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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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thrine, eine arme Hausjungfer gewesen bei einer großen Herrschaft,
und jetzt ist sie eine allmächtige Frau, die einen ganzen Flecken regiert,
und wie! Laß du nur den lieben Gott walten. Aber das sag' ich
dir, rief die alte Bäuerin mit erhobener Stimme, indem sie dicht vor
ihre Tochter trat und ihr die geballte Faust vor das Gesicht hielt, das
sag' ich dir, daß du mir keinen dummen Streich machst, sonst laß
ich kein ganzes Glied an dir.

Christine antwortete nichts, sie spann emsig fort und ließ die
Spindel nur leise auf dem Boden tanzen.

Während dieser Zeit war es ihren Brüdern im Bäckerhause, wo¬
hin Friedrich sie geführt, nicht wenig wohl gegangen. Wein war eine
seltene Kostbarkeit für sie, und die Kameradschaft des Sonnenwirths¬
sohnes schmeichelte ihnen, unerachtet des Makels, der ihm anklebte,
so sehr, daß sie den Mund kaum zusammen brachten und jeden Spaß,
den er auftischte, mit lautem Gelächter begrüßten. Christinens wurde
mit keinem Wort erwähnt, aber beim Aufbruch gab er ihnen eine
Flasche von seinem "Grillengift" mit, damit die zu Hause, wie er
sich ausdrückte, auch etwas davon hätten. Ohne Zweifel hatte er
damit nicht bloß die beiden Alten gemeint. Zur Steuer der Wahr¬
heit und Vollständigkeit der Geschichte muß noch gesagt werden, daß
er die Zeche schuldig bleiben und sich von der schmunzelnden Wirthin
eine Borgfrist von etlichen Tagen erbitten mußte; denn der Schaf¬
handel, so große Vortheile er ihm auch in der Zukunft versprach,
hatte für den Augenblick seine Baarschaft völlig erschöpft.

Im Weggehen wandte er sich an den einen von seinen beiden
neuen Freunden. Thätest mir einen Gefallen, Jerg?

Zwei für ein', Frieder.

Ich hab' eine schöne Pirschbüchse, sagte er lächelnd, die mir un¬
werth geworden ist. Sei so gut und trag' sie morgen nach Rechberg¬
hausen zum Krämerchristle; der wird dir dafür geben was recht und
billig ist. Erinnere ihn, daß er mir versprochen habe sie wieder
zurückzunehmen, wenn ich sie nicht mehr wolle. Ich muß morgen
meinem Vater einen Gang nach Eßlingen thun und kann's also nicht
selbst besorgen. Auf die Nacht, wenn's dunkel ist, geb' ich dir das
Gewehr, und morgen Abend, wenn ich von Eßlingen komm', könntest
draußen an der Ruhbank auf mich warten.

thrine, eine arme Hausjungfer geweſen bei einer großen Herrſchaft,
und jetzt iſt ſie eine allmächtige Frau, die einen ganzen Flecken regiert,
und wie! Laß du nur den lieben Gott walten. Aber das ſag' ich
dir, rief die alte Bäuerin mit erhobener Stimme, indem ſie dicht vor
ihre Tochter trat und ihr die geballte Fauſt vor das Geſicht hielt, das
ſag' ich dir, daß du mir keinen dummen Streich machſt, ſonſt laß
ich kein ganzes Glied an dir.

Chriſtine antwortete nichts, ſie ſpann emſig fort und ließ die
Spindel nur leiſe auf dem Boden tanzen.

Während dieſer Zeit war es ihren Brüdern im Bäckerhauſe, wo¬
hin Friedrich ſie geführt, nicht wenig wohl gegangen. Wein war eine
ſeltene Koſtbarkeit für ſie, und die Kameradſchaft des Sonnenwirths¬
ſohnes ſchmeichelte ihnen, unerachtet des Makels, der ihm anklebte,
ſo ſehr, daß ſie den Mund kaum zuſammen brachten und jeden Spaß,
den er auftiſchte, mit lautem Gelächter begrüßten. Chriſtinens wurde
mit keinem Wort erwähnt, aber beim Aufbruch gab er ihnen eine
Flaſche von ſeinem „Grillengift“ mit, damit die zu Hauſe, wie er
ſich ausdrückte, auch etwas davon hätten. Ohne Zweifel hatte er
damit nicht bloß die beiden Alten gemeint. Zur Steuer der Wahr¬
heit und Vollſtändigkeit der Geſchichte muß noch geſagt werden, daß
er die Zeche ſchuldig bleiben und ſich von der ſchmunzelnden Wirthin
eine Borgfriſt von etlichen Tagen erbitten mußte; denn der Schaf¬
handel, ſo große Vortheile er ihm auch in der Zukunft verſprach,
hatte für den Augenblick ſeine Baarſchaft völlig erſchöpft.

Im Weggehen wandte er ſich an den einen von ſeinen beiden
neuen Freunden. Thäteſt mir einen Gefallen, Jerg?

Zwei für ein', Frieder.

Ich hab' eine ſchöne Pirſchbüchſe, ſagte er lächelnd, die mir un¬
werth geworden iſt. Sei ſo gut und trag' ſie morgen nach Rechberg¬
hauſen zum Krämerchriſtle; der wird dir dafür geben was recht und
billig iſt. Erinnere ihn, daß er mir verſprochen habe ſie wieder
zurückzunehmen, wenn ich ſie nicht mehr wolle. Ich muß morgen
meinem Vater einen Gang nach Eßlingen thun und kann's alſo nicht
ſelbſt beſorgen. Auf die Nacht, wenn's dunkel iſt, geb' ich dir das
Gewehr, und morgen Abend, wenn ich von Eßlingen komm', könnteſt
draußen an der Ruhbank auf mich warten.

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[72/0088] thrine, eine arme Hausjungfer geweſen bei einer großen Herrſchaft, und jetzt iſt ſie eine allmächtige Frau, die einen ganzen Flecken regiert, und wie! Laß du nur den lieben Gott walten. Aber das ſag' ich dir, rief die alte Bäuerin mit erhobener Stimme, indem ſie dicht vor ihre Tochter trat und ihr die geballte Fauſt vor das Geſicht hielt, das ſag' ich dir, daß du mir keinen dummen Streich machſt, ſonſt laß ich kein ganzes Glied an dir. Chriſtine antwortete nichts, ſie ſpann emſig fort und ließ die Spindel nur leiſe auf dem Boden tanzen. Während dieſer Zeit war es ihren Brüdern im Bäckerhauſe, wo¬ hin Friedrich ſie geführt, nicht wenig wohl gegangen. Wein war eine ſeltene Koſtbarkeit für ſie, und die Kameradſchaft des Sonnenwirths¬ ſohnes ſchmeichelte ihnen, unerachtet des Makels, der ihm anklebte, ſo ſehr, daß ſie den Mund kaum zuſammen brachten und jeden Spaß, den er auftiſchte, mit lautem Gelächter begrüßten. Chriſtinens wurde mit keinem Wort erwähnt, aber beim Aufbruch gab er ihnen eine Flaſche von ſeinem „Grillengift“ mit, damit die zu Hauſe, wie er ſich ausdrückte, auch etwas davon hätten. Ohne Zweifel hatte er damit nicht bloß die beiden Alten gemeint. Zur Steuer der Wahr¬ heit und Vollſtändigkeit der Geſchichte muß noch geſagt werden, daß er die Zeche ſchuldig bleiben und ſich von der ſchmunzelnden Wirthin eine Borgfriſt von etlichen Tagen erbitten mußte; denn der Schaf¬ handel, ſo große Vortheile er ihm auch in der Zukunft verſprach, hatte für den Augenblick ſeine Baarſchaft völlig erſchöpft. Im Weggehen wandte er ſich an den einen von ſeinen beiden neuen Freunden. Thäteſt mir einen Gefallen, Jerg? Zwei für ein', Frieder. Ich hab' eine ſchöne Pirſchbüchſe, ſagte er lächelnd, die mir un¬ werth geworden iſt. Sei ſo gut und trag' ſie morgen nach Rechberg¬ hauſen zum Krämerchriſtle; der wird dir dafür geben was recht und billig iſt. Erinnere ihn, daß er mir verſprochen habe ſie wieder zurückzunehmen, wenn ich ſie nicht mehr wolle. Ich muß morgen meinem Vater einen Gang nach Eßlingen thun und kann's alſo nicht ſelbſt beſorgen. Auf die Nacht, wenn's dunkel iſt, geb' ich dir das Gewehr, und morgen Abend, wenn ich von Eßlingen komm', könnteſt draußen an der Ruhbank auf mich warten.

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/88>, abgerufen am 23.11.2024.