Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

gestern so früh, daß Wilhelm ihm nicht mehr beikommen konnte, aus dem Examen getrieben hatte.

Der Pfarrer von Y . . . burg war unerachtet seiner in Essig eingemachten Stimmung immer noch Mensch, Vater und Lehrer genug, um den Succeß seines Sohnes mit einiger Genugthuung aufzunehmen. Ueber den Enderfolg des Examens machte er sich zwar nicht die mindeste Illusion, da er wohl wußte, daß Arithmetik und Geschichte nicht die Schlüssel waren, welche die Thüre in das Reich Gottes öffneten. Aber er konnte ihm doch jetzt immerhin jenes Skaldenlied am Heldengrabe singen: "Ehrenvoll ist er gefallen!"

Eben darum aber erkannte er auch, daß seine eigene Position sich verändert hatte, und daß die Entschuldigung, mit der er sich von der Gesellschaft fernhalten konnte, nunmehr wieder weggefallen war. Er entschloß sich daher, in den sauersüßen Apfel zu beißen und seine Spitzbubenhölle mit dem Purgatorium eines Honoratiorencirkels zu vertauschen. Dies sein eigener cynischer Ausdruck, für den wir begreiflicherweise nicht verantwortlich sind.

So gab er denn am Morgen des dritten und letzten Prüfungstages seinem Sohne den Auftrag, dessen Ausführung wir bereits kennen. Dann setzte er sich in dem grauen Kämmerlein mit den antediluvianischen Ockerspuren auf das wackelige, schneidend schmale Bettgestell, baumelte mit den Beinen, die er in dieser schwanken Stellung noch sehr künstlich an sich ziehen

gestern so früh, daß Wilhelm ihm nicht mehr beikommen konnte, aus dem Examen getrieben hatte.

Der Pfarrer von Y . . . burg war unerachtet seiner in Essig eingemachten Stimmung immer noch Mensch, Vater und Lehrer genug, um den Succeß seines Sohnes mit einiger Genugthuung aufzunehmen. Ueber den Enderfolg des Examens machte er sich zwar nicht die mindeste Illusion, da er wohl wußte, daß Arithmetik und Geschichte nicht die Schlüssel waren, welche die Thüre in das Reich Gottes öffneten. Aber er konnte ihm doch jetzt immerhin jenes Skaldenlied am Heldengrabe singen: „Ehrenvoll ist er gefallen!“

Eben darum aber erkannte er auch, daß seine eigene Position sich verändert hatte, und daß die Entschuldigung, mit der er sich von der Gesellschaft fernhalten konnte, nunmehr wieder weggefallen war. Er entschloß sich daher, in den sauersüßen Apfel zu beißen und seine Spitzbubenhölle mit dem Purgatorium eines Honoratiorencirkels zu vertauschen. Dies sein eigener cynischer Ausdruck, für den wir begreiflicherweise nicht verantwortlich sind.

So gab er denn am Morgen des dritten und letzten Prüfungstages seinem Sohne den Auftrag, dessen Ausführung wir bereits kennen. Dann setzte er sich in dem grauen Kämmerlein mit den antediluvianischen Ockerspuren auf das wackelige, schneidend schmale Bettgestell, baumelte mit den Beinen, die er in dieser schwanken Stellung noch sehr künstlich an sich ziehen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="3">
        <p><pb facs="#f0086"/>
gestern so früh, daß                Wilhelm ihm nicht mehr beikommen konnte, aus dem Examen getrieben hatte.</p><lb/>
        <p>Der Pfarrer von Y . . . burg war unerachtet seiner in Essig eingemachten Stimmung                immer noch Mensch, Vater und Lehrer genug, um den Succeß seines Sohnes mit einiger                Genugthuung aufzunehmen. Ueber den Enderfolg des Examens machte er sich zwar nicht                die mindeste Illusion, da er wohl wußte, daß Arithmetik und Geschichte nicht die                Schlüssel waren, welche die Thüre in das Reich Gottes öffneten. Aber er konnte ihm                doch jetzt immerhin jenes Skaldenlied am Heldengrabe singen: &#x201E;Ehrenvoll ist er                gefallen!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Eben darum aber erkannte er auch, daß seine eigene Position sich verändert hatte, und                daß die Entschuldigung, mit der er sich von der Gesellschaft fernhalten konnte,                nunmehr wieder weggefallen war. Er entschloß sich daher, in den sauersüßen Apfel zu                beißen und seine Spitzbubenhölle mit dem Purgatorium eines Honoratiorencirkels zu                vertauschen. Dies sein eigener cynischer Ausdruck, für den wir begreiflicherweise                nicht verantwortlich sind.</p><lb/>
        <p>So gab er denn am Morgen des dritten und letzten Prüfungstages seinem Sohne den                Auftrag, dessen Ausführung wir bereits kennen. Dann setzte er sich in dem grauen                Kämmerlein mit den antediluvianischen Ockerspuren auf das wackelige, schneidend                schmale Bettgestell, baumelte mit den Beinen, die er in dieser schwanken Stellung                noch sehr künstlich an sich ziehen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0086] gestern so früh, daß Wilhelm ihm nicht mehr beikommen konnte, aus dem Examen getrieben hatte. Der Pfarrer von Y . . . burg war unerachtet seiner in Essig eingemachten Stimmung immer noch Mensch, Vater und Lehrer genug, um den Succeß seines Sohnes mit einiger Genugthuung aufzunehmen. Ueber den Enderfolg des Examens machte er sich zwar nicht die mindeste Illusion, da er wohl wußte, daß Arithmetik und Geschichte nicht die Schlüssel waren, welche die Thüre in das Reich Gottes öffneten. Aber er konnte ihm doch jetzt immerhin jenes Skaldenlied am Heldengrabe singen: „Ehrenvoll ist er gefallen!“ Eben darum aber erkannte er auch, daß seine eigene Position sich verändert hatte, und daß die Entschuldigung, mit der er sich von der Gesellschaft fernhalten konnte, nunmehr wieder weggefallen war. Er entschloß sich daher, in den sauersüßen Apfel zu beißen und seine Spitzbubenhölle mit dem Purgatorium eines Honoratiorencirkels zu vertauschen. Dies sein eigener cynischer Ausdruck, für den wir begreiflicherweise nicht verantwortlich sind. So gab er denn am Morgen des dritten und letzten Prüfungstages seinem Sohne den Auftrag, dessen Ausführung wir bereits kennen. Dann setzte er sich in dem grauen Kämmerlein mit den antediluvianischen Ockerspuren auf das wackelige, schneidend schmale Bettgestell, baumelte mit den Beinen, die er in dieser schwanken Stellung noch sehr künstlich an sich ziehen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:08:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:08:57Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910/86
Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910/86>, abgerufen am 20.05.2024.