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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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sonderlich begütigen, sondern eher einen Kampf mit ihm herbeiführen
würde, den er so lang als möglich hinauszuschieben gesonnen war.
Uebrigens schien das Sprichwort, das jener angeführt, seinen Inhalt
an ihm bewähren zu wollen, denn Friedrich wurde um diese Zeit in
einen verdrießlichen Handel verwickelt. Der obere Müller, der ohne¬
hin nachgerade einen großen Haß auf ihn geworfen hatte, vermißte
eines Morgens einen Bienenkorb. Es hing von der Person und den
Verhältnissen des Thäters ab, ob man diese Entwendung als eine
That bübischen Muthwillens oder als einen gemeinen Diebstahl be¬
trachten wollte. Der Verdacht fiel auf einen der Söhne des Hirsch¬
bauern, dessen Armuth und neuerliche Verrufenheit für die niedrigere
Auffassung der jedenfalls unsaubern Handlung entschied, und es fan¬
den sich Augenzeugen, welche an dem der Entdeckung vorhergegangenen
Abend spät gesehen haben wollten, wie Friedrich auf der Brücke un¬
weit der Mühle seinem Gesellen pfiff. Es konnte jedoch nichts be¬
wiesen werden und die Sache mußte beruhen bleiben; aber das Ge¬
rücht ruhte nicht und die aus vorsichtiger Ferne geschleuderten Schimpf¬
reden des Müllers gaben dem Verwerfungsurtheil über die Wahl des
jungen Mannes neue Nahrung. Dieser hat übrigens, als er zehn
Jahre später über ganz andere Dinge die umfassendsten und rückhalts¬
losesten Bekenntnisse ablegte, jede Theilnahme an jenem verhältni߬
mäßig geringen Vergehen standhaft in Abrede gezogen.

Die Sonnenwirthin würde zweifelsohne nicht unterlassen haben,
von diesem Vorfall in täglichen und nächtlichen Gesprächen mit ihrem
Manne erschöpfenden Gebrauch zu machen, allein sie mußte es bei
einer kurz und hart hingeworfenen Mittheilung der Neuigkeit bewen¬
den lassen, welche auf den Sonnenwirth dießmal einen beinahe nur
oberflächlichen Eindruck machte, weil ihm selbst ein viel schlimmerer
Handel auf den Hals gekommen war, in Folge dessen zwischen den
beiden Eheleuten Wochenlang außer dem Nöthigsten nur wenig und
auch dieses Wenige nicht in Güte gesprochen wurde. Gegen den Son¬
nenwirth hatte nämlich eine jener liebreichen Basen, die es überall
gibt, und die niemals reichlicher blühten als in der sogenannten guten
alten Zeit, natürlich nur aus den höchsten und reinsten Beweggrün¬
den, nichts Geringeres als eine Ehebruchsanzeige vor das geistliche
Gericht gebracht. Die Denunciation war, ihrer Urheberschaft gemäß,

ſonderlich begütigen, ſondern eher einen Kampf mit ihm herbeiführen
würde, den er ſo lang als möglich hinauszuſchieben geſonnen war.
Uebrigens ſchien das Sprichwort, das jener angeführt, ſeinen Inhalt
an ihm bewähren zu wollen, denn Friedrich wurde um dieſe Zeit in
einen verdrießlichen Handel verwickelt. Der obere Müller, der ohne¬
hin nachgerade einen großen Haß auf ihn geworfen hatte, vermißte
eines Morgens einen Bienenkorb. Es hing von der Perſon und den
Verhältniſſen des Thäters ab, ob man dieſe Entwendung als eine
That bübiſchen Muthwillens oder als einen gemeinen Diebſtahl be¬
trachten wollte. Der Verdacht fiel auf einen der Söhne des Hirſch¬
bauern, deſſen Armuth und neuerliche Verrufenheit für die niedrigere
Auffaſſung der jedenfalls unſaubern Handlung entſchied, und es fan¬
den ſich Augenzeugen, welche an dem der Entdeckung vorhergegangenen
Abend ſpät geſehen haben wollten, wie Friedrich auf der Brücke un¬
weit der Mühle ſeinem Geſellen pfiff. Es konnte jedoch nichts be¬
wieſen werden und die Sache mußte beruhen bleiben; aber das Ge¬
rücht ruhte nicht und die aus vorſichtiger Ferne geſchleuderten Schimpf¬
reden des Müllers gaben dem Verwerfungsurtheil über die Wahl des
jungen Mannes neue Nahrung. Dieſer hat übrigens, als er zehn
Jahre ſpäter über ganz andere Dinge die umfaſſendſten und rückhalts¬
loſeſten Bekenntniſſe ablegte, jede Theilnahme an jenem verhältni߬
mäßig geringen Vergehen ſtandhaft in Abrede gezogen.

Die Sonnenwirthin würde zweifelsohne nicht unterlaſſen haben,
von dieſem Vorfall in täglichen und nächtlichen Geſprächen mit ihrem
Manne erſchöpfenden Gebrauch zu machen, allein ſie mußte es bei
einer kurz und hart hingeworfenen Mittheilung der Neuigkeit bewen¬
den laſſen, welche auf den Sonnenwirth dießmal einen beinahe nur
oberflächlichen Eindruck machte, weil ihm ſelbſt ein viel ſchlimmerer
Handel auf den Hals gekommen war, in Folge deſſen zwiſchen den
beiden Eheleuten Wochenlang außer dem Nöthigſten nur wenig und
auch dieſes Wenige nicht in Güte geſprochen wurde. Gegen den Son¬
nenwirth hatte nämlich eine jener liebreichen Baſen, die es überall
gibt, und die niemals reichlicher blühten als in der ſogenannten guten
alten Zeit, natürlich nur aus den höchſten und reinſten Beweggrün¬
den, nichts Geringeres als eine Ehebruchsanzeige vor das geiſtliche
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[76/0092] ſonderlich begütigen, ſondern eher einen Kampf mit ihm herbeiführen würde, den er ſo lang als möglich hinauszuſchieben geſonnen war. Uebrigens ſchien das Sprichwort, das jener angeführt, ſeinen Inhalt an ihm bewähren zu wollen, denn Friedrich wurde um dieſe Zeit in einen verdrießlichen Handel verwickelt. Der obere Müller, der ohne¬ hin nachgerade einen großen Haß auf ihn geworfen hatte, vermißte eines Morgens einen Bienenkorb. Es hing von der Perſon und den Verhältniſſen des Thäters ab, ob man dieſe Entwendung als eine That bübiſchen Muthwillens oder als einen gemeinen Diebſtahl be¬ trachten wollte. Der Verdacht fiel auf einen der Söhne des Hirſch¬ bauern, deſſen Armuth und neuerliche Verrufenheit für die niedrigere Auffaſſung der jedenfalls unſaubern Handlung entſchied, und es fan¬ den ſich Augenzeugen, welche an dem der Entdeckung vorhergegangenen Abend ſpät geſehen haben wollten, wie Friedrich auf der Brücke un¬ weit der Mühle ſeinem Geſellen pfiff. Es konnte jedoch nichts be¬ wieſen werden und die Sache mußte beruhen bleiben; aber das Ge¬ rücht ruhte nicht und die aus vorſichtiger Ferne geſchleuderten Schimpf¬ reden des Müllers gaben dem Verwerfungsurtheil über die Wahl des jungen Mannes neue Nahrung. Dieſer hat übrigens, als er zehn Jahre ſpäter über ganz andere Dinge die umfaſſendſten und rückhalts¬ loſeſten Bekenntniſſe ablegte, jede Theilnahme an jenem verhältni߬ mäßig geringen Vergehen ſtandhaft in Abrede gezogen. Die Sonnenwirthin würde zweifelsohne nicht unterlaſſen haben, von dieſem Vorfall in täglichen und nächtlichen Geſprächen mit ihrem Manne erſchöpfenden Gebrauch zu machen, allein ſie mußte es bei einer kurz und hart hingeworfenen Mittheilung der Neuigkeit bewen¬ den laſſen, welche auf den Sonnenwirth dießmal einen beinahe nur oberflächlichen Eindruck machte, weil ihm ſelbſt ein viel ſchlimmerer Handel auf den Hals gekommen war, in Folge deſſen zwiſchen den beiden Eheleuten Wochenlang außer dem Nöthigſten nur wenig und auch dieſes Wenige nicht in Güte geſprochen wurde. Gegen den Son¬ nenwirth hatte nämlich eine jener liebreichen Baſen, die es überall gibt, und die niemals reichlicher blühten als in der ſogenannten guten alten Zeit, natürlich nur aus den höchſten und reinſten Beweggrün¬ den, nichts Geringeres als eine Ehebruchsanzeige vor das geiſtliche Gericht gebracht. Die Denunciation war, ihrer Urheberſchaft gemäß,

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/92>, abgerufen am 23.11.2024.