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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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von der Angabe zahlloser Einzelheiten und haarkleiner Umstände be¬
gleitet, so daß der an sich unwahrscheinliche Verdacht gegen einen
Mann in den Sechzigen und eine zwar "rösche" (noch frische), aber
wohlberufene Wittwe, denn eine solche war der Mitgegenstand der
Anklage, doch etwas Fleisch und Blut erhielt. Eine lange und widrige
Untersuchung wurde eingeleitet, bei welcher eine Reihe von Zeugen
erscheinen mußten, ohne daß jedoch der Bezicht zu jenem Grade er¬
härtet wurde, der das Gericht genöthigt hätte an eine Verschuldung
zu glauben. Auch die beiden Angeklagten gestanden nicht das mindeste
Verdächtige ein, und die Angeberin, da sie sah, daß sie ihre Klage
nicht beweisen konnte, zog dieselbe zurück. Sie glaubte mit einem
Widerrufe davon zu kommen, allein der Sonnenwirth verlangte für
sich und seine mitangeklagte Gevatterin Satisfaction, und so wurde
sie wegen Lügens und falschen Denuncirens zu einer übrigens mäßigen
Geldstrafe, in welche sich die Herrschaft (der Staat) und der "Heilige"
theilten, so wie zur Abbitte verurtheilt. Aus Rücksicht auf den dem
Honoratiorenthum verwandten Stand des Sonnenwirths wurde die
Sache nicht auf dem Rathhaus, sondern im Amthause verhandelt, auch
in das Kirchenconventsprotocoll nur ein kurzer Auszug aufgenommen
und die Untersuchung selbst in einem Separatprotocoll niedergelegt,
welches man jedoch, um aller Verantwortung enthoben zu sein, an
das Oberamt einsendete, wo sodann, da die Acten keine bestimmten
Verdachtsgründe ergaben, die Angelegenheit ohne weitere Folgen
liegen blieb. Wie es jedoch in allen solchen Fällen zu geschehen pflegt,
so blieb genug davon an den Betheiligten hängen, und in der Sonne
schienen die Flecken über den Glanz Meister zu werden, zumal die
Geistlichkeit in ihrer Abneigung vor jedem Skandal das Monatskränz¬
chen, das überhaupt nur unter einem sehr nachsichtigen Vorgesetzten
im Wirthshause gehalten werden konnte, eingehen ließ. Denn der
Specialsuperintendent, dem sie untergeben war, stand seinerseits unter
einem Consistorialrath, der das im Evangelium erzählte Erscheinen
seines obersten Kirchenherrn auf der Hochzeit zu Kana mit den Wor¬
ten verurtheilte: "Hätt's auch können bleiben lassen!" Unter allen
Nachwehen aber, die den Sonnenwirth trafen, plagte ihn am em¬
pfindlichsten die Eifersucht seiner Frau; denn diese wollte ihn nicht
frei sprechen wie die Conventsrichter ihn freigesprochen hatten. Ihr

von der Angabe zahlloſer Einzelheiten und haarkleiner Umſtände be¬
gleitet, ſo daß der an ſich unwahrſcheinliche Verdacht gegen einen
Mann in den Sechzigen und eine zwar „röſche“ (noch friſche), aber
wohlberufene Wittwe, denn eine ſolche war der Mitgegenſtand der
Anklage, doch etwas Fleiſch und Blut erhielt. Eine lange und widrige
Unterſuchung wurde eingeleitet, bei welcher eine Reihe von Zeugen
erſcheinen mußten, ohne daß jedoch der Bezicht zu jenem Grade er¬
härtet wurde, der das Gericht genöthigt hätte an eine Verſchuldung
zu glauben. Auch die beiden Angeklagten geſtanden nicht das mindeſte
Verdächtige ein, und die Angeberin, da ſie ſah, daß ſie ihre Klage
nicht beweiſen konnte, zog dieſelbe zurück. Sie glaubte mit einem
Widerrufe davon zu kommen, allein der Sonnenwirth verlangte für
ſich und ſeine mitangeklagte Gevatterin Satisfaction, und ſo wurde
ſie wegen Lügens und falſchen Denuncirens zu einer übrigens mäßigen
Geldſtrafe, in welche ſich die Herrſchaft (der Staat) und der „Heilige“
theilten, ſo wie zur Abbitte verurtheilt. Aus Rückſicht auf den dem
Honoratiorenthum verwandten Stand des Sonnenwirths wurde die
Sache nicht auf dem Rathhaus, ſondern im Amthauſe verhandelt, auch
in das Kirchenconventsprotocoll nur ein kurzer Auszug aufgenommen
und die Unterſuchung ſelbſt in einem Separatprotocoll niedergelegt,
welches man jedoch, um aller Verantwortung enthoben zu ſein, an
das Oberamt einſendete, wo ſodann, da die Acten keine beſtimmten
Verdachtsgründe ergaben, die Angelegenheit ohne weitere Folgen
liegen blieb. Wie es jedoch in allen ſolchen Fällen zu geſchehen pflegt,
ſo blieb genug davon an den Betheiligten hängen, und in der Sonne
ſchienen die Flecken über den Glanz Meiſter zu werden, zumal die
Geiſtlichkeit in ihrer Abneigung vor jedem Skandal das Monatskränz¬
chen, das überhaupt nur unter einem ſehr nachſichtigen Vorgeſetzten
im Wirthshauſe gehalten werden konnte, eingehen ließ. Denn der
Specialſuperintendent, dem ſie untergeben war, ſtand ſeinerſeits unter
einem Conſiſtorialrath, der das im Evangelium erzählte Erſcheinen
ſeines oberſten Kirchenherrn auf der Hochzeit zu Kana mit den Wor¬
ten verurtheilte: „Hätt's auch können bleiben laſſen!“ Unter allen
Nachwehen aber, die den Sonnenwirth trafen, plagte ihn am em¬
pfindlichſten die Eiferſucht ſeiner Frau; denn dieſe wollte ihn nicht
frei ſprechen wie die Conventsrichter ihn freigeſprochen hatten. Ihr

