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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 14. Die Pflichten der Reichsangehörigen.
einander völlig gleichgestellt 1); nur daß ein Inländer auch wegen
eines im Auslande begangenen Landesverrathes zur Strafe gezo-
gen werden kann. (Reichs-Straf-Gesetz-Buch §. 4 Z. 2.)

Dadurch war es von selbst ausgeschlossen, den Landesverrath,
welchen ein Deutscher gegen den eigenen Staat verübt, von dem
Landesverrath, welchen ein Deutscher gegen einen anderen Bun-
desstaat verübt, zu unterscheiden, und der Staatsangehörigkeit
innerhalb des Deutschen Reiches in dieser Richtung eine strafrecht-
liche Wirksamkeit beizulegen. Das Reichsstrafgesetzbuch ignorirt
an dieser Stelle -- und zwar nach Ausweis der Motive S. 83 ff.
mit Bewußtsein und Absicht -- die Fortdauer eines besonderen
staatlichen Angehörigkeits-Verhältnisses zwischen dem Einzelnen
und seinem Heimathsstaate und geht davon aus, daß man im
ganzen Bundesgebiet jeden Bundesangehörigen als Inländer
auffassen müsse. Dem ethischen und rechtlichen Bewußtsein des
Volkes dürfte es freilich anstößig erscheinen, "daß der Angehörige
des Einzelstaates R, der ein Geheimniß des Einzelstaates S seinem
eigenen Staate verrathen hat, überall in Deutschland ebenso straf-
bar, also auch von seinem eigenen Heimathsstaat ebenso zur
strafrechtlichen Verantwortung zu ziehen wäre, wie wegen irgend
eines Privatverbrechens 2)."

So wie die Strafe des Kriegs-Landesverraths eine Analogie
in dem oben erörterten Verlust der Staatsangehörigkeit auf Grund
des §. 20 des Ges. vom 1. Juni 1870 hat, so auch der sogen.
diplomat. Landesverrath. Dasselbe Gesetz bestimmt im §. 22.

"Tritt ein Deutscher ohne Erlaubniß seiner Regierung
in fremde Staatsdienste, so kann die Centralbehörde seines
Heimathstaates denselben durch Beschluß seiner Staatsan-

1) Dadurch wird natürlich nicht ausgeschlossen, daß bei der Straf-
Ausmessung vom Richter das subjective Moment gewürdigt und der Verrath
des eigenen Staates strenger bestraft wird, als die gleiche Handlung eines
Ausländers bestraft werden würde. Vgl. auch Schütze S. 231.
2) Vgl. Heinze a. a. O. S. 65. Wenn John a. a. O. S. 54
zur Rechtfertigung des Strafgesetzb. sich auf die Anschauung beruft, daß durch
die Verletzung des Theils das Ganze verletzt erscheint, so ist zu erwidern:
1) daß diese Anschauung falsch ist, in so weit das Interesse des Theils ver-
schieden ist von dem Interesse des Ganzen und 2) daß es strafrechtlich nicht
gleichgültig ist, ob Jemand denjenigen Theil des Ganzen, dem er selbst an-
gehört, verletzt oder einen andern Theil desselben Ganzen.
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§. 14. Die Pflichten der Reichsangehörigen.
einander völlig gleichgeſtellt 1); nur daß ein Inländer auch wegen
eines im Auslande begangenen Landesverrathes zur Strafe gezo-
gen werden kann. (Reichs-Straf-Geſetz-Buch §. 4 Z. 2.)

Dadurch war es von ſelbſt ausgeſchloſſen, den Landesverrath,
welchen ein Deutſcher gegen den eigenen Staat verübt, von dem
Landesverrath, welchen ein Deutſcher gegen einen anderen Bun-
desſtaat verübt, zu unterſcheiden, und der Staatsangehörigkeit
innerhalb des Deutſchen Reiches in dieſer Richtung eine ſtrafrecht-
liche Wirkſamkeit beizulegen. Das Reichsſtrafgeſetzbuch ignorirt
an dieſer Stelle — und zwar nach Ausweis der Motive S. 83 ff.
mit Bewußtſein und Abſicht — die Fortdauer eines beſonderen
ſtaatlichen Angehörigkeits-Verhältniſſes zwiſchen dem Einzelnen
und ſeinem Heimathsſtaate und geht davon aus, daß man im
ganzen Bundesgebiet jeden Bundesangehörigen als Inländer
auffaſſen müſſe. Dem ethiſchen und rechtlichen Bewußtſein des
Volkes dürfte es freilich anſtößig erſcheinen, „daß der Angehörige
des Einzelſtaates R, der ein Geheimniß des Einzelſtaates S ſeinem
eigenen Staate verrathen hat, überall in Deutſchland ebenſo ſtraf-
bar, alſo auch von ſeinem eigenen Heimathsſtaat ebenſo zur
ſtrafrechtlichen Verantwortung zu ziehen wäre, wie wegen irgend
eines Privatverbrechens 2).“

So wie die Strafe des Kriegs-Landesverraths eine Analogie
in dem oben erörterten Verluſt der Staatsangehörigkeit auf Grund
des §. 20 des Geſ. vom 1. Juni 1870 hat, ſo auch der ſogen.
diplomat. Landesverrath. Daſſelbe Geſetz beſtimmt im §. 22.

