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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 14. Die Pflichten der Reichsangehörigen.
des Heimathsstaates diesen Verlust durch einen Beschluß zu
erklären. Die Entziehung der Reichsangehörigkeit wird dadurch
bewirkt, daß das Fundament, auf welchem sie ruht, ihr genommen
wird. Die innere Einheit von Staats- und Reichsbürgerrecht tritt
hier mit besonderer Deutlichkeit hervor und ebenso wird es an-
schaulich, wie die Unterthanen-Pflicht gegen den Staat sich an dem
Punkte von selbst in die Unterthanen-Pflicht gegen das Reich ver-
wandelt, wo das Reich die Erfüllung der staatlichen Zwecke dem
Einzelstaate abgenommen hat.

Der sogenannte diplomatische Landesverrath, wel-
cher in der Mittheilung von Staatsgeheimnissen oder Urkunden,
in der Vernichtung von Aktenstücken oder Beweismitteln behufs
Gefährdung staatlicher Rechte oder in der Führung eines Staats-
geschäfts mit einer andern Regierung zum Nachtheil des Staates,
welcher den Auftrag dazu ertheilt hat, besteht, kann seinem objec-
tiven Thatbestande nach eben sowohl gegen das Reich, wie gegen
jeden einzelnen Staat verübt werden und es hätte daher in diesen
Fällen sehr wohl ein Unterschied gemacht werden können, ob die
feindliche (verrätherische) Handlung gegen das Reich resp. den
eigenen Bundesstaat oder ob sie gegen einen anderen Bun-
desstaat gerichtet ist. Diese Unterscheidung ist aber natürlich nur
dann möglich, wenn man in subjectiver Beziehung überhaupt die
Angehörigkeit zum Deutschen Reich als Requisit des Verbrechens
erfordert. Dies ist in dem Reichs-Straf-Gesetze weder beim Hoch-
verrath noch bei den erwähnten Fällen des Landesverrathes ge-
schehen. Der §. 92 sagt nicht: "Ein Deutscher, welcher vorsätzlich
u. s. w." sondern: "Wer vorsätzlich u. s. w." 1) und hat somit
den Zusammenhang der in diesem Paragraphen aufgeführten Fälle
des Landesverrathes mit der in der Staatsangehörigkeit begrün-
deten Treuverpflichtung gelöst 2); Inländer und Ausländer sind

1) Trotz dieser allgemeinen Fassung nimmt Berner Lehrb. §. 239 an,
daß nur ein Inländer einen diplomatischen Landesverrath begehen könne.
Auch John in Holtzendorff's Handbuch des d. Strafr. III. 1. S. 53 sagt
ohne Angabe eines Grundes, daß für die Fälle des §. 92 Nr. 1 u. 2 als
Subject ein Deutscher vorausgesetzt sei. Vgl. dagegen Schütze S. 243.
Oppenhoff zu §. 92 Note 2. Rudorff zu §. 92 Note 1. Schwarze
S. 286.
2) Ueber das Bedenkliche dieses Verfahrens vergl. Heinze a. a. D.
S. 64 ff.

§. 14. Die Pflichten der Reichsangehörigen.
des Heimathsſtaates dieſen Verluſt durch einen Beſchluß zu
erklären. Die Entziehung der Reichsangehörigkeit wird dadurch
bewirkt, daß das Fundament, auf welchem ſie ruht, ihr genommen
wird. Die innere Einheit von Staats- und Reichsbürgerrecht tritt
hier mit beſonderer Deutlichkeit hervor und ebenſo wird es an-
ſchaulich, wie die Unterthanen-Pflicht gegen den Staat ſich an dem
Punkte von ſelbſt in die Unterthanen-Pflicht gegen das Reich ver-
wandelt, wo das Reich die Erfüllung der ſtaatlichen Zwecke dem
Einzelſtaate abgenommen hat.

Der ſogenannte diplomatiſche Landesverrath, wel-
cher in der Mittheilung von Staatsgeheimniſſen oder Urkunden,
in der Vernichtung von Aktenſtücken oder Beweismitteln behufs
Gefährdung ſtaatlicher Rechte oder in der Führung eines Staats-
geſchäfts mit einer andern Regierung zum Nachtheil des Staates,
welcher den Auftrag dazu ertheilt hat, beſteht, kann ſeinem objec-
tiven Thatbeſtande nach eben ſowohl gegen das Reich, wie gegen
jeden einzelnen Staat verübt werden und es hätte daher in dieſen
Fällen ſehr wohl ein Unterſchied gemacht werden können, ob die
feindliche (verrätheriſche) Handlung gegen das Reich reſp. den
eigenen Bundesſtaat oder ob ſie gegen einen anderen Bun-
desſtaat gerichtet iſt. Dieſe Unterſcheidung iſt aber natürlich nur
dann möglich, wenn man in ſubjectiver Beziehung überhaupt die
Angehörigkeit zum Deutſchen Reich als Requiſit des Verbrechens
erfordert. Dies iſt in dem Reichs-Straf-Geſetze weder beim Hoch-
verrath noch bei den erwähnten Fällen des Landesverrathes ge-
ſchehen. Der §. 92 ſagt nicht: „Ein Deutſcher, welcher vorſätzlich
u. ſ. w.“ ſondern: „Wer vorſätzlich u. ſ. w.“ 1) und hat ſomit
den Zuſammenhang der in dieſem Paragraphen aufgeführten Fälle
des Landesverrathes mit der in der Staatsangehörigkeit begrün-
deten Treuverpflichtung gelöſt 2); Inländer und Ausländer ſind

