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Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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sehen, wie er sich mit dieser Eigenschaft durchschlagen werde.

Und dennoch mußte er den Durchfallscandidaten ins Examen schicken. Warum? Es giebt einen Druck der öffentlichen Meinung, der auch den trotzigsten Eigenwillen zwingt. Die öffentliche Meinung aber huldigte nicht bloß der Heiligkeit des geistlichen Berufes, sondern in fast höherem Grade noch der zeitlichen Wohlfahrt, die mit dieser Bestimmung in Perspective stand. Nahrung, Kleidung, Behausung und Heranbildung der jungen Leute auf öffentliche Kosten -- später, wenn auch nach mehr oder minder langem Warten, ein sicheres Brod -- mit Einem Wort, Versorgung vom zurückgelegten vierzehnten Jahre an auf Lebenszeit, eine herrliche Sache, wenn Wahl oder Wechsel des Berufes frei gewesen wäre -- dazu noch, wie nun einmal die öffentliche Meinung glaubte, und wie es wohl auch nicht anders als billig war, möglichste Bevorzugung der Pfarrerssöhne, der Kinder vom Stamme Levi, vor der übrigen dem Tempeldienste zuströmenden Jugend des Landes -- alle diese Vortheile für seinen Sohn zu vergeben, ja unversucht in den Wind zuschlagen -- das ging nicht an. Er lief Gefahr, anstatt des Sohnes selbst in einer Geistesanstalt untergebracht zu werden, nur in keiner bildenden. Von einem Handwerk, falls er nämlich das Lehrgeld aufbrachte, konnte, ohne Empörung aller Standesgefühle, erst dann die Rede sein, wenn sich der Junge zum Studiren unfähig gezeigt

sehen, wie er sich mit dieser Eigenschaft durchschlagen werde.

Und dennoch mußte er den Durchfallscandidaten ins Examen schicken. Warum? Es giebt einen Druck der öffentlichen Meinung, der auch den trotzigsten Eigenwillen zwingt. Die öffentliche Meinung aber huldigte nicht bloß der Heiligkeit des geistlichen Berufes, sondern in fast höherem Grade noch der zeitlichen Wohlfahrt, die mit dieser Bestimmung in Perspective stand. Nahrung, Kleidung, Behausung und Heranbildung der jungen Leute auf öffentliche Kosten — später, wenn auch nach mehr oder minder langem Warten, ein sicheres Brod — mit Einem Wort, Versorgung vom zurückgelegten vierzehnten Jahre an auf Lebenszeit, eine herrliche Sache, wenn Wahl oder Wechsel des Berufes frei gewesen wäre — dazu noch, wie nun einmal die öffentliche Meinung glaubte, und wie es wohl auch nicht anders als billig war, möglichste Bevorzugung der Pfarrerssöhne, der Kinder vom Stamme Levi, vor der übrigen dem Tempeldienste zuströmenden Jugend des Landes — alle diese Vortheile für seinen Sohn zu vergeben, ja unversucht in den Wind zuschlagen — das ging nicht an. Er lief Gefahr, anstatt des Sohnes selbst in einer Geistesanstalt untergebracht zu werden, nur in keiner bildenden. Von einem Handwerk, falls er nämlich das Lehrgeld aufbrachte, konnte, ohne Empörung aller Standesgefühle, erst dann die Rede sein, wenn sich der Junge zum Studiren unfähig gezeigt

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[0065] sehen, wie er sich mit dieser Eigenschaft durchschlagen werde. Und dennoch mußte er den Durchfallscandidaten ins Examen schicken. Warum? Es giebt einen Druck der öffentlichen Meinung, der auch den trotzigsten Eigenwillen zwingt. Die öffentliche Meinung aber huldigte nicht bloß der Heiligkeit des geistlichen Berufes, sondern in fast höherem Grade noch der zeitlichen Wohlfahrt, die mit dieser Bestimmung in Perspective stand. Nahrung, Kleidung, Behausung und Heranbildung der jungen Leute auf öffentliche Kosten — später, wenn auch nach mehr oder minder langem Warten, ein sicheres Brod — mit Einem Wort, Versorgung vom zurückgelegten vierzehnten Jahre an auf Lebenszeit, eine herrliche Sache, wenn Wahl oder Wechsel des Berufes frei gewesen wäre — dazu noch, wie nun einmal die öffentliche Meinung glaubte, und wie es wohl auch nicht anders als billig war, möglichste Bevorzugung der Pfarrerssöhne, der Kinder vom Stamme Levi, vor der übrigen dem Tempeldienste zuströmenden Jugend des Landes — alle diese Vortheile für seinen Sohn zu vergeben, ja unversucht in den Wind zuschlagen — das ging nicht an. Er lief Gefahr, anstatt des Sohnes selbst in einer Geistesanstalt untergebracht zu werden, nur in keiner bildenden. Von einem Handwerk, falls er nämlich das Lehrgeld aufbrachte, konnte, ohne Empörung aller Standesgefühle, erst dann die Rede sein, wenn sich der Junge zum Studiren unfähig gezeigt

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:08:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:08:57Z)

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910/65>, abgerufen am 20.05.2024.