Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.daß der Schein zu Zeiten trügt. Der Spar-Tubus stellte bloß ein Stückchen Robinsonade im Studirzimmer vor. Mit unbeschreiblicher Ueberraschung und grenzenlosem Vergnügen vernahm die Pfarrerin, was sich so eben zwischen Morgen und Abend zugetragen hatte. Als eine Frau, die eine Freude des Gatten zu ihrer eigenen Freude machte, interessirte sie sich höchlich für den unbekannten Seelenverwandten ihres Mannes und sprach mit Hochachtung und Freundschaft von ihm, jedoch nicht ohne zugleich ihrem Verdrusse Luft zu machen, daß der "dumme Kerl", wie ihr ihm Eifer entfuhr, "keine Augen im Kopfe gehabt" habe. Sofort eröffnete sich eine lebhafte Berathung über die Fragen, wer derselbe sein möge, wo er wohne und wie es komme, daß er dem regelmäßigsten aller Beobachter bisher entgangen sei. Die letztere Frage zerfiel wieder in mehrere Unterfragen: war der Fremde vielleicht erst seit gestern oder heute in der Gegend seßhaft, in der er sich hatte entdecken lassen? oder, mochte er nun ständig oder vorübergehend seinen Aufenthalt dort unten haben, entstammte seine heutige Recognoscirung bloß einer flüchtigen Laune oder einer soliden Gewohnheit? Konnte man also darauf rechnen, ihm künftig abermals auf dem heutigen Wege zu begegnen, oder nicht? Oder aber, hatte er vielleicht schon längere Zeit, wohl gar Jahre lang, jeden Morgen und nur zu einer andern Stunde als der Seher von A . . . berg, aus jenem Fenster heraufgeschaut? daß der Schein zu Zeiten trügt. Der Spar-Tubus stellte bloß ein Stückchen Robinsonade im Studirzimmer vor. Mit unbeschreiblicher Ueberraschung und grenzenlosem Vergnügen vernahm die Pfarrerin, was sich so eben zwischen Morgen und Abend zugetragen hatte. Als eine Frau, die eine Freude des Gatten zu ihrer eigenen Freude machte, interessirte sie sich höchlich für den unbekannten Seelenverwandten ihres Mannes und sprach mit Hochachtung und Freundschaft von ihm, jedoch nicht ohne zugleich ihrem Verdrusse Luft zu machen, daß der „dumme Kerl“, wie ihr ihm Eifer entfuhr, „keine Augen im Kopfe gehabt“ habe. Sofort eröffnete sich eine lebhafte Berathung über die Fragen, wer derselbe sein möge, wo er wohne und wie es komme, daß er dem regelmäßigsten aller Beobachter bisher entgangen sei. Die letztere Frage zerfiel wieder in mehrere Unterfragen: war der Fremde vielleicht erst seit gestern oder heute in der Gegend seßhaft, in der er sich hatte entdecken lassen? oder, mochte er nun ständig oder vorübergehend seinen Aufenthalt dort unten haben, entstammte seine heutige Recognoscirung bloß einer flüchtigen Laune oder einer soliden Gewohnheit? Konnte man also darauf rechnen, ihm künftig abermals auf dem heutigen Wege zu begegnen, oder nicht? Oder aber, hatte er vielleicht schon längere Zeit, wohl gar Jahre lang, jeden Morgen und nur zu einer andern Stunde als der Seher von A . . . berg, aus jenem Fenster heraufgeschaut? <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0019"/> daß der Schein zu Zeiten trügt. Der Spar-Tubus stellte bloß ein Stückchen Robinsonade im Studirzimmer vor.</p><lb/> <p>Mit unbeschreiblicher Ueberraschung und grenzenlosem Vergnügen vernahm die Pfarrerin, was sich so eben zwischen Morgen und Abend zugetragen hatte. Als eine Frau, die eine Freude des Gatten zu ihrer eigenen Freude machte, interessirte sie sich höchlich für den unbekannten Seelenverwandten ihres Mannes und sprach mit Hochachtung und Freundschaft von ihm, jedoch nicht ohne zugleich ihrem Verdrusse Luft zu machen, daß der „dumme Kerl“, wie ihr ihm Eifer entfuhr, „keine Augen im Kopfe gehabt“ habe. Sofort eröffnete sich eine lebhafte Berathung über die Fragen, wer derselbe sein möge, wo er wohne und wie es komme, daß er dem regelmäßigsten aller Beobachter bisher entgangen sei. Die letztere Frage zerfiel wieder in mehrere Unterfragen: war der Fremde vielleicht erst seit gestern oder heute in der Gegend seßhaft, in der er sich hatte entdecken lassen? oder, mochte er nun ständig oder vorübergehend seinen Aufenthalt dort unten haben, entstammte seine heutige Recognoscirung bloß einer flüchtigen Laune oder einer soliden Gewohnheit? Konnte man also darauf rechnen, ihm künftig abermals auf dem heutigen Wege zu begegnen, oder nicht? Oder aber, hatte er vielleicht schon längere Zeit, wohl gar Jahre lang, jeden Morgen und nur zu einer andern Stunde als der Seher von A . . . berg, aus jenem Fenster heraufgeschaut?<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0019]
daß der Schein zu Zeiten trügt. Der Spar-Tubus stellte bloß ein Stückchen Robinsonade im Studirzimmer vor.
Mit unbeschreiblicher Ueberraschung und grenzenlosem Vergnügen vernahm die Pfarrerin, was sich so eben zwischen Morgen und Abend zugetragen hatte. Als eine Frau, die eine Freude des Gatten zu ihrer eigenen Freude machte, interessirte sie sich höchlich für den unbekannten Seelenverwandten ihres Mannes und sprach mit Hochachtung und Freundschaft von ihm, jedoch nicht ohne zugleich ihrem Verdrusse Luft zu machen, daß der „dumme Kerl“, wie ihr ihm Eifer entfuhr, „keine Augen im Kopfe gehabt“ habe. Sofort eröffnete sich eine lebhafte Berathung über die Fragen, wer derselbe sein möge, wo er wohne und wie es komme, daß er dem regelmäßigsten aller Beobachter bisher entgangen sei. Die letztere Frage zerfiel wieder in mehrere Unterfragen: war der Fremde vielleicht erst seit gestern oder heute in der Gegend seßhaft, in der er sich hatte entdecken lassen? oder, mochte er nun ständig oder vorübergehend seinen Aufenthalt dort unten haben, entstammte seine heutige Recognoscirung bloß einer flüchtigen Laune oder einer soliden Gewohnheit? Konnte man also darauf rechnen, ihm künftig abermals auf dem heutigen Wege zu begegnen, oder nicht? Oder aber, hatte er vielleicht schon längere Zeit, wohl gar Jahre lang, jeden Morgen und nur zu einer andern Stunde als der Seher von A . . . berg, aus jenem Fenster heraufgeschaut?
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-15T14:08:57Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-15T14:08:57Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |