Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.§. 8. Der Begriff des Bundesstaates. für das genus, den zusammengesetzten Staat, eine bestimmte Or-ganisation kein begriffliches Erforderniß ist; dagegen die species, der Bundesstaat, wird gerade durch eine gewisse Form dieser Or- ganisation, nämlich durch die Betheiligung der Einzelstaaten an der Herstellung des Gesammtwillens, begrifflich bestimmt 1). 4) Im Widerspruch mit der herrschenden Theorie hat Hänel So richtig diese Auffassung ist, wenn man den Staat lediglich an der Bundesgewalt betheiltigt, indem nach Art. 69 der Ständerath aus 44 Abgeordneten der Kantone besteht, von denen jeder Kanton 2 Abgeordnete wählt und nach Art. 114 eine revidirte Bundesverf. Kraft erlangt, wenn sie nicht nur von der Mehrheit der stimmenden Schweizerbürger, sondern von der Mehrheit der Kantone angenommen ist. Desgl. nach der Verfassung der Vereinigten Staaten, Sect. 3 Art. 1, indem der Senat aus zwei Depu- tirten eines jeden Staates zusammengesetzt ist. 1) Welcker, a. a. O., welcher Bundesstaat und zusammengesetzten Staat identifizirt, erachtet S. 41. 42 einen Bundesrath oder einen Senat zwar für erforderlich, aber mehr aus politischen, als begrifflichen Gründen. 2) Rüttimann Nordamerik. Bundesstaatsr. I. § 54 S. 49 drückt die herrschende Vorstellung am schärfsten aus, in dem er sagt: "Jeder Theil bewegt sich in der ihm zugewiesenen Sphäre mit der gleichen Freiheit, wie wenn der andere Theil gar nicht vorhanden wäre." (!) 3) Eine ähnliche Auffassung entwickelt Fricker in der Tübinger Zeit- schrift für die gesammte Staatswiss. Bd. 28 S. 351 ff. 6*
§. 8. Der Begriff des Bundesſtaates. für das genus, den zuſammengeſetzten Staat, eine beſtimmte Or-ganiſation kein begriffliches Erforderniß iſt; dagegen die species, der Bundesſtaat, wird gerade durch eine gewiſſe Form dieſer Or- ganiſation, nämlich durch die Betheiligung der Einzelſtaaten an der Herſtellung des Geſammtwillens, begrifflich beſtimmt 1). 4) Im Widerſpruch mit der herrſchenden Theorie hat Hänel So richtig dieſe Auffaſſung iſt, wenn man den Staat lediglich an der Bundesgewalt betheiltigt, indem nach Art. 69 der Ständerath aus 44 Abgeordneten der Kantone beſteht, von denen jeder Kanton 2 Abgeordnete wählt und nach Art. 114 eine revidirte Bundesverf. Kraft erlangt, wenn ſie nicht nur von der Mehrheit der ſtimmenden Schweizerbürger, ſondern von der Mehrheit der Kantone angenommen iſt. Desgl. nach der Verfaſſung der Vereinigten Staaten, Sect. 3 Art. 1, indem der Senat aus zwei Depu- tirten eines jeden Staates zuſammengeſetzt iſt. 1) Welcker, a. a. O., welcher Bundesſtaat und zuſammengeſetzten Staat identifizirt, erachtet S. 41. 42 einen Bundesrath oder einen Senat zwar für erforderlich, aber mehr aus politiſchen, als begrifflichen Gründen. 2) Rüttimann Nordamerik. Bundesſtaatsr. I. § 54 S. 49 drückt die herrſchende Vorſtellung am ſchärfſten aus, in dem er ſagt: „Jeder Theil bewegt ſich in der ihm zugewieſenen Sphäre mit der gleichen Freiheit, wie wenn der andere Theil gar nicht vorhanden wäre.“ (!) 3) Eine ähnliche Auffaſſung entwickelt Fricker in der Tübinger Zeit- ſchrift für die geſammte Staatswiſſ. Bd. 28 S. 351 ff. 6*
