Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Ueber dieser Lectüre erwachte in ihm die Erinnerung , daß er selbst jeweils im Norden unseres Vaterlandes, wo diese Speise beliebt ist, gebratene Häringe gegessen und nicht eben unschmackhaft befunden hatte. In seinen damaligen Verhältnissen hatte er auf dieses populäre Gericht vornehm herabsehen können: in seinen jetzigen wäre es für ihn ein Leckerbissen, ein Luxusartikel gewesen. Da ihm diese nicht erlaubten, Häringe überhaupt und irgendwie zubereitet zu genießen, so erfand er für die genannte Bereitungsweise ein Surrogat, indem er auf den Einfall gerieth, seine Käse zu braten. Zu diesem Ende machte er sich eine alte abgebrochene Klinge vom Universitätsfechtboden her zurecht, gebrauchte sie als Bratspieß und sprach fortan die unerschütterliche Ueberzeugung aus, daß der Käse durch diese norddeutsche Behandlung nicht bloß wohlschmeckender, sondern auch nahrhafter werde. Jedenfalls erreichte er dadurch Zweierlei: einmal gönnten Frau und Kinder, die das Kunsterzeugniß zu pikant fanden, um es hinunterzubringen, ihm den ganzen Vorrath unverkürzt, und dann hielt der entsetzlich muffige Geruch, der Jahr aus Jahr ein im Hause herrschte, alle und jede Besuche fern.

Mit seinem corrumpirten Schwindelhaferweine begehrte gleichfalls Niemand bewirthet zu werden; und so saß er Abend für Abend im oberen Stübchen, seinen Käsebraten verdauend, einsam hinter seinem Kruge, und rauchte dazu seine gleichfalls selbstbereitete Hanf-

Ueber dieser Lectüre erwachte in ihm die Erinnerung , daß er selbst jeweils im Norden unseres Vaterlandes, wo diese Speise beliebt ist, gebratene Häringe gegessen und nicht eben unschmackhaft befunden hatte. In seinen damaligen Verhältnissen hatte er auf dieses populäre Gericht vornehm herabsehen können: in seinen jetzigen wäre es für ihn ein Leckerbissen, ein Luxusartikel gewesen. Da ihm diese nicht erlaubten, Häringe überhaupt und irgendwie zubereitet zu genießen, so erfand er für die genannte Bereitungsweise ein Surrogat, indem er auf den Einfall gerieth, seine Käse zu braten. Zu diesem Ende machte er sich eine alte abgebrochene Klinge vom Universitätsfechtboden her zurecht, gebrauchte sie als Bratspieß und sprach fortan die unerschütterliche Ueberzeugung aus, daß der Käse durch diese norddeutsche Behandlung nicht bloß wohlschmeckender, sondern auch nahrhafter werde. Jedenfalls erreichte er dadurch Zweierlei: einmal gönnten Frau und Kinder, die das Kunsterzeugniß zu pikant fanden, um es hinunterzubringen, ihm den ganzen Vorrath unverkürzt, und dann hielt der entsetzlich muffige Geruch, der Jahr aus Jahr ein im Hause herrschte, alle und jede Besuche fern.

Mit seinem corrumpirten Schwindelhaferweine begehrte gleichfalls Niemand bewirthet zu werden; und so saß er Abend für Abend im oberen Stübchen, seinen Käsebraten verdauend, einsam hinter seinem Kruge, und rauchte dazu seine gleichfalls selbstbereitete Hanf-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="2">
        <p><pb facs="#f0049"/>
Ueber dieser Lectüre erwachte in ihm                die Erinnerung , daß er selbst jeweils im Norden unseres Vaterlandes, wo diese Speise                beliebt ist, gebratene Häringe gegessen und nicht eben unschmackhaft befunden hatte.                In seinen damaligen Verhältnissen hatte er auf dieses populäre Gericht vornehm                herabsehen können: in seinen jetzigen wäre es für ihn ein Leckerbissen, ein                Luxusartikel gewesen. Da ihm diese nicht erlaubten, Häringe überhaupt und irgendwie                zubereitet zu genießen, so erfand er für die genannte Bereitungsweise ein Surrogat,                indem er auf den Einfall gerieth, seine Käse zu braten. Zu diesem Ende machte er sich                eine alte abgebrochene Klinge vom Universitätsfechtboden her zurecht, gebrauchte sie                als Bratspieß und sprach fortan die unerschütterliche Ueberzeugung aus, daß der Käse                durch diese norddeutsche Behandlung nicht bloß wohlschmeckender, sondern auch                nahrhafter werde. Jedenfalls erreichte er dadurch Zweierlei: einmal gönnten Frau und                Kinder, die das Kunsterzeugniß zu pikant fanden, um es hinunterzubringen, ihm den                ganzen Vorrath unverkürzt, und dann hielt der entsetzlich muffige Geruch, der Jahr                aus Jahr ein im Hause herrschte, alle und jede Besuche fern.</p><lb/>
        <p>Mit seinem corrumpirten Schwindelhaferweine begehrte gleichfalls Niemand bewirthet zu                werden; und so saß er Abend für Abend im oberen Stübchen, seinen Käsebraten                verdauend, einsam hinter seinem Kruge, und rauchte dazu seine gleichfalls                selbstbereitete Hanf-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0049] Ueber dieser Lectüre erwachte in ihm die Erinnerung , daß er selbst jeweils im Norden unseres Vaterlandes, wo diese Speise beliebt ist, gebratene Häringe gegessen und nicht eben unschmackhaft befunden hatte. In seinen damaligen Verhältnissen hatte er auf dieses populäre Gericht vornehm herabsehen können: in seinen jetzigen wäre es für ihn ein Leckerbissen, ein Luxusartikel gewesen. Da ihm diese nicht erlaubten, Häringe überhaupt und irgendwie zubereitet zu genießen, so erfand er für die genannte Bereitungsweise ein Surrogat, indem er auf den Einfall gerieth, seine Käse zu braten. Zu diesem Ende machte er sich eine alte abgebrochene Klinge vom Universitätsfechtboden her zurecht, gebrauchte sie als Bratspieß und sprach fortan die unerschütterliche Ueberzeugung aus, daß der Käse durch diese norddeutsche Behandlung nicht bloß wohlschmeckender, sondern auch nahrhafter werde. Jedenfalls erreichte er dadurch Zweierlei: einmal gönnten Frau und Kinder, die das Kunsterzeugniß zu pikant fanden, um es hinunterzubringen, ihm den ganzen Vorrath unverkürzt, und dann hielt der entsetzlich muffige Geruch, der Jahr aus Jahr ein im Hause herrschte, alle und jede Besuche fern. Mit seinem corrumpirten Schwindelhaferweine begehrte gleichfalls Niemand bewirthet zu werden; und so saß er Abend für Abend im oberen Stübchen, seinen Käsebraten verdauend, einsam hinter seinem Kruge, und rauchte dazu seine gleichfalls selbstbereitete Hanf-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:08:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:08:57Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910/49
Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910/49>, abgerufen am 03.12.2024.