„Tritt ein Deutſcher ohne Erlaubniß ſeiner Regierung
in fremde Staatsdienſte, ſo kann die Centralbehörde ſeines
Heimathſtaates denſelben durch Beſchluß ſeiner Staatsan-

1) Dadurch wird natürlich nicht ausgeſchloſſen, daß bei der Straf-
Ausmeſſung vom Richter das ſubjective Moment gewürdigt und der Verrath
des eigenen Staates ſtrenger beſtraft wird, als die gleiche Handlung eines
Ausländers beſtraft werden würde. Vgl. auch Schütze S. 231.
2) Vgl. Heinze a. a. O. S. 65. Wenn John a. a. O. S. 54
zur Rechtfertigung des Strafgeſetzb. ſich auf die Anſchauung beruft, daß durch
die Verletzung des Theils das Ganze verletzt erſcheint, ſo iſt zu erwidern:
1) daß dieſe Anſchauung falſch iſt, in ſo weit das Intereſſe des Theils ver-
ſchieden iſt von dem Intereſſe des Ganzen und 2) daß es ſtrafrechtlich nicht
gleichgültig iſt, ob Jemand denjenigen Theil des Ganzen, dem er ſelbſt an-
gehört, verletzt oder einen andern Theil deſſelben Ganzen.
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[147/0167] §. 14. Die Pflichten der Reichsangehörigen. einander völlig gleichgeſtellt 1); nur daß ein Inländer auch wegen eines im Auslande begangenen Landesverrathes zur Strafe gezo- gen werden kann. (Reichs-Straf-Geſetz-Buch §. 4 Z. 2.) Dadurch war es von ſelbſt ausgeſchloſſen, den Landesverrath, welchen ein Deutſcher gegen den eigenen Staat verübt, von dem Landesverrath, welchen ein Deutſcher gegen einen anderen Bun- desſtaat verübt, zu unterſcheiden, und der Staatsangehörigkeit innerhalb des Deutſchen Reiches in dieſer Richtung eine ſtrafrecht- liche Wirkſamkeit beizulegen. Das Reichsſtrafgeſetzbuch ignorirt an dieſer Stelle — und zwar nach Ausweis der Motive S. 83 ff. mit Bewußtſein und Abſicht — die Fortdauer eines beſonderen ſtaatlichen Angehörigkeits-Verhältniſſes zwiſchen dem Einzelnen und ſeinem Heimathsſtaate und geht davon aus, daß man im ganzen Bundesgebiet jeden Bundesangehörigen als Inländer auffaſſen müſſe. Dem ethiſchen und rechtlichen Bewußtſein des Volkes dürfte es freilich anſtößig erſcheinen, „daß der Angehörige des Einzelſtaates R, der ein Geheimniß des Einzelſtaates S ſeinem eigenen Staate verrathen hat, überall in Deutſchland ebenſo ſtraf- bar, alſo auch von ſeinem eigenen Heimathsſtaat ebenſo zur ſtrafrechtlichen Verantwortung zu ziehen wäre, wie wegen irgend eines Privatverbrechens 2).“ So wie die Strafe des Kriegs-Landesverraths eine Analogie in dem oben erörterten Verluſt der Staatsangehörigkeit auf Grund des §. 20 des Geſ. vom 1. Juni 1870 hat, ſo auch der ſogen. diplomat. Landesverrath. Daſſelbe Geſetz beſtimmt im §. 22. „Tritt ein Deutſcher ohne Erlaubniß ſeiner Regierung in fremde Staatsdienſte, ſo kann die Centralbehörde ſeines Heimathſtaates denſelben durch Beſchluß ſeiner Staatsan- 1) Dadurch wird natürlich nicht ausgeſchloſſen, daß bei der Straf- Ausmeſſung vom Richter das ſubjective Moment gewürdigt und der Verrath des eigenen Staates ſtrenger beſtraft wird, als die gleiche Handlung eines Ausländers beſtraft werden würde. Vgl. auch Schütze S. 231. 2) Vgl. Heinze a. a. O. S. 65. Wenn John a. a. O. S. 54 zur Rechtfertigung des Strafgeſetzb. ſich auf die Anſchauung beruft, daß durch die Verletzung des Theils das Ganze verletzt erſcheint, ſo iſt zu erwidern: 1) daß dieſe Anſchauung falſch iſt, in ſo weit das Intereſſe des Theils ver- ſchieden iſt von dem Intereſſe des Ganzen und 2) daß es ſtrafrechtlich nicht gleichgültig iſt, ob Jemand denjenigen Theil des Ganzen, dem er ſelbſt an- gehört, verletzt oder einen andern Theil deſſelben Ganzen. 10*

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/167>, abgerufen am 24.11.2024.