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0103" n="83"/><fw place="top" type="header">§. 8. Der Begriff des Bundesſtaates.</fw><lb/> für das <hi rendition="#aq">genus,</hi> den zuſammengeſetzten Staat, eine beſtimmte Or-<lb/> ganiſation kein begriffliches Erforderniß iſt; dagegen die <hi rendition="#aq">species</hi>,<lb/> der Bundesſtaat, wird gerade durch eine gewiſſe Form dieſer Or-<lb/> ganiſation, nämlich durch die Betheiligung der Einzelſtaaten an<lb/> der Herſtellung des Geſammtwillens, begrifflich beſtimmt <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#g">Welcker,</hi> a. a. O., welcher Bundesſtaat und zuſammengeſetzten Staat<lb/> identifizirt, erachtet S. 41. 42 einen Bundesrath oder einen Senat zwar für<lb/> erforderlich, aber mehr aus politiſchen, als begrifflichen Gründen.</note>.</p><lb/> <p>4) Im Widerſpruch mit der herrſchenden Theorie hat <hi rendition="#g">Hänel</hi><lb/> Studien <hi rendition="#aq">I</hi> S. 63 fg. eine neue Begriffsbeſtimmung des Bundes-<lb/> ſtaates gegeben. Er erklärt ſich gegen die Theilung der Souve-<lb/> ränetät, gegen die mechaniſche Zerreißung der ſtaatlichen Aufgaben<lb/> durch eine Competenzlinie, auf deren einer Seite die Bundesgewalt<lb/> auf deren anderer Seite die Einzelſtaatsgewalt herrſche, als gingen<lb/> ſie ſich einander nichts an <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#g">Rüttimann</hi> Nordamerik. Bundesſtaatsr. <hi rendition="#aq">I.</hi> § 54 S. 49 drückt die<lb/> herrſchende Vorſtellung am ſchärfſten aus, in dem er ſagt: „Jeder Theil bewegt<lb/> ſich in der ihm zugewieſenen Sphäre mit der gleichen Freiheit, wie wenn der<lb/> andere Theil gar nicht vorhanden wäre.“ (!)</note>. Den Begriff des Staates findet er<lb/> „weder in dem Bundesſtaat noch in dem Einzelſtaat noch gleich-<lb/> zeitig in beiden in ihrer <hi rendition="#g">Sonderſtellung</hi> betrachtet, ſondern<lb/> nur in dem <hi rendition="#g">organiſchen Miteinander</hi> und dem planmäßigen<lb/> Zuſammenwirken beider.“ „Nicht der Einzelſtaat, nicht der Ge-<lb/> ſammtſtaat ſind Staaten ſchlechthin, ſie ſind nur nach der Weiſe<lb/> von Staaten organiſirte und handelnde politiſche Gemeinweſen.<lb/><hi rendition="#g">Staat ſchlechthin iſt nur der Bundesſtaat als die<lb/> Totalität beider</hi> <note place="foot" n="3)">Eine ähnliche Auffaſſung entwickelt <hi rendition="#g">Fricker</hi> in der Tübinger Zeit-<lb/> ſchrift für die geſammte Staatswiſſ. Bd. 28 S. 351 ff.</note>.“</p><lb/> <p>So richtig dieſe Auffaſſung iſt, wenn man den Staat lediglich<lb/> als objective Inſtitution, als rechtliche Ordnung der Geſellſchaft<lb/> zur Erfüllung der Cultur-Aufgaben ſich denkt, ſo wenig iſt ſie<lb/> ausreichend als Prinzip für die juriſtiſche Entwicklung des Bundes-<lb/><note xml:id="seg2pn_10_2" prev="#seg2pn_10_1" place="foot" n="3)">an der Bundesgewalt betheiltigt, indem nach Art. 69 der Ständerath aus 44<lb/> Abgeordneten der Kantone beſteht, von denen <hi rendition="#g">jeder Kanton</hi> 2 Abgeordnete<lb/> wählt und nach Art. 114 eine revidirte Bundesverf. Kraft erlangt, wenn ſie<lb/> nicht nur von der Mehrheit der ſtimmenden Schweizerbürger, ſondern von der<lb/><hi rendition="#g">Mehrheit der Kantone</hi> angenommen iſt. Desgl. nach der Verfaſſung<lb/> der Vereinigten Staaten, <hi rendition="#aq">Sect.</hi> 3 Art. 1, indem der Senat aus zwei Depu-<lb/> tirten eines jeden Staates zuſammengeſetzt iſt.</note><lb/> <fw place="bottom" type="sig">6*</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [83/0103]
§. 8. Der Begriff des Bundesſtaates.