1) Trotz dieſer allgemeinen Faſſung nimmt Berner Lehrb. §. 239 an,
daß nur ein Inländer einen diplomatiſchen Landesverrath begehen könne.
Auch John in Holtzendorff’s Handbuch des d. Strafr. III. 1. S. 53 ſagt
ohne Angabe eines Grundes, daß für die Fälle des §. 92 Nr. 1 u. 2 als
Subject ein Deutſcher vorausgeſetzt ſei. Vgl. dagegen Schütze S. 243.
Oppenhoff zu §. 92 Note 2. Rudorff zu §. 92 Note 1. Schwarze
S. 286.
2) Ueber das Bedenkliche dieſes Verfahrens vergl. Heinze a. a. D.
S. 64 ff.
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[146/0166] §. 14. Die Pflichten der Reichsangehörigen. des Heimathsſtaates dieſen Verluſt durch einen Beſchluß zu erklären. Die Entziehung der Reichsangehörigkeit wird dadurch bewirkt, daß das Fundament, auf welchem ſie ruht, ihr genommen wird. Die innere Einheit von Staats- und Reichsbürgerrecht tritt hier mit beſonderer Deutlichkeit hervor und ebenſo wird es an- ſchaulich, wie die Unterthanen-Pflicht gegen den Staat ſich an dem Punkte von ſelbſt in die Unterthanen-Pflicht gegen das Reich ver- wandelt, wo das Reich die Erfüllung der ſtaatlichen Zwecke dem Einzelſtaate abgenommen hat. Der ſogenannte diplomatiſche Landesverrath, wel- cher in der Mittheilung von Staatsgeheimniſſen oder Urkunden, in der Vernichtung von Aktenſtücken oder Beweismitteln behufs Gefährdung ſtaatlicher Rechte oder in der Führung eines Staats- geſchäfts mit einer andern Regierung zum Nachtheil des Staates, welcher den Auftrag dazu ertheilt hat, beſteht, kann ſeinem objec- tiven Thatbeſtande nach eben ſowohl gegen das Reich, wie gegen jeden einzelnen Staat verübt werden und es hätte daher in dieſen Fällen ſehr wohl ein Unterſchied gemacht werden können, ob die feindliche (verrätheriſche) Handlung gegen das Reich reſp. den eigenen Bundesſtaat oder ob ſie gegen einen anderen Bun- desſtaat gerichtet iſt. Dieſe Unterſcheidung iſt aber natürlich nur dann möglich, wenn man in ſubjectiver Beziehung überhaupt die Angehörigkeit zum Deutſchen Reich als Requiſit des Verbrechens erfordert. Dies iſt in dem Reichs-Straf-Geſetze weder beim Hoch- verrath noch bei den erwähnten Fällen des Landesverrathes ge- ſchehen. Der §. 92 ſagt nicht: „Ein Deutſcher, welcher vorſätzlich u. ſ. w.“ ſondern: „Wer vorſätzlich u. ſ. w.“ 1) und hat ſomit den Zuſammenhang der in dieſem Paragraphen aufgeführten Fälle des Landesverrathes mit der in der Staatsangehörigkeit begrün- deten Treuverpflichtung gelöſt 2); Inländer und Ausländer ſind 1) Trotz dieſer allgemeinen Faſſung nimmt Berner Lehrb. §. 239 an, daß nur ein Inländer einen diplomatiſchen Landesverrath begehen könne. Auch John in Holtzendorff’s Handbuch des d. Strafr. III. 1. S. 53 ſagt ohne Angabe eines Grundes, daß für die Fälle des §. 92 Nr. 1 u. 2 als Subject ein Deutſcher vorausgeſetzt ſei. Vgl. dagegen Schütze S. 243. Oppenhoff zu §. 92 Note 2. Rudorff zu §. 92 Note 1. Schwarze S. 286. 2) Ueber das Bedenkliche dieſes Verfahrens vergl. Heinze a. a. D. S. 64 ff.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/166>, abgerufen am 24.11.2024.