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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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ich dir denn außer Kleinigkeiten zu verzeihen? Die sind alle längst
vergeben.

Kannst noch etwas von der Welt hö n?

Von unsern Kindern?

Ja. Die beiden Jüngsten nimmt die Magdalene, die deinem
Vater Haus gehalten hat, in ihren neuen Ehstand mit. Sie heirathet
den Müller, weißst, den Georg. Sie haben ja Beide früher ein Aug'
auf einander gehabt, aber es hat nicht sein mögen, und Keinem von
Beiden ist's gut gangen in der Eh'. Jetzt sind sie Beide frei. Den
Friederle haben sie auch nehmen wollen, aber dein Vater gibt ihn
nicht her. Er sagt, er sei so einsam in seinem Alter, und es sei so
ein aufgeweckter Bub'.
Und du?

Wenn ich's überleb', so soll ich deinem Vater Haus halten, und
wenn's der alt' Mann nimmer so lang macht, so will mich die Mag¬
dalene auch zu sich nehmen.

Nun sterb' ich gern! rief er, nun weiß ich doch dich und die
Kinder versorgt. Sag' meinem Vater oder thu' ihm's zu wissen, ich
lass' ihn viel tausendmal grüßen und um Gotteswillen bitten, er solle
dem Buben doch streng sein. Auch den Georg und die Magdalene
lass' ich grüßen, aber sie sollen darüber wachen, daß der Großvater
nicht zu viel in den Buben hineinsieht. Siehst du die vielen Ebers¬
bacher, Christine? unterbrach er sich. Sie sind heut herbeigeströmt,
wie damals zu unserer Proclamation.

Und auch ich, auch ich soll zusehen! rief sie. Sie schlug die freige¬
lassenen Hände vor das Gesicht und begann krampfhaft zu schluchzen.

Brich mir das Herz nicht vor der Zeit! gebot er ihr. Sei stark,
Christine, und denke daran, daß die Trübsal zeitlich und die Freude
ewig ist.

Sie nahm die Hände von dem Gesicht und machte eine Bewegung,
ihm um den Hals zu fallen. Die Stadtknechte traten dazwischen.

Friedrich suchte das Auge des Oberamtmanns, der sich an dem
Zeuge seines Pferdes zu schaffen machte, um die flüchtige Zeitspanne
dieser letzten Unterredung zu verlängern. Der Oberamtmann verstand
den Blick: Gebt einander die Hände, sagte er, und wendete die Augen,
in welchen verrätherische Thränen blinkten, nach einer andern Seite.

ich dir denn außer Kleinigkeiten zu verzeihen? Die ſind alle längſt
vergeben.

Kannſt noch etwas von der Welt hö n?

Von unſern Kindern?

Ja. Die beiden Jüngſten nimmt die Magdalene, die deinem
Vater Haus gehalten hat, in ihren neuen Ehſtand mit. Sie heirathet
den Müller, weißſt, den Georg. Sie haben ja Beide früher ein Aug'
auf einander gehabt, aber es hat nicht ſein mögen, und Keinem von
Beiden iſt's gut gangen in der Eh'. Jetzt ſind ſie Beide frei. Den
Friederle haben ſie auch nehmen wollen, aber dein Vater gibt ihn
nicht her. Er ſagt, er ſei ſo einſam in ſeinem Alter, und es ſei ſo
ein aufgeweckter Bub'.
Und du?

Wenn ich's überleb', ſo ſoll ich deinem Vater Haus halten, und
wenn's der alt' Mann nimmer ſo lang macht, ſo will mich die Mag¬
dalene auch zu ſich nehmen.

Nun ſterb' ich gern! rief er, nun weiß ich doch dich und die
Kinder verſorgt. Sag' meinem Vater oder thu' ihm's zu wiſſen, ich
laſſ' ihn viel tauſendmal grüßen und um Gotteswillen bitten, er ſolle
dem Buben doch ſtreng ſein. Auch den Georg und die Magdalene
laſſ' ich grüßen, aber ſie ſollen darüber wachen, daß der Großvater
nicht zu viel in den Buben hineinſieht. Siehſt du die vielen Ebers¬
bacher, Chriſtine? unterbrach er ſich. Sie ſind heut herbeigeſtrömt,
wie damals zu unſerer Proclamation.