für das genus, den zuſammengeſetzten Staat, eine beſtimmte Or-
ganiſation kein begriffliches Erforderniß iſt; dagegen die species,
der Bundesſtaat, wird gerade durch eine gewiſſe Form dieſer Or-
ganiſation, nämlich durch die Betheiligung der Einzelſtaaten an
der Herſtellung des Geſammtwillens, begrifflich beſtimmt 1).
4) Im Widerſpruch mit der herrſchenden Theorie hat Hänel
Studien I S. 63 fg. eine neue Begriffsbeſtimmung des Bundes-
ſtaates gegeben. Er erklärt ſich gegen die Theilung der Souve-
ränetät, gegen die mechaniſche Zerreißung der ſtaatlichen Aufgaben
durch eine Competenzlinie, auf deren einer Seite die Bundesgewalt
auf deren anderer Seite die Einzelſtaatsgewalt herrſche, als gingen
ſie ſich einander nichts an 2). Den Begriff des Staates findet er
„weder in dem Bundesſtaat noch in dem Einzelſtaat noch gleich-
zeitig in beiden in ihrer Sonderſtellung betrachtet, ſondern
nur in dem organiſchen Miteinander und dem planmäßigen
Zuſammenwirken beider.“ „Nicht der Einzelſtaat, nicht der Ge-
ſammtſtaat ſind Staaten ſchlechthin, ſie ſind nur nach der Weiſe
von Staaten organiſirte und handelnde politiſche Gemeinweſen.
Staat ſchlechthin iſt nur der Bundesſtaat als die
Totalität beider 3).“
So richtig dieſe Auffaſſung iſt, wenn man den Staat lediglich
als objective Inſtitution, als rechtliche Ordnung der Geſellſchaft
zur Erfüllung der Cultur-Aufgaben ſich denkt, ſo wenig iſt ſie
ausreichend als Prinzip für die juriſtiſche Entwicklung des Bundes-
3)
1) Welcker, a. a. O., welcher Bundesſtaat und zuſammengeſetzten Staat
identifizirt, erachtet S. 41. 42 einen Bundesrath oder einen Senat zwar für
erforderlich, aber mehr aus politiſchen, als begrifflichen Gründen.
2) Rüttimann Nordamerik. Bundesſtaatsr. I. § 54 S. 49 drückt die
herrſchende Vorſtellung am ſchärfſten aus, in dem er ſagt: „Jeder Theil bewegt
ſich in der ihm zugewieſenen Sphäre mit der gleichen Freiheit, wie wenn der
andere Theil gar nicht vorhanden wäre.“ (!)
3) Eine ähnliche Auffaſſung entwickelt Fricker in der Tübinger Zeit-
ſchrift für die geſammte Staatswiſſ. Bd. 28 S. 351 ff.
3) an der Bundesgewalt betheiltigt, indem nach Art. 69 der Ständerath aus 44
Abgeordneten der Kantone beſteht, von denen jeder Kanton 2 Abgeordnete
wählt und nach Art. 114 eine revidirte Bundesverf. Kraft erlangt, wenn ſie
nicht nur von der Mehrheit der ſtimmenden Schweizerbürger, ſondern von der
Mehrheit der Kantone angenommen iſt. Desgl. nach der Verfaſſung
der Vereinigten Staaten, Sect. 3 Art. 1, indem der Senat aus zwei Depu-
tirten eines jeden Staates zuſammengeſetzt iſt.
6*
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |