchreiten könne, ſo muß es dem grübelnden Verſtande,
den wir kennen und den das Evangelium nicht einſchläfern konnte,
weil es vielmehr die Geiſter weckt, ſchwer geworden ſein, die Fol¬
gerung zu unterdrücken, daß man aus dem gleichen Grunde jeden
Gerechten zeitig vom Leben zum Tode bringen müſſe, damit er nicht,
als ein Menſch, aus dem Stande der Gerechtigkeit falle. Da jedoch
über Aeußerungen oder Geſpräche dieſer Art ſich nichts angemerkt findet,
ſo kann man auch ſchließen, er habe das Abſcheiden aus einem ſolchen
Leben und einer ſolchen Zeit, nicht bloß im geiſtlichen, ſondern ſelbſt im
weltlichen Sinne des Wortes, für einen ſo großen Gewinn gehalten,
daß er über den weltlichen Preis deſſelben kein Wort verloren habe.

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[496/0512] würde des Bekehrten, den wir hier durch ſeine letzten Stunden be¬ gleiten, keinen Eintrag thun, wenn wir aus den Worten, die ſeinen Beichtvater beſeligten, doch auch den menſchlichen Seufzer heraushören, daß die ſcheußliche, auch ein frommes Herz mit den Krallen der Ver¬ zweiflung und der Hölle zerfleiſchende Marter, die in den erſten Früh¬ ſtunden beginnen ſollte, um die Zeit, wo glücklichere Menſchen ihrem Schöpfer danken und ſeine Gaben genießen, doch hoffentlich überſtanden ſein werde. Man fühlt ſich unwillkürlich von ſeinem verwahrlosten, aber darum nicht minder lebendig grübelnden Verſtande die Frage vorgelegt, warum denn die Menſchen einem Mitmenſchen, der eine ſolche Höhe geiſtlicher Vollkommenheit erreicht hat, daß ſein Beichtvater darüber ein frommes Entzücken fühlt, in ſein Leben einbrechen? eben jetzt da er reif wäre, der ſo bedürftigen Menſchenwelt die ſchönſten Früchte zu bringen? Und wenn man aus dem Munde dieſes Beichtvaters antwortet, es ſtehe im Evangelium, daß wer das Schwert ziehe, durch das Schwert umkommen müſſe, ſo hört man ihn im Triumphe ſeiner Bibelfeſtigkeit entgegenhalten, das Evangelium ſpreche dies nicht als Vorſchrift aus, ſondern habe nur die jähzornigen Gemüther jener Zeit warnend darauf aufmerkſam machen wollen, daß dies die beſtehende jüdiſche Rechts- und Kirchenordnung ſei. Oder wenn der Geiſtliche erwiderte, es geſchehe, damit der bereuende Sünder in dieſem Leben nicht mehr rückfällig werde, ſondern drüben gleich zu noch höherer Vollkommenheit fortſchreiten könne, ſo muß es dem grübelnden Verſtande, den wir kennen und den das Evangelium nicht einſchläfern konnte, weil es vielmehr die Geiſter weckt, ſchwer geworden ſein, die Fol¬ gerung zu unterdrücken, daß man aus dem gleichen Grunde jeden Gerechten zeitig vom Leben zum Tode bringen müſſe, damit er nicht, als ein Menſch, aus dem Stande der Gerechtigkeit falle. Da jedoch über Aeußerungen oder Geſpräche dieſer Art ſich nichts angemerkt findet, ſo kann man auch ſchließen, er habe das Abſcheiden aus einem ſolchen Leben und einer ſolchen Zeit, nicht bloß im geiſtlichen, ſondern ſelbſt im weltlichen Sinne des Wortes, für einen ſo großen Gewinn gehalten, daß er über den weltlichen Preis deſſelben kein Wort verloren habe. „Den Nachmittag,“ erzählt ſein Geſchichtſchreiber nach dem Auf¬ tritte zwiſchen ihm und dem Geiſtlichen weiter, „verlor ſich zwar dieſe

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 496. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/512>, abgerufen am 24.11.2024.