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Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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terte. Indessen besann er sich doch eines Besseren; er begnadigte den Erinnerungszeugen getäuschter Hoffnung und bediente sich desselben fortan zu den Ausflügen seiner selbstpeinigenden, weltverachtenden Ironie, indem er jeden Morgen, sobald er aufgestanden war, was, wie wir bereits wissen, etwas spät der Fall war, sich darin gefiel, mit dem prinzlichen Fernrohr spöttisch durch die leere Luft nach den "besseren künftigen Tagen," nach dem "glücklichen goldenen Ziele" auszuspähen, sodann aber alle Mängel, die ihm die Erde darbot, schiefgewachsene Bäume, schlechtgestellte Zweige und Blätter, plumpgeformte Berge und häßlich knopfige Thürme aufzusuchen, kurz, die ganze Schöpfung recht erbärmlich und ganz und gar schuftig zu finden. Eine Art Universalrecension, der er, wie gesagt, täglich oblag, und nach deren Beendigung er sich jedesmal mit herabgezogenen Mundwinkeln vom Fenster abwandte, gleichwie man einem mißrathenen Poem, das man so eben gelesen, den Rücken kehrt.

Wie sich dieses Recensirhandwerk mit seiner dem Preise des Schöpfers gewidmeten Lebensstellung vertrug, ist eine Frage, die wir besser auszuwerfen als zu beantworten vermögen. Von den Predigten dieses mit Gott und der Welt zerfallenen Pfarrers hat sich keine einzige erhalten. Schade: sie würden vielleicht einen beachtenswerthen Beitrag zur Geschichte der Kanzelberedsamkeit geliefert haben. Vielleicht auch nicht; denn nicht immer ist der Zwiespalt sichtbar, der

terte. Indessen besann er sich doch eines Besseren; er begnadigte den Erinnerungszeugen getäuschter Hoffnung und bediente sich desselben fortan zu den Ausflügen seiner selbstpeinigenden, weltverachtenden Ironie, indem er jeden Morgen, sobald er aufgestanden war, was, wie wir bereits wissen, etwas spät der Fall war, sich darin gefiel, mit dem prinzlichen Fernrohr spöttisch durch die leere Luft nach den „besseren künftigen Tagen,“ nach dem „glücklichen goldenen Ziele“ auszuspähen, sodann aber alle Mängel, die ihm die Erde darbot, schiefgewachsene Bäume, schlechtgestellte Zweige und Blätter, plumpgeformte Berge und häßlich knopfige Thürme aufzusuchen, kurz, die ganze Schöpfung recht erbärmlich und ganz und gar schuftig zu finden. Eine Art Universalrecension, der er, wie gesagt, täglich oblag, und nach deren Beendigung er sich jedesmal mit herabgezogenen Mundwinkeln vom Fenster abwandte, gleichwie man einem mißrathenen Poem, das man so eben gelesen, den Rücken kehrt.

Wie sich dieses Recensirhandwerk mit seiner dem Preise des Schöpfers gewidmeten Lebensstellung vertrug, ist eine Frage, die wir besser auszuwerfen als zu beantworten vermögen. Von den Predigten dieses mit Gott und der Welt zerfallenen Pfarrers hat sich keine einzige erhalten. Schade: sie würden vielleicht einen beachtenswerthen Beitrag zur Geschichte der Kanzelberedsamkeit geliefert haben. Vielleicht auch nicht; denn nicht immer ist der Zwiespalt sichtbar, der

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910/58>, abgerufen am 20.05.2024.