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[77/0093] von der Angabe zahlloſer Einzelheiten und haarkleiner Umſtände be¬ gleitet, ſo daß der an ſich unwahrſcheinliche Verdacht gegen einen Mann in den Sechzigen und eine zwar „röſche“ (noch friſche), aber wohlberufene Wittwe, denn eine ſolche war der Mitgegenſtand der Anklage, doch etwas Fleiſch und Blut erhielt. Eine lange und widrige Unterſuchung wurde eingeleitet, bei welcher eine Reihe von Zeugen erſcheinen mußten, ohne daß jedoch der Bezicht zu jenem Grade er¬ härtet wurde, der das Gericht genöthigt hätte an eine Verſchuldung zu glauben. Auch die beiden Angeklagten geſtanden nicht das mindeſte Verdächtige ein, und die Angeberin, da ſie ſah, daß ſie ihre Klage nicht beweiſen konnte, zog dieſelbe zurück. Sie glaubte mit einem Widerrufe davon zu kommen, allein der Sonnenwirth verlangte für ſich und ſeine mitangeklagte Gevatterin Satisfaction, und ſo wurde ſie wegen Lügens und falſchen Denuncirens zu einer übrigens mäßigen Geldſtrafe, in welche ſich die Herrſchaft (der Staat) und der „Heilige“ theilten, ſo wie zur Abbitte verurtheilt. Aus Rückſicht auf den dem Honoratiorenthum verwandten Stand des Sonnenwirths wurde die Sache nicht auf dem Rathhaus, ſondern im Amthauſe verhandelt, auch in das Kirchenconventsprotocoll nur ein kurzer Auszug aufgenommen und die Unterſuchung ſelbſt in einem Separatprotocoll niedergelegt, welches man jedoch, um aller Verantwortung enthoben zu ſein, an das Oberamt einſendete, wo ſodann, da die Acten keine beſtimmten Verdachtsgründe ergaben, die Angelegenheit ohne weitere Folgen liegen blieb. Wie es jedoch in allen ſolchen Fällen zu geſchehen pflegt, ſo blieb genug davon an den Betheiligten hängen, und in der Sonne ſchienen die Flecken über den Glanz Meiſter zu werden, zumal die Geiſtlichkeit in ihrer Abneigung vor jedem Skandal das Monatskränz¬ chen, das überhaupt nur unter einem ſehr nachſichtigen Vorgeſetzten im Wirthshauſe gehalten werden konnte, eingehen ließ. Denn der Specialſuperintendent, dem ſie untergeben war, ſtand ſeinerſeits unter einem Conſiſtorialrath, der das im Evangelium erzählte Erſcheinen ſeines oberſten Kirchenherrn auf der Hochzeit zu Kana mit den Wor¬ ten verurtheilte: „Hätt's auch können bleiben laſſen!“ Unter allen Nachwehen aber, die den Sonnenwirth trafen, plagte ihn am em¬ pfindlichſten die Eiferſucht ſeiner Frau; denn dieſe wollte ihn nicht frei ſprechen wie die Conventsrichter ihn freigeſprochen hatten. Ihr

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/93>, abgerufen am 23.11.2024.