Und auch ich, auch ich ſoll zuſehen! rief ſie. Sie ſchlug die freige¬
laſſenen Hände vor das Geſicht und begann krampfhaft zu ſchluchzen.

Brich mir das Herz nicht vor der Zeit! gebot er ihr. Sei ſtark,
Chriſtine, und denke daran, daß die Trübſal zeitlich und die Freude
ewig iſt.

Sie nahm die Hände von dem Geſicht und machte eine Bewegung,
ihm um den Hals zu fallen. Die Stadtknechte traten dazwiſchen.

Friedrich ſuchte das Auge des Oberamtmanns, der ſich an dem
Zeuge ſeines Pferdes zu ſchaffen machte, um die flüchtige Zeitſpanne
dieſer letzten Unterredung zu verlängern. Der Oberamtmann verſtand
den Blick: Gebt einander die Hände, ſagte er, und wendete die Augen,
in welchen verrätheriſche Thränen blinkten, nach einer andern Seite.

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[506/0522] ich dir denn außer Kleinigkeiten zu verzeihen? Die ſind alle längſt vergeben. Kannſt noch etwas von der Welt hö n? Von unſern Kindern? Ja. Die beiden Jüngſten nimmt die Magdalene, die deinem Vater Haus gehalten hat, in ihren neuen Ehſtand mit. Sie heirathet den Müller, weißſt, den Georg. Sie haben ja Beide früher ein Aug' auf einander gehabt, aber es hat nicht ſein mögen, und Keinem von Beiden iſt's gut gangen in der Eh'. Jetzt ſind ſie Beide frei. Den Friederle haben ſie auch nehmen wollen, aber dein Vater gibt ihn nicht her. Er ſagt, er ſei ſo einſam in ſeinem Alter, und es ſei ſo ein aufgeweckter Bub'. Und du? Wenn ich's überleb', ſo ſoll ich deinem Vater Haus halten, und wenn's der alt' Mann nimmer ſo lang macht, ſo will mich die Mag¬ dalene auch zu ſich nehmen. Nun ſterb' ich gern! rief er, nun weiß ich doch dich und die Kinder verſorgt. Sag' meinem Vater oder thu' ihm's zu wiſſen, ich laſſ' ihn viel tauſendmal grüßen und um Gotteswillen bitten, er ſolle dem Buben doch ſtreng ſein. Auch den Georg und die Magdalene laſſ' ich grüßen, aber ſie ſollen darüber wachen, daß der Großvater nicht zu viel in den Buben hineinſieht. Siehſt du die vielen Ebers¬ bacher, Chriſtine? unterbrach er ſich. Sie ſind heut herbeigeſtrömt, wie damals zu unſerer Proclamation. Und auch ich, auch ich ſoll zuſehen! rief ſie. Sie ſchlug die freige¬ laſſenen Hände vor das Geſicht und begann krampfhaft zu ſchluchzen. Brich mir das Herz nicht vor der Zeit! gebot er ihr. Sei ſtark, Chriſtine, und denke daran, daß die Trübſal zeitlich und die Freude ewig iſt. Sie nahm die Hände von dem Geſicht und machte eine Bewegung, ihm um den Hals zu fallen. Die Stadtknechte traten dazwiſchen. Friedrich ſuchte das Auge des Oberamtmanns, der ſich an dem Zeuge ſeines Pferdes zu ſchaffen machte, um die flüchtige Zeitſpanne dieſer letzten Unterredung zu verlängern. Der Oberamtmann verſtand den Blick: Gebt einander die Hände, ſagte er, und wendete die Augen, in welchen verrätheriſche Thränen blinkten, nach einer andern Seite.

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 506. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/522>, abgerufen am 25.11